Phat World (14)

Im CD-Player und auf dem Plattenteller rotierten Tonträger von R.A.G., Momentaufnahmen 2 (Sampler), Da Beatminerz, Akbar, Kurupt, 6 Shot, Cormega, Eins, Zwo, Nina, Remedy, MC Solaar, Square One und Redman.

Der Pott kocht. Erst wird der Fußball wieder erstklassig und international tauglich, dann kommt auch die Ruhrpott AG (R.A.G.) wieder auf den Plan, um uns eine besinnlichere Dosis HipHop zu injizieren Mit „Pottential“ (Motor/Universal) setzen sich die vier Pottler vom Gros ihrer Kollegen ab. Kein Battletexte, kein Dauer-Gedisse, keine Macken, keine Allüren. In der Tradition der Native Tongue wabern die Songs gemächlich vor sich hin und unterfüttern die gehaltvollen Reime der Vier. Der Verzicht auf abgedroschene Samples und Beats tut sein Übriges, dieses Album zu einem besonderen zu machen. Es wäre schön, der R.A.G. würden weitere Bands folgen und das Liebäugeln mit aktuellen Trends im US-HipHop hätte ein Ende.

Roey Marquis hatte im November 2000 ein Mixtape namens „Momentaufnahmen 2“ in Umlauf gebracht. Vor kurzem ist nun eine CD-Variante erschienen (Label/Vertrieb: Fullscale/BMG). Marquis hat sie nicht nur kompiliert, sondern gleich auch in New York abgemischt. Bis auf ein paar wenige Tracks, die der Meister für so gut erachtete, dass er sie in ihrer ursprünglichen Form auf CD brannte. Das Album gibt einen Überblick über viele deutsche Acts, die a) schon bekannt und etabliert sind oder b) kurz vor dem Sprung in die Bundesliga sind. Alle aber kommen aus dem umfassenden Umfeld von Roey Marquis, der bei diesem Projekt die Fäden fest in der Hand hielt. Mir sind die Tracks zu trocken und zu unspektakulär.

Ach Gott. Wieder eine dieser nervigen Snippet CDs mit diversen Skits zwischen und mitten in den Songs. Das macht wirklich keinen Spaß. Wenn die lieben Plattenfirmen und Künstler den Schreibern nicht mehr trauen, dann sollen sie doch bitte keine CDs mehr rausschicken. Das hier ist eine Zumutung. Sorry! Das, was zwischen dem Generve ans Ohr dringt, klingt dabei vielversprechend. Schließlich haben wir es mit Rawkus zu tun. „Brace 4 Impak“ (Rawkus/PIAS/Connected) heißt das Album von Da Beatminerz. Sie haben ein klares Ziel vor Augen: „We’re bringing hiphop back to the boom bap – the basslines, the hard kicks and the snares“. Das verspricht DJ Evil Dee, der mit seinem Kollegen Mr. Walt als Remixer für The Roots, Eminem, D’Angelo und andere bekannt ist. Für die Raps haben sich die beiden viele HipHop-Größen geangelt: Talib Kweli, Total, Pete Rock, die Flipmode Squad und Monie Love, um nur einige zu nennen. Hier geht es knallhart zur Sache. Da beben die Boxen. Da rauchen die Speaker. Aber wirklich großartig ist die Scheibe dann, wenn sie ruhigere Töne anstimmt: „Open“, „How We Ride“ und „Let’s Talk About It (T.R.O.Y. Remix)“. Die sind nur leider selten.

Lauter, versierter und effektvoller kommt Akbar daher. Auf „Big Bang Boogie“ (Ill Boogie/Groove Attack) erklärt er dem Hörer erst einmal, was er unter HipHop versteht. Er kommt aus dem tiefen Underground und bleibt ihm auf seinem Debüt zweifelsfrei treu. Es passiert nicht oft, dass zeitgenössische US-Veröffentlichung den Spirit von einst vermitteln können. Doch Akbar ist auf dem besten Wege, gute Musik mit guten Texten erneut salonfähig zu machen. Nix whores, tits, asses, money and jewellery everywhere. Hier geht es um Weltanschauung eines Intellektuellen, nicht um die eines verkappten hustlers. Man könnte meinen, die Textzeile „bigger dey come, harder dey fall“ („Bigger Dey Come“) wäre all denen gewidmet, die auf den schnellen Dollar aus sind. Akbar denkt anders. Er verkörpert HipHop-Kultur, weiß, was es heißt MC zu sein und Reime zu schreiben. Die Produktion der Tracks kann übrigens mit dem anspruchsvollen Inhalt der Texte locker Schritt halten. Damit hat er sich seinen Namen wahrlich verdient. Denn Akbar heißt im Arabischen „der Größte“.

