Live: Stomp

London/Round House

Es ist der letzte Arbeitstag im alten Jahr und ich habe mir etwas besonderes vorgenommen um dieses zu feiern. ‚Stomp‘ ist angekündigt. Die Werbung im Guardian zeigt einen Mann mit freiem Oberkörper, der auf dem Boden rumrutscht und von unten in die Kamera schaut. In jeder Hand hält er einen Mülleimerdeckel. Darüber stehen die üblichen Jubelzeilen, die sich allerdings diesmal nicht als Lall herausstellen werden. Ausserdem wird in der Werbung gleichzeitig nach Freiwilligen gesucht, die nächstes Jahr mit auf Welttour gehen wollen, bequeme Kleider und feste Schuhe sowie ein gutes Gefühl für Rhythmus soll man mitbringen.

Das Round House liegt in Chalk Farm Road nahe Camden Market. Es ist wie der Name schon sagt, eben rund. Und das hatte in vergangenen Zeiten auch einen praktischen Grund. Dazumal wurden im Roundhouse nämlich Lokomotiven um 180 Grad gedreht, um dann sogleich in die andere Richtung abzuzischen. Die Venue hat so den kompletten Charm der umfunktionierten Industrieanlage. Hier haben früher the Clash, Stranglers oder the Jam den Saal zum kochen gebracht, was man sich heute noch gut vorstellen kann. Überall auf den ansteigenden Rängen sieht und hört man ausgezeichnet. So sammelt das Ereignis schon Pluspunkte bevor es angefangen hat. Der ganze Ablauf ist auch erstaunlich unkompliziert, was in London nicht gerade üblich ist. Keine Gorillas, die künstliche Warteschlangen am Leben halten; einfach reingehen, hinsetzen und los geht’s. Zwischendrin gibt’s auch keine Pause in der man viel zu teure Getränke schlürft oder eine schlecht produzierte CD kauft, während man die erste Halbzeit analysiert. Nein, hier gibt es pausenlos auf die Ohren, sozusagen aus einem Guss, und das ist gut so. Die Halle ist wie geschaffen für Stomp, besteht doch die Requisite grossenteils aus sogenanntem Schrott, der hier früher auch mal sicher rumgelegen hat.

Am Anfang erscheint einer um die Bühne zu kehren, kehr-pause-kehr-pause, undsoweiter, undimmerweiter, bis der Zweite – oder ist es Eineee – anfängt dagegenzukehren, musikalisch versteht sich. Ruckzuck sind noch sechs weitere Feger erschienen, die plötzlich Musik machen mit ihren Besen. Schon zuckt das Tanzbein. Indem jeder seinen Part stoisch wiederholt ergibt das Ganze einen sehr treibenden Rhythmus, und dieses Treiben spiegelt sich auch in der energiegeladenen Performance der Akteure wieder. Die Kulisse besteht aus einem Gerüst an dem zahllose Gegenstände wie z.B. Verkehrsschilder, Autofelgen, Ölfässer etc. aufgehängt sind, scheinbar wahrlos. Die Bühne wird mal mit Sand zugepudert, damit es schöön knirscht beim steppen und stampfen. Die Künstler sind sehr unterschiedlich talentiert. Da hat man den Steptänzer, der wohl schon so auf die Welt gekommen zu sein scheint. Er hat ein unglaubliches Rhythmusgefühl und scheint aus allem Musik zu machen, Streichholzschachteln, Nylontüten oder indem er eine Zeitung zerfleddert, manchmal auch nur durch Klatschen oder mit den Füssen. Am anderen Ende der Skala ist der Tollpatsch, der stets mithalten will und dem öfter mal was misslingt. Ständig lobt er sich selbst und behauptet die Stellung gegen die ‚grossen Geschwister‘. Ja, brothers und sisters, jedenfalls im Geiste. Zwischen diesen beiden Extremen hat jeder Performer seine eigene Art, seine eigene Portion Talent und Musikalität, die ihn vom Rest des Ensembles unterscheidet, und auch das ist gut so. Denn wir sind ja nicht beim Fernsehballet oder beim Musical. Wir haben es mit Menschen zu tun, nicht mit Puppen. Nur in einem Punkt sind sie alle gleich, jeder gibt sein Bestes.

Kommunikation findet ’nur‘ durch Körpersprache statt. Nie habe ich Kommunikation mit dem Publikum als Ganzem so unpeinlich erlebt. Der Steptänzer klatscht vor, wir müssen nachklatschen bis es zu kompliziert wird. Sowas wird leicht peinlich, ‚jetzt soll ich mich auch noch beteiligen, quasi selbst unterhalten‘, doch dieses Gefühl kommt nicht auf. Am Ende macht es dem Publikum sogar richtig Spass, die Zugabe per Füssetrampeln zu fordern. Ist das hier Michael Schanze’s ‚eins, zwei oder drei? Ich find’s auf jeden Fall grossartig. Apropos Körper. Es ist schon eine sehr körperliche Angelegenheit. Oft erinnert es einen an Kriegstanz. Mal wird mit Besenstielen gekämpft, mal mit Mülleimerdeckeln. Einmal hängen alle an dem Gerüst und trommeln das es kracht auf dem Schrott rum. Plötzlich machen die wahrlos angeordneten Gegenstanende Sinn- darunter übrigens ein Ortsschild aus good old Germany-indem Fässer und Tonnen zu Trommeln werden, Felgen und Schilder zu Becken.

Sie tragen Unterhemden und schwere Schuhe, unisex und ziemlich zerlumpt, Strassenkunst auf grosser Bühne. Sie gehören zum Stamm derer, die in den Hinterhöfen wohnen, am Strassenrand und unterwegs. Und dies ist ihr Ritual, ihre Art die Lebensgeister zu beschwören und zu zelebrieren. Dreadlocks und Blech gehören nicht zu ihrer Tracht. Um dick aufzutragen genügt ihnen ja ihre Arbeit. Denn zehn Wochen lang jeden abend aufzutreten ist harte Arbeit, ganz abgesehen von der Vorbereitung. Und dann kommt der Brüller, die größten Plateausohlen der Welt: Skischuhe mit Ölfässern als Sohle, so stampfen sie über die Bühne. Einfach göttlich.

Stomp ist nicht immer Lärm, der Wechsel von laut und leise, die Balance zwischen Kraft und Gefühl ist immer wohl dosiert, man trifft den Ton genau. Einmal wird es ziemlich skuril, als ein Rhythmus aus -unter anderem-Husten, Nase hochziehen, lachen und seufzen entsteht. Jede Nummer hat ihren Reiz, kein Ausfall will sich einschleichen. So vergeht der Abend wie im Flug, und ich geniesse jeden einzelnen Beat. Sollte ich also versuchen, selbst bei Stomp mitzumachen? Feste Schuhe und Rhythmusgefühl habe ich ja. Doch ich glaube ich werde mich aufs Zuschauen beschränken, was fast genausschön ist wie es als Performer sein muss, und weniger anstrengend obendrein.

Gerade habe ich gelesen, daß Stomp noch einen Monat länger lauft, um die große Nachfrage zu stillen. ‚Demand‘ passt irgendwie besser. Das Volk verlangt nach mehr, wie der beleidigte Baron: ‚Ich verlange Satisfaktion!‘ No Problem, just buy a ticket.

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