Phat World (2)

Zweiter Teil von Phat World und ich muß erst meinen Senf vorausschicken. Ich möchte die Kolumne um die Stilrichtung R&B bzw. Soul erweitern, ansonsten hätte Mary J. Blige in dieser Ausgabe nichts zu suchen gehabt. Ach ja, in der letzten Kolumne hatte ich Sven Franzisko oder Lotto Ohm erwähnt, die mit „Hinter Diesen Mauern“ (WEA) das Titelstück zu dem Game „Dungeon Keeper 2“ geschrieben haben. Die im Handel erhältliche Single ist großartig. Die drei Remixe (die auf meiner Version nicht waren und ich somit nicht erwähnt hatte) sind absolut empfehlenswert und besser als der übliche Remix-Quatsch. Better check it out! Jetzt aber viel Spaß mit Phat World!

Wir starten im Süden: München, Sitz machtgieriger und korrupter Politikerköpfe, hat weit mehr zu bieten als drei mal elf ausgewachsene Kinder, die einem Ball hinterherrennen. Da wären zum Beispiel Blumentopf aus Freising, die seit 1997 auf der deutschen HipHop-Karte ihr Fähnlein stecken haben. Ihr Debüt „Kein Zufall“ verkaufte sich bis dato über 25.000 Mal. Diese Marke soll mit „Grosses Kino“ (Four Music/Sony Music) natürlich übertroffen werden. Ein Geniestreich ist ihnen aber leider nicht gelungen. Sie werden den deutschen HipHop keineswegs revolutionieren können. Für meinen Geschmack sind zu viele Zitate ihrer heimischen Kollegen in ihre Texte gepackt worden. Doch halt, nur damit wir uns verstehen: „Grosses Kino“ ist weit mehr als Durchschnitt, es fehlt lediglich der letze Kick.

Bislang liegt mir nur die Genuine Draft Version vor, aber DJ Thomillas Song „Schnapsidee“ (Benztown Records/edel) ist eine feine Sache. Der Stuttgarter DJ hat sich mit Wasi (Massive Töne) und Dendemann (Eins, Zwo) zwei wirklich klasse MCs geangelt. Da stimmen alle Raps. Was auf die Beats eh zutrifft, die genüßlich aus den Boxen tröpfeln. Kolchose-Mann Thomilla wird mit seinem demnächst erscheinenden Album „Genuine Draft“ auf jeden Fall was reißen können. Haltet Augen und Ohren offen.

Zeb.Roc.Ski wollte mit Def Cut, dem Schweizer HipHop-Fachmann, mal eine Single machen. Dieser Plan entwickelte sich schnell zum Selbstläufer und so wurde es gleich ein ganzes Konzeptalbum. „Official Battle Superbreaks“ (MZEE/EFA) schlägt eine Brücke zwischen HipHop, House, Drum’n’Bass und Big Beat. Oft kann man beim Hören der Stücke, die stark von der alten Schule geprägt sind, den Arsch nicht stillhalten. Am liebsten würde man gleich auf die Tanzfläche stürmen und seinen Körper zu den Beats kreisen lassen (wenn man es denn kann). Auch die, die nicht tanzen können/wollen, werden mit „Official Battle Superbreaks“ ihren Spaß haben. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Das einzige Problem ist nur, dass ich nicht weiß, ob ich die Platte nun in das HipHop- oder das Big Beat-Fach stellen soll. Seufz!