Kurupt ist zurück. Nachdem er uns vor zwei Jahren mit „Tha Streetz Iz A Mutha“ ein waschechtes Old School-Gangsta-Album aufgetischt hat, muss man feststellen, dass sich im direkten Vergleich auf „Space Boogie: Smoke Oddssey“ (Antra/PIAS/Connected) nicht viel verändert. Es geht ums Übliche. Sollte man bei Young Gotti nicht so sehr auf die Texte achten, überzeugt die Musik, die von den Newcomern Farid Nasir und Joe Marrone bereitgestellt wurde: Perfekter Spät-80er/Früh-90er-Sound, wie ihn seinerzeit N.W.A., Ice Cube und Paris gemacht hatten. Hach, das waren noch Zeiten. Kurupt selbst sagt ja über die Musik, sie sei lediglich für die Leute in Los Angeles konzipiert. Andere können sich ebenso an dem Retrosound erquicken.

„Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Revolver, also haben mir unsere Nachbarn schon früh den Spitzname 6 Shot gegeben“, sagt eben jener 6 Shot. Ist ja interessant. Weniger interessant ist leider das, was auf seinem mit „The Actual Meaning“ betitelten Album (Tommy Boy/Eastwest) passiert. HipHop, wie wir ihn schon zu Genüge aus Übersee kennen. Ohne nennenswerten Besonderheiten oder auch nur eine einzige neue geschweige denn originelle Idee. Nee, nee, nix wie weg damit.

Amerikanischer HipHop muss nicht immer gleich lautem Gebell und toughe Rapper sein. Cormega, Underground-Rapper aus Queensbridge, geht einen anderen Weg. Auf seinem Debüt „The Realness“ (Hydra/Groove Attack) poltern die Beats mit ungeheuerer Lässigkeit aus den Boxen. Die Stimmung der Songs ist absolut relaxt. Fast schon nachdenklich und traurig. Denn Cormega beklagt den Verlust einiger enger Freunde („Fallen Soldiers“) und trauert alten Zeiten hinterher („Glory Days“). Ab und zu verfällt er zwar stumpfen, platten Klischees, wie sie im HipHop leider gängig sind, doch der positive Gesamteindruck seiner Reimkunst kann auch dies keinen Kratzer zufügen. Das ist aber nur einer der Gründe, warum „The Realness“ ein empfehlenswertes Debüt ist. Die Produktion der Tracks ist nämlich vom Feinsten. Unter anderem steuerten Alchemist, Ghetto Pros und Havoc ihre Beats bei, während sich Mobb Deeps Prodigy und Tragedy Khadafi mit Cormega das Mikro teilten.

Eigentlich hat es gar nicht so lange gedauert, dennoch ging die Zeit partout nicht rum. Das Warten wollte kein Ende nehmen, die Lust nach Mehr war mit Erscheinen von Eins, Zwos „Gefährliches Halbwissen“ unermesslich groß. Daniel Ebel alias Dendemann und Thomas Jensen alias DJ Rabauke ließen es gemächlich angehen, den Nachfolger „Zwei“ (Yo Mama / Rough Trade) in Angriff zu nehmen. Das viele Lob, das anlässlich des überragenden Debüts über ihren Häuptern ausgeschüttet wurde, musste erst einmal verdaut werden. Dass „Zwei“ keinen enttäuschen wird, der schon mit dem Erstling im Begeisterungstaumel versank, war abzusehen. Dendemann und Rabauke sind Perfektionisten, die kein Ziel kennen, sondern nur einen Zwischenstop zum schnellen Auftanken. Anno 2001 präsentiert sich das Duo mit vollem Tank und einer beneidenswerten Raffinesse. Die Tracks sind wieder verdammt lässig und erhaben. Mit einer Leichtigkeit, die vermuten lässt, man habe im Studio überhaupt keinen Druck verspürt. Rabauke, den Fettes Brot sicherlich schmerzlich vermissen, liefert die wie gewohnt satten Beats und exzellenten Samples. Dendemann wiederum garniert die Tracks mit seiner unnachahmlichen Stimme und seinen intelligenten Raps, die in Deutschland weiterhin ihres Gleichen suchen. Die Zwei sind nicht nur zwei Große. Sie sind die Größten, die den deutschen HipHop auf ein neues Niveau heben können, das andere nicht im Traum zu erreichen imstande sind.

