hò! #1. Roady Music from Vietnam

Dies ist mit Abstand das schrägste Album, das mir seit langem untergekommen ist! Mir tanzen immer noch bunte Lichtlein vor den Augen, und ich werd wohl gleich mal beim Asiaten an der Ecke vorbeischau´n, um mir ein bißchen Basmati-Reis und diese getrockneten Pilz-Morcheln zu holen, die man erst einweichen muß, damit sie aussehen wie das Haupt-Requisit in der Anfangs-Szene von „Blue Velvet“, nur viel schwärzer.

Ich bin beim Hören fast ausgeflippt vor Begeisterung, wobei mir ein Verdacht kam, dem ich sogleich auf den Grund ging – und richtig: auf dem Cover ist im Hintergrund ein Auto zu sehen!!! (Eine interne Hinter-Net!-Theorie besagt, daß CDs mit Autos auf dem Cover immer extrem hörenswert sind. Eine Erkenntnis, die in jahrzehntelangem Testhören sukzessive herausdestilliert wurde und für deren Ausplaudern man eigentlich 100 000 DM Strafe zahlen muß, solange die Anmeldung beim Patentamt noch nicht durch ist…)

Was immer das Label Trikont dazu bewogen hat, roady music from vietnam auf CD zu bannen, und mal dahingestellt, wie repräsentativ die Auswahl auch immer sei: es muß Spaß gemacht haben! Musik östlich des Karaoke-Äquators, das meint zumeist eine schrille, süßliche, melodramatische Mischung aus Schmalz-Melodien, Piepsstimmchen und orientalischem Zirp-Sound. Stilistisch findet sich alles vom Easy Listening über Blues (von VC Hooker), Folkrock (von Dylan Thanh), Western-Twangle à la Shadows (von Dan Bau) und viele, viele Totenmärsche („Totencombo“, „Totensamba“, „Totblues“ und „Totensong“) im klassischen New Orleans-Stil, denn auch wenn uns das Booklet weismachen will, Blechblasinstrumente hätten in Vietnam keine Tradition, da sie im dortigen Klima ständig verstimmen, wird offensichtlich an jeder zweiten vietnamesischen Straßenecke jemand mit viel Geschepper und Marschmusik zu Grabe getragen, eine Hinterlassenschaft der französischen Kolonialzeit. Manche der Stücke seh ich mich außerstande zu beschreiben, etwa Take 16, ein akrobatisches Kunststück für Gummizungen (vietnamesischer Rap?), die sich mit fetten Moog-Riffs abwechseln. Klasse! Nett auch die vielen Konzessionen an abendländisches Musikgut vom „Ghost rider in the sky“ bis hin zu „Ein Schiff wird kommen“.

Wer so melodieversesssen ist wie ich, wird an diesem Album seine helle Freude haben und muß auch auf fröhlich wippende Rhythmen nicht verzichten!!! Sicherlich hat die Musik auf „ho!“ nicht mehr viel mit ursprünglicher vietnamesischer Folklore zu tun, aber darum geht´s hier auch nicht. Hier wird ein Substrat touristisch mutierter Klang-Kulisse geboten, wie es sich auf den Straßen von Ho-Ho-Ho-Tchi-Min-Land bietet und in den Etablissements, Schriffsrestaurants und Karaoke-Kneipen, in denen entweder Westler unterhalten werden wollen oder sich auch einfach nur die Landesjugend unterhalten will, die ihre Geschmacksantennen sicherlich schon längst gen MTV ausgerichtet hat. Ein schillerndes Stückchen des großen U-Musik-Universums mit exotischem Charme, das sich selbst ncht allzu ernst nimmt. Übrigens überwiegend live und vor Ort mitgeschnitten – hier handelt es sich nicht um eine repräsentative Auswahl vietnamesischer Studio-Produktionen, sondern dies ist das Leben selbst! Anhören und freuen!

Sampler
hò! #1. Roady Music from Vietnam
(Trikont/Indigo)

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