Tyron Ricketts, Akanni Humphrey, Cecile Didierjean-Brown, Coldfingha und DJ B. Side sind Mellowbag. Tyron werden einige sicherlich noch aus seiner Zeit als Moderator der ‚Viva‘-Sendung „Wordcup“ in guter Erinnerung haben. Dass er sich nicht nur gut auf der Mattscheibe macht, sondern auch als Rapper sein Mikrophon beherrscht stellt er seit Jahren mit Mellowbag unter Beweis. Stilistisch gesehen ist die multikulturelle Truppe mit keiner anderen deutschen Crew gleichzusetzen – und das nicht nur weile die Raps auf Englisch sind. Am ehesten könnte man ihnen noch Geistesverwandtschaft mit dem Freundeskreis nachsagen. „Bipolar Opposites“ (WEA), ihr zweites Album, hat viel Soul und ist voller gefühlvoller Tracks, die sich nicht als schnelle Stimmungsmacher verstehen. Mellowbag kratzen unter der Oberfläche und suchen die Tiefe. Cecile erweist sich dabei als angenehme Blüte im von Männern beherrschten HipHop-Zirkus. Sie hat eine Stimme, die einem das Herz zum Schmelzen bringt. Wenn sie mal pausiert überzeugt der Track durch ein klasse Sample oder gar live eingespielte Instrumente wie Piano („Life Ain’t Easy“). Was soll ich sagen? Wer keinen Bock auf deutschsprachigen HipHop oder harte Sprüche hat, der sollte sich „Bipolar Opposites“ anhören. Natürlich ist auch „Tabula Rasa“, der Hit in Kooperation mit Mr. Gentleman und besagtem Freundeskreis, auf dieser CD. Ein Grund mehr zuzugreifen.

Zurück zu den harten Sprüchen. Afrob hat das Image des bösen Großstadtjungen. Alleine schon das Cover kann einem Angst einflößen. Ich sage nur: Wenn Blicke töten könnten. „Rolle Mit HipHop“ (Four Music/Sony Music) heißt seine Interpretation der HipHop-Kultur. Das Cover jedenfalls führt einen schon mal in die Irre, denn er läßt nicht immer den toughen Reimer raushängen. Selbstdefinition ist das zentrale Thema seiner Texte, die nicht ausschließlich mit Wucht und Kraft um die Ecke kommen. Für die Samples wurden einige Soundfragmente aus dem Ärmel geschüttelt, die einen nur staunen lassen. R&B-Refrains, Spinett- und Flötenklänge und andere obskure Sounds wurden ohne Probleme geschickt in die Tracks eingefügt und ergänzen sich harmonisch zu Afrobs Raps.

Auch bei Afrobs Labelkollegen will ich ein Ohr riskieren. Freundeskreis (FK) haben nach „Quadratur des Kreises“ endlich den Nachfolger „Esperanto“ (Four Music/Sony Music) fertiggestellt. Sie sind die Saubermänner der Szene, obwohl die Jungs auch gerne mit der Faust auf den Tisch hauen, wenn die Teeniepresse meint, MC Max als den „Jesu aus Benztown“ zu taufen. Es war kein feiner Zug von der ‚Bravo‘, ein gefaktes Interview mit einem noch viel mehr gefakten Image abzudrucken. Zurück zu FK: Die zeigen sich gegenüber fremden Kulturen und deren musikalischen Einflüsse wie gewohnt aufgeschlossen. Gleich schon der Opener „Kore Bonvenon/Intro“ stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Ihre Songs sind rund. Da fehlt es an nichts. Klug, durchdacht und bis auf das letzte i-Tüpfelchen perfekt inszeniert. Der Titelsong ist ein Geniestreich, wie ihn eben nur der FK machen kann. Ich liebe Maximilians Stimme und wenn die von Deborahs Vocals (Sensunik) abgewechselt wird, dann läuft mir der Schauer den Rücken runter. Maximilian, Don Philippo und DJ Friction und „Esperanto“ sind eine Einheit. Romantik, viel Gefühl, eine schöne Zeit, Beats und Raps fürs Herz und den Kopf. Lehnt euch zurück und genießt dieses Stück HipHop-Geschichte. FK zeigen keine Schwäche – im Gegenteil, sie überbieten „Quadratur Des Kreises“. Ich könnte noch so viel schwärmen…