Weit über die Stadtgrenzen von Hamburg bekannt geworden ist sie durch den Deichkind-Hit „Bon Voyage“ und ihre eigne Single „Doppel X Chromosom“. Plötzlich stand sie im Mittelpunkt des Interesses und jeder fragte sich, wer diese Nina ist, die mit einem atemberaubendem Flow der Konkurrenz das Fürchten lehrte. Diese und andere Fragen beantwortet die sympathische Rapperin auf ihrem Debüt „Nikita“ (Motor Music/Universal). Nina hat sich ihre ersten Sporen nicht auf der Bühne, sondern im Studio verdient und dort eifrigst an ihrer Technik gefeilt. Die Akribie zahlt sich aus: „Nikita“ setzt neue Maßstäbe und legt die Messlatte für ihre Kolleginnen verdammt hoch. Dass sie Queen Latifah, Run DMC und Biz Markie zu ihren Einflüssen zählt und dies in „Boom Clack“ verlautbart, ist durchaus nachvollziehbar. „Nikita“ ist kein überproduziertes, trendgerechtes HipHop-Album geworden. Vielmehr ist es eines, das zurück zu den Wurzeln geht und sich aufs Wesentliche konzentriert: Beats und Reime mit hohem Wiedererkennungswert. Es stimmt, wenn sie in „Input“ sagt, dass das „ganz neuer Geschmack an eurem Ohr“ ist. Ihre Raps sind leidenschaftlich, hinreißend und hingebungsvoll. Gleiches gilt für ihre unnachahmliche, sonore Stimme. Und immer kehrt sie das Positive in den Vordergrund: „Ich scheiß auf Gepose und verbale Gewalt, lieber rede ich von guten Gefühlen und Zusammenhalt“ (aus „Boom Clack“). Nina ist ohne Zweifel eine der exzellentesten Rapperinnen dieses Landes. Möge sie noch lange neue Geschmäcker für unsere Ohren liefern.

Irgendwann platzt der Wu-Tang Clan aus allen Nähten. Ein weiterer Neuzugang ist zu vermelden: Remedy, 27 Jahre alt, jüdischer Abstammung und weiß. Nicht unbedingt Merkmale, die für den Wu-Zirkel üblich sind. Aber der Haudegen aus Staten Island hat sich die Credibility hart erarbeitet und das obwohl er aus besseren Verhältnissen stammt. Sein Vater ist Chef eines Firmenimperiums, sein Onkel Immobilienmakler. Seine Texte auf „The Genuine Article“ (Wu International/NTT/Indigo) sind voll von chronologischen Bezüge. In „Whiteboy“ erklärt er, was es heißt, ein weißer unter schwarzen Rappern zu sein. „Never Again“ wiederum ist geprägt von den Holocaust-Erfahrungen seiner Familie: „Never again shall we march like sheep to the slaughter, never again leave our sons and our daughters“. Dass er den Holocaust mit Sklaverei gleichsetzt, war Absicht: „So können sich die HipHop-Kids besser in die Situation rein versetzen“. Auffallend sind die Rock-Samples, die in die Songs eingeflickt wurden. In „Education“ erklingen Pink Floyd, „Words To Live By“ zitiert Black Sabbath.

Keine Sorge, MC Solaar spielt auf „Cinquieme As (Fifth Ace)“ (Eastwest) nicht mit gezinkten Karten. Obwohl der Albumtitel diese Vermutung nahe legt. Er, der zuerst Fußballer werden wollte und dann die Leidenschaft, den Ball zu kicken, gegen das Reimen am Mikrofon eintauschte, gehört zu den ganz großen französischen Rap-Stars. Mittlerweile ist er seit zehn Jahren im Geschäft und hat mit seinem anspruchsvollen Rap auch außerhalb Frankreichs zahlreiche Fans und Bewunderer gewinnen können. Sein fünftes Album respektive As dürfte dem guten Ruf des einstigen Fußballers keineswegs schaden. Mit einem neuen, jüngeren Produktionsteam im Rücken hat er es geschafft, eine Brücke zwischen der alten und der neuen Schule des HipHop zu schlagen und dabei zahlreiche andere Einflüsse einzuarbeiten. Man möchte fast eine Petition unterschreiben, dass künftig alle HipHop-Verse auf französisch gerappt werden. So bezaubernd, rund und vollkommen klingt seine Stimme in Stücken wie „Les Colonies“, „Solaar Pleure“ oder „La La La, La“.

Die Wege des Herrn sind manchmal unergründlich. Ausgerechnet in München liefen sich Anfang der Neunziger die Perser Ali Rakhshandeh und Iman Shahidi zum ersten Mal über den Weg. Zwischen den beiden stimmte von Beginn an die Chemie und sie machten sich, lediglich von einer längeren Pause unterbrochen, daran, eigene Songs zu schreiben. Dabei half ihnen anfangs nur DJ Edward Sizzerhand und später auch noch der aus Amerika stammende Rapper Gianni Dolo alias Scott. So weit zur Vorgeschichte. Mittlerweile ist das Debütalbum „Walk Of Life“ (Showdown/Wea) von Square One auf dem Markt und das dürfte München einmal mehr ins Licht der HipHop-Öffentlichkeit rücken. Die 15 Tracks sind absolut überzeugend und könnten auch auf internationaler Ebene funktionieren. Nicht nur wegen der englischen Raps. Der unwiderstehliche Flow der MCs und die an Old School-Helden angelehnte, entspannte Produktion tragen ihren Teil zu einem gelungenen Debