Tocotronic: K.O.O.K.

Tocotronic – K.O.O.K. Es gibt zwei Dinge, die darüber hinweg täuschen könnten, wie genial Tocotronic in Wirklichkeit sind: ihr monotoner, gelangweilter Gesang und die brachialen, etwas statischen Gitarren-Riffs. Doch unter der spröden, minimalistischen Oberfläche lodert und brodelt es, denn niemand kann es auf so viele unterschiedlichen Weisen schrammeln und krachen lassen, wie das Trio aus Hamburg!

Harte Saiten-Arbeit ist zweifellos das Tocotronic-Fundament, doch „K.O.O.K.“ lebt auch von seinem Space-Touch, der dem Album unüberhörbaren Glam-Charme verleiht! Es wabert, blubbert, zischt, wah-wah-t und spirrelt aus allen Poren. Synthies, Casios und Moogs kommen zu Ehren und unterstützen die dilettantisch-infantile Attitüde, mit der Tocotronic zumindest handwerklich gern kokettieren.

Mit Retro hat das allerdings nichts zu tun, denn Tocotronic verfolgen unbeirrt ihren eigenen Weg, und auch ihre leiernden, provozierend regelmäßigen Hooks, die in raumgreifend großen Bögen angelegt sind, lassen sich nicht von selbigem abbringen. Sie scheinen das Wesen des Rock tatsächlich verinnerlicht zu haben, so vorhersehbar, fast banal, scheinen ihre Harmoniewechsel. Doch – einmal mehr – Vorsicht: Tocotronic wissen dies selbst am besten und treiben ihre Fertigkeit mitunter so auf die Spitze, daß man leicht süchtig davon wird! Ich verweise auf Endlos-Strophen mit hymnenartigen Gesängen in „Die neue Seltsamkeit“ und „Morgen wird wie heute sein“, die so vertraut scheinen wie Mutters Apfelkuchen und so euphorisch machen wie die ultimative Droge! Zumindest mich.

Stilistisch gesehen ist „K.O.O.K.“ ein Opus Magnum, die 70 Minuten sind vollgepackt mit den unterschiedlichsten Spielarten: kraftvoller Gitarren-Crunch, sumpfige Slide-Guitars und noise-artig überfrachtete Verzerrer-Kakophonien, aber auch überraschend kontemplatives Akustik-Gezupfe. Der typische Tocotronic-Song befindet sich permanent im Fluß, aber es finden sich genauso seltsam auseinandergerissene Takes mit aufdringlichen Breaks und We-will-rock-you-Beats („Um die Ecke (gedacht)“).

Relativ häufig, aber immer dezent, greifen die Hamburger zu Streicher- und Bläser-Arrangements, so etwa im hinlänglich bekannten „Let there be Rock“ mit seinem auffällig bei Europes „Final Countdown“ geklauten Intro (eines der spärlich verwendeten Zitate auf der CD) und den schlurfig-lahmen Akkordwechseln, die von Waldhörnern, Baßklarinette und Tenorsaxophon geerdet werden.

Harmonisch wesentlich virtuoser geht es in „Das Geschenk“ zu, und in „Tag ohne Schatten“ klingen die Synthie-Einsprengsel ungewohnt abstrakt – man sieht also, auf einen Nenner sind Tocotronic nur in ihren Basics zu bringen, nicht in der Umsetzung!

Die Melodien sind samt und sonderns simpel und gelungen, jedoch nie wirklich fröhlich-poppig, sondern meist schräg-spröde und in „Jenseits des Kanals“ sogar direkt düster und unheilschwanger. „K.O.O.K.“ kommt zwischen den Zeilen mit viel Understatement und lasziver Ironie daher, alles resultierend aus dem abgehangenen, aber nur scheinbar lässigen Stil. Es ist wie bei schwimmenden Krokodilen: sie sind keine Baumstämme, und schaut man richtig hin, sieht man am trägen Körper ihre kleinen, listigen Äuglein blinzeln!!! Bravo, Kroco – äh, Tocotronic!

Nur noch ein kleines Wort zu den Lyrics, die sich irgendwo zwischen englischen Zeilen in aphoristischer Kürze und aneinandergereihten deutschsprachigen Banalitäten einpendeln und sich wie gewohnt engigmatisch bis absurd präsentieren. Ich gebe freimütig zu, mir geht´s grundsätzlich mehr um die Musik, und ich hab auch keine Lust, so zu enden wie eine ARD-Sportreporterin, die den Träger des grünen Trikots bei der Tour de France, Erik Zabel, jüngst im Ziel abfing mit der als Frage verkleideten Unverschämtheit, ob er seine neuerliche Sprint-Führung dem Umstand verdanke, daß andere Sprint-Stars die Tour für sich bereits beendet hätten?! Ein zu Recht verdutzter Zabel ließ sich die Frage gleich nochmal wiederholen, aber traurigerweise hatte er sie schon beim ersten Mal richtig verstanden… Schlecht wird mir auch, wenn ich an ein Tocotronic-Interview mit der MTV-Moderations-Heimsuchung „Sophie“ vor wenigen Wochen zurückdenke, die – immer wieder garniert von blechernem Kichern – ihre

„In-Song-XY-singt-Ihr-BlaBla…-was-meint-Ihr-damit?“-Schablone auf so ziemlich jeden Take des Albums anwendete. Tocotronic trugen es mit Fassung, ich weniger und schweige deshalb an dieser Stelle still. Hört Euch die Texte selbst an und Macht Euch welchen Reim auch immer drauf. Und viel Spaß dabei!

Tocotronic: K.O.O.K.
(L´Age D´or)

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