Der Sommer kommt auf valiumgetränkten Füßen. Vielleicht ist er auch nur noch nicht richtig wach, wer weiß. Vielleicht ist es auch nur, dass ich den Sommer meines Lebens kommen spüre. Dies wird ein melancholisches Nähkästchen… Woran ich das merke, das mit dem Sommer? Daran, dass die Frauen mit kleinen Kindern langsam jünger sind als ich? Nö. Daran, dass ich mir gerade „The Girl from Ipanema“ gekauft hab? Ja. Du liebe Güte, wenn man auf sowas steht, ist man alt. Es braucht schon eine milde Depression, um sowas gut zu finden. So wie Stan Getz damals, als er sich dachte: Ich schreib mal einen Latin-Song, der alle Klischees von wegen „feurig“, „temperamentvoll“ und so… Lügen straft. Statt dessen heb ich die Apathie aufs Schild. Und eine Sängerin, die kaum den Mund aufkriegt und gleich vorm Mikro einschläft. Kommt trotzdem gut. Und ist dennoch gewagt, sowas auf einen Sampler namens „Jazz Samba“ zu packen. Aber da ist noch mehr von der Sorte drauf: „Tristeza“, „Cried, Cried“, „If you went away“… Na, dieser Sommer kann ja heiter werden.
Woran ich noch merk, dass ich erwachsen werde? Ich guck bei Eiskunst-WM mittlerweile das Eistanzen lieber als das Eiskunstlaufen! Ausdruck vor Artistik. Kaum zu fassen. Für mich selber nicht. Früher konnte ich gar nicht genug Sprünge, Schleifen und gefährliche Hebungen sehen, die Eistanzschnösel fand ich dagegen einfach nur öde. Und jetzt guck ich mit Hingabe, wie sie sich biegen und strecken, lautlos übers Eis gleiten (Also – die Guten! Bei den Schlechten knirscht und schleift es, dass sich einem die Haare zu Berge stellen…) und zu komplizierten Schrittfolgen förmlich miteinander verschmelzen. Demnächst geh ich vielleicht noch ins Ballett, Du liebe Güte. Würd mich gar nicht wundern. Dann haben die Frauen in meinem Alter vermutlich schon Enkel. Hoff ich.
Nochmal zum Eistanzen. Ich bin ja schon seit Jahren ein Fan des französischen Paars Anissina/Peizerat. Wo sie auch mal ihn trägt. Aber langsam find ich das langweilig. Heimlich bin ich ohnehin der Meinung, dass sie ihre Punkte mittlerweile eher für die imposante Mähne von Gwendal Peizerat kriegen. Das muß doch jedem Preisreichter imponieren, dieses flatternde blonde Haarwerk im Fahrtwind… Und während die Bewunderung unterschwellig Hof hält, zack, hat man schon ein Zehntel mehr gegeben, als man eigentlich wollte. Und überhaupt: inzwischen find ich die Performances der beiden, vor allem aber von ihm, hoffnungslos überdramatisiert. Lieber Himmel, mehr Pathos geht ja gar nicht mehr. Deshalb war ich diesmal aus Protest für dieses zurückhaltende Pärchen aus Litauen. Die ganz unspektakulär ihre wunderschöne Kür absolviert haben. So unspektakulär, dass man auf den ersten Blick gar nicht gemerkt hat, wie anspruchsvoll die Choreographie in Wahrheit war. Aber der Kommentator, Daniel Weiss, hat´s ja gesagt. Also wird´s schon stimmen. Und eine schöne Musik hatten sie auch. Irgend so´ne Pop-Version von Tosca. Hing mir noch lange im Ohr. So wie damals, bei den Duchenets, die Untermalung ihrer tollen Kür Anfang der 90er. Da ging´s so um Lebenszeit, Zeit an sich, Endlichkeit und so. Also, wenn ich CD-Händler mit E-Musik-Repertoire wäre, würde ich mir sämtliche Eiskunstlauf-WMs und -EMs reinziehen. Das wäre garantiert mein Saison-Höhepunkt. Dann wüßte ich sofort, wenn die ersten kämen: „Ja, diese Chinesin ist zu einem Nocturne von Chopin gelaufen. Opus 312, Dis-Moll, hab ich da.“ Wenn ich klug wäre, würd ich schonmal vorab bei irgendwelchen Qualifikations-Wettkämpfen reinhören oder mit dem Welt-Eislaufverband telefonieren, damit ich rechtzeitig ordern kann und auch sicher alles vorrätig hätte. Wenn Leute wie ich (zurückgeswitcht…) dann am Tag danach kommen und sagen, da war sowas, und das klang ungefähr so, kann ich denen helfen. Wenn ich klug wäre. Und CD-Händler.
Das Ende meiner Jugend ist also konkret zu datieren. Meine Jugend selbst lag irgendwo zwischen Jetzt und einem Vorfall im Jahr 1984. Damals verließ ich nach zehn Minuten verstört ein Kino, in dem „Zeit der Zärtlichkeit“ lief. Ich war fast 12 und einfach noch zu jung für sowas. Ich gehörte auch nie zu den Kindern, die am liebsten Erwachsenen-Bücher gelesen haben, was ja eigentlich fast jeder gemacht haben will, der was auf sich hält. Und in „Zeit der Zärtlichkeit“ bin ich damals auch nur, weil ich nun schonmal vorm Kino war und grad nichts Besseres kam. Oder sonst nur Science Fiction, die ich ja bis heute nicht mag. „Falsche Sozialisation“, meint der Chefredakteur. Ich hab übrigens „Zeit der Zärtlichkeit“ noch immer nicht gesehen. Ich versuch es immer wieder, aber es entgleitet mir doch jedesmal. Beim nächsten Mal nehm ich´s mir auf Video auf, ganz bestimmt. Weil, Lust hab ich schon. Und jetzt bin ich ja auch im richtigen Alter. Aber mit 12, und dann Shirley MacLaine – ? Nein! Von Jack Nicholson gar nicht zu reden… Shirley MacLaine ist eigentlich schon klasse, aber für ´ne 12-jährige definitiv zu strange, denke ich. In den 10 Minuten damals ist gar nichts Schlimmes passiert, ich konnte nur so wenig mit der Handlung anfangen wie bis dato noch mit nichts in meinem kleinen Leben. Also hab ich den Raum seltsam berührt verlassen. Aber die Sache geht mir immer noch nach. Auch wenn man´s vielleicht nicht merkt.
Ich mag nicht mehr jung sein – in einem Punkt bin ich aber immer noch die Alte: Ich hab Angst vor lauten Geräuschen. Heute hab ich den Ton abgestellt, als im Fernsehen jemand einen Luftballon aufblies. Das sieht mir ähnlich. Ich selbst blas sowieso schon lange keine mehr auf. Ich verlasse auch augenblicklich den Raum, wenn es jemand anderes tut. Geburtstagsfeiern bei mir sind trotzdem sehr bunt. Gibt ja Luftschlangen, Konfetti und so.
In einem der früheren Nähkästchen hab ich mich über Songzeilen ausgelassen, die ich akustisch nicht zusammenbekomme. Heute will ich mal ein paar vorstellen, die ich verstehe, und die mir noch dazu viel Freude bereiten. Ich fange zum Beispiel immer bei einem bestimmten Lied von Crosby, Stills, Nash&Young an zu lachen. Das mag Millionen anderen auch so gehen, aber bei mir hat es schon einen speziellen Grund. Ich rede natürlich von „Teach your children“. So lautet auch eine Zeile im ersten Refrain: „Teach. Your children well“. Ja, ganz recht, im ersten Refrain. Denn C,S,N&Y erlauben sich (und uns) den Spaß, bei der Wiederholung des Refrains ein Wörtchen auszutauschen: „Children“. Gegen „Parents“. „Teach. Your parents well“. Hihi! Die betuliche Pädagogik im ersten Teil ist schon lustig, aber den warnend, wenn auch gönnerhaft, erhobenen Zeigefinger dann auch noch gegen die Kinder zu erheben – hihi! Es soll die kleinen Racker wahrscheinlich ermutigen, initiativ zu werden. Den Eltern mal Bescheid zu stoßen, aber auch selbst Verantwortung zu zeigen. Damit´s kein zweites Vietnam gibt. Hauptsache, wir haben mal drüber gesungen, Du. In engelsgleichen und wunderbar artifiziellen Harmonien. Das konnten Sie, die C,S,N&Y. Sogar das Y, obwohl das Singen ja nicht so zu seinen Stärken gehört. Da kann man mal sehen, was die Gemeinschaft ausmacht.
Auch Gram Parsons brillierte als Sänger nicht immer, selbst wenn unterm Strich stets ´was Geniales bei rum kam. Wie ich immer zu sagen pflege: „Die Flying Burrito Brothers klingen so ähnlich wie später die Eagles. Aber sie hatten etwas, was den Eagles fehlte. Nämlich Seele. Esprit.“ Leute aus meiner näheren Umgebung wissen, wie gern ich mich selbst mit diesem Satz zitiere… Also, meine Lieblingszeile aus einem Gram Parsons-Song (allerdings solo, ohne die Flying Burrito Brothers) ist: „One more night like this would put me six feet under“. Na, ist das Poesie? Nein, ich weiß. Aber trotzdem.
Und weil Gram Parsons im Grunde kein solch überragender Sänger war, machte er sich daran, eine Frau zu entdecken, die ihm in diesem Punkt weit voraus war: Emmylou Harris. Und auch sie nennt eine Zeile ihr eigen, die mich immer wieder schmunzeln lässt: „Love is a Steel Guitar“. Ach, herrlich.