… und tu dies auch, denn gerade ist Udo Lindenberg feat. Freundeskreis frisch auf meinem Tisch gelandet. Erste Sahne, sag‘ ich euch. Ich bin eigentlich kein Freund des heiseren Mannes, der mit alberner Sonnenbrille und Hut sein musikalisches Unwesen treibt, doch dieses Mal hat er Größe bewiesen. Die Jungs haben den Song „You Can’t Run Away“ (Polydor/Universal) von Bob Marley in Angriff genommen. Ausnahmsweise hat selbst die 3P-Posse was Gutes dazu beigetragen. Deren Produzent Sherry N. Ansari (SNA) durfte nämlich remixen. D-Flame, Kumpan von Max, rappte dann auch gleich noch mit. Zucker!

Und jetzt ein paar internationale Vertreter der Zunft. In der Pole Position sitzt Dego McFarlane, eine Hälfte des Drum’n’Bass-Projektes 4 Hero, einflußreicher Produzent und schon seit vielen Jahren HipHop-Fan. Dieser Neigung wollte er ausreichend Tribut zollen und nahm sich nach den vielen Monaten Arbeit mit 4 Hero die Zeit, unter dem Pseudonym Tek9 zwölf HipHop-Tunes zu schreiben. „Simply“ (SSR/EFA) ist kein gewöhnlicher HipHop, sondern mit Hirn und Herz in Szene gesetzt. Er ist bestens geeignet zum Wohlfühlen und Drankuscheln. Hier steckt Arbeit und Leidenschaft drin. Seiner Vorliebe für jazzige Sounds hat er ebenfalls mit einfließen lassen. Manchmal fühlt man sich gar an frühe A Tribe Called Quest erinnert.

Deren ex-Mitglied Phife Dawg knüpft auf der Maxi „Bend Ova b/w Thought U Wuz Nice“ (Groove Attack) dort an, wo ATCQ stilistisch aufgehört hatten. Intelligenter, geruhsamer HipHop, der wie Honig runtergeht. Wenn sich in naher Zukunft Q-Tip ähnlich überzeugend zurückmeldet, können wir eigentlich dankbar dafür sein, dass es die Band nicht mehr gibt. Den Fans jedenfalls sei versichert, dass diese Scheibe jeden Pfennig Wert ist. „Bend Ova“ hat nach Public Enemys Hendrix-Sample in „Do You Wanna Go Our Way ???“ das coolste Gitarrensample des Jahres vorzuweisen.

Von ganz anderem Format ist Noreagas Album „Melvin Flynt“ (Tommy Boy/East West). Er war und ist reimender Gangbanger, der seine Wurzeln nicht verleugnen will. Er sagt schließlich selbst in den Liner Notes: „I’m a gangsta. I was born a gangsta, I’ma always be a gangsta. But I know how to make gangsta music.“ Nach „The War Report“ (zusammen mit Capone entstanden) und „N.O.R.E.“ folgt die Kampfansage Numero drei des gebürtigen New Yorkers Victor Santiago. Als Reaktion auf sein Solodebüt, dessen Stil viele zu kopieren versuchten, will er all den Nachäffern zeigen, dass er noch ein weiteres As im Ärmel hat und mußte „etwas Anderes machen, diese verrückte Figur (Melvin Flynt – der Verf.) erfinden, die allen Trend-Hopsern da draußen die Fersen zeigt. (…) Dieses Album zu machen war schwieriger als ‚N.O.R.E.‘. Ich mußte mich erstmal hinsetzen, alles bedenken, neue Konzepte fürs Studio entwickeln. Der Plan sollte stehen, bevor ich ihn umsetze.“ Sein Stil lockt jedenfalls prominente Fans an: Missy Elliott („Wethuggedout“), Maze („Sometimes“) oder Kelis („Cocaine Business (Hysteria)“, mein Lieblingsstück übrigens). Guter Gansta Rap ist nicht tot zu kriegen, zumindest nicht solange Noreaga weitermacht.

Sie hat ganz gewiß eine großartige Stimme, liebe Leser. Mary J. Blige ist die, der in den folgenden Zeilen die Ehre zuteil wird, neben Lauryn Hill auf dem Thron Platz nehmen zu dürfen. „Mary“ (Polydor/MCA/Universal) gibt 15 Anlässe dazu. Vielleicht werde ich alt (oder bin es schon). Früher hätte ich nicht zugelassen, dass mich Musik berührt und mein Herz derart zum Erweichen bringt. Heute bin ich froh, wenn das geschieht. Mary J. Blige muß lediglich ihre Stimmbänder zum Vibrieren bringen und solche Töne hervorbringen wie in „All That I Can Say“ (geschrieben und produziert von Lauryn Hill), „Memories“, „As“ (Duett mit George Michael, geschrieben von Stevie Wonder und produziert von Babyface!), „Time“ oder „Don’t Waste Your Time“, dem Duett mit Aretha Franklin (abermals von Babyface produziert). Dann bin, nein, bleibe ich ewig ihr untergebener Diener und ziehe meinen schäbigen Hut. Es lebe die Euphorie!

The Roots haben bekanntermaßen mit „Things Fall Apart“ mal wieder von sich Reden gemacht, jetzt war es an der Zeit, dass Rahzel, Mitglied besagter Crew, auf seine Solokarriere aufmerksam macht. „Make The Music 2000“ (MCA/Universal) soll nicht nur Roots-Fans, sondern all diejenigen begeistern, die sich für Freestyle-Rap interessieren. Rahzel ist nachweislich ein Genie wenn es darum geht, seinem Körper Rhythmen und Sounds zu entlocken. Die lebendige Human Beat Box schimpft sich „Godfather of Noyze“. Lediglich mit seinen Lippen, Backen, dem Kehlkopf und einem Mikrofon bewaffnet groovt er mehr als manch ein Möchtegern-DJ oder -MC. Huldigt dem größten microphone champion aller Zeiten. So muß HipHop klingen, dann geht was!

Kevi und die Background-Sängerinnen Anita Kopacz und ihre Schwester Michelle hatten irgendwie keine Lust auf ein reines HipHop-Album und schmissen zahlreiche Einflüsse von Rock bis Easy Listening in einen Topf und probierten ein neues Rezept aus. Das nennt sich 1000 Clowns und serviert mit „Freelance Bubblehead“ (Elektra/eastwest) gerade den ersten Gang. Dass Kevi kein ausgezeichneter Rapper ist, möchte er gleich mit dem zweiten Stück „(Not The) Greatest Rapper“ betont wissen. Aber so schlecht ist er gar nicht. Besonders seine Texte sind überdurchschnittlich unterhaltsam. Sie strotzen vor Humor, was übrigens gleichermaßen auf die Musik zutrifft. Auch Fans von Fun Lovin‘ Criminals, Beck oder Ween werden dieses Album lieben, da bin ich mir sicher. Sehr zu empfehlen.

Zur letzten Scheibe in dieser Ausgabe: Hinter dem Projekt Quannum stehen verschiedene Künstler, die ihre Kräfte konzentriert haben, um den Menschen zu zeigen, wie vielfältig heutzutage das Spektrum des HipHop sein kann. Quannum Spectrum ist die moderne Mix-Tape-Variante auf CD/LP. Diese trägt den Titel „Quannum Projects“ (MoWax/PIAS/Connected) und gibt einen wirklich abwechslungsreichen Überblick über das Quannum-Empire. Latyrx, Blackalicious, Lyrics Born und DJ Shadow geben sich hier die Ehre. Als Gäste sind El-P (Company Flow) und Jurassic 5 am Start. Alles in allem ein relaxtes und smoothes Album, das immer Laune und daher Lust auf mehr macht.

Vorschau auf den Oktober: DJ Thomilla, Ferris MC, Die Firma , KC Da Rookee, Ice T, Handsome Boy Modeling School, Screwball, Ol‘ Dirty Bastard

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