Wir werden seit zwei Jahren massiv verfolgt

Ein Interview mit Achim Schnurrer (Alpha Comics)

Im Juli 1995 kam der Alpha Comic Verlag, der Comics für Erwachsene, wie zum Beispiel das „Kondom des Grauens“ von Ralf König publiziert, in Konflikt mit der Justiz, was ihn an den Rand des Ruins brachte. 40 Polizisten durchsuchten die Räume des Alpha Comic Verlags, 150 Bücher und Comics wurden wegen des Verdachts auf Verbreitung gewaltverherrlichender, pornographischer und den Nationalsozialismus verherrlichender Schriften beschlagnahmt. Gemeint waren damit Comics, die zwar nicht von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS) auf den Index gesetzt wurden, sich aber dennoch manchmal an der Grenze des Erlaubten bewegen.

Im April letzten Jahres startete dann eine umfangreiche Durchsuchung bei den Abnehmern der Comics, den Buchhandlungen. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels bezeichnete den Vorgang als größte Welle an Beschlagnahmungen und Durchsuchungen seit 1993. Präziser gesagt, wurden laut Monika Soßdorf, Oberstaatsanwältin in Meiningen, 5620 Exemplare von elf Büchern konfisziert.

Neben Comics aus dem Alpha Verlag wurden laut Alpha- Comic-Geschäftsführer Achim Schnurrer auch Bücher von anderen Verlagen (Eichborn, Rowohlt, Carlsen) beschlagnahmt.

Die Staatsanwaltschaft hat Anfang diesen Jahres Anklage erhoben, die Geschäftsführer des Verlages werden beschuldigt, im Zeitraum zwischen dem 14. Februar 1994 und 24. Juli 1995 in neun Fällen gemeinschaftlich „Schriften, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die die Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das grausame, unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, verbreitet zu haben“.

In zwei Fällen sollen außerdem „pornographische Schriften, die Gewalttätigkeiten und den sexuellen Mißbrauch von Kindern darstellen“, verbreitet worden sein. Für beide Fälle sind laut Strafgesetzbuch Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr (bei sexuellem Mibrauch von Kindern bis fünf Jahre) oder eine Geldstrafe vorgesehen. Der Prozeß ist am Landgericht Meiningen anhängig, der Beginn ist noch nicht terminiert.

Um Gerichts- und Gutachterkosten bestreiten zu können, veröffentlichte der Comic Verlag im November die Benefiz-CD „Musik & Comix“. Auf ihr steuern bekannte Musiker und Gruppen wie Herbert Grönemeyer, „Tocotronic“, „Die Ärzte“ oder „Die Fantastischen Vier“ meist unveröffentlichte Songs bei. Hinternet-Mitarbeiter Martin Schrüfer hat sich mit Achim Schnurrer unterhalten:

Hinternet: Wann wurde die Idee zum Sampler „Musik & Comix gegen Zensur“ geboren?

Achim Schnurrer: Die wurde relativ früh geboren, nach den Durchsuchungen. Die Idee hatte die Promotion-Agentur „Kurzschluß“. Die hörten von dem Fall, fanden ihn unmöglich und schlugen den Sampler vor. Ich war zu Anfang sehr skeptisch, da ich mich in dem Bereich nicht so gut auskenne. Um so mehr hat mich überrascht, daß mich „Die Ärzte“ anriefen und meinten: Wir sind dabei. Dann sind weitere Gruppen dazugestoßen.

Hinternet: Die Solidarität ist also vorhanden?

Achim Schnurrer: Ja, die ist da, da sind wir sehr froh drüber. Wir haben von verschiedenen Seiten Solidarität erfahren, das hat uns rein psychisch gesehen die Kraft gegeben, die Geschichte überhaupt durchzustehen.

Hinternet: Sie sind zur Zeit in den WOM-Filialen mit der Band „Lee Buddha“ auf Promotions-Tour für die CD. Welche Erfahrungen konnten Sie machen?

Achim Schnurrer: In größeren Städten wie Frankfurt, Berlin oder München waren die Veranstaltungen sehr gut, da konnten wir viele Leute ansprechen. In kleinen Orten war es weniger befriedigend.

Hinternet: Was passiert mit dem Erlös aus dem Verkauf des Benefiz-Samplers?

Achim Schnurrer: Das Geld fließt in einen Rechtshilfefonds, einem Verein namens „Gegen Zensur“, der in Köln gegründet wurde. Mit diesen Einnahmen werden wir unsere Anwalts- und Gutachterkosten bezahlen. Das sind bis heute runde 100 000 DM. Wenn Geld übrigbleibt, was ich schwer hoffe, dann soll auch in anderen Zensurfällen geholfen werden. Es gibt reichlich Anlässe, bei denen Künstler und Verlage mit Zensurprozessen zu tun haben, und die diese häufig wegen finanziellen Problemen nicht durchstehen können.

Hinternet: Erwachsenen-Comics haben eher einen Randbereich des Markts inne. Warum wird dem Ganzen Ihrer Meinung so ein Stellenwert beigemessen, daß 1200 Buchhandlungen durchsucht werden?

„Das ist eine Frage, die ich eigentlich nicht beantworten kann. Es ist tatsächlich ein Randgebiet, für das sich in Deutschland vielleicht 50 000 Comic- Fans interessieren, eine Ausnahme ist Ralf König. Warum da so dagegen vorgegangen wird, als würde es sich um Staatsterrorismus handeln, ist für mich ein Rätsel. Konkret wurden wir von einer Person angezeigt, die auch schon den ‚Spiegel‘ und ‚Bravo‘ mit Prozessen überzogen hat. Damit soll Deutschland wieder auf den Stand der 50er Jahre gebracht werden.“

Hinternet: Befürchten Sie neue Durchsuchungsaktionen?

„Das ist für mich eine eindeutige Tendenz, die von einer einzelnen Staatsanwaltschaft ausgeht. In der Entwicklung unserer Gesellschaft ist zu sehen, daß immer öfters versucht wird, Meinungs-, Kunstfreiheit, letztlich auch Pressefreiheit einzuschränken. Beispiele sind die diversen Satire-Prozesse.“

Hinternet: Wie geht es weiter mit dem Verlag?

„Den tatsächlichen wirtschaftlichen Schaden, der uns entstanden ist, wird die CD nicht decken können. Wir haben in jahrelanger Arbeit Buchhändler davon überzeugt, Comics mit ins Programm aufzunehmen. Das Vertrauen ist jetzt natürlich zerstört. Die meisten Händler haben sich einschüchtern lassen, was vermutlich auch Sinn und Zweck dieser Übung war. Unsere Waren gelten nach solch einer Aktion vielen plötzlich als anrüchig, was allgemein gesehen einer gezielten Rufmord- Kampagne nicht unähnlich ist. Wir hoffen, daß es zu einem Prozeß kommt, und wir ihn gewinnen, vielleicht in zweiter Instanz. Dann können wir daran denken, Schadensersatz-Ansprüche zu stellen. Den langen Atem müssen wir aufbringen, anders geht es nicht. Das Verfahren zieht sich seit Juli 1995 hin.“

Hinternet: Angesichts der Erfahrungen, die Sie gemacht haben: Sind Sie der Meinung, daß es Zensur und politische Verfolgung in Deutschland gibt?

Achim Schnurrer: Absolut! Daran habe ich nach all diesen Erfahrungen nicht mehr den leisesten Zweifel.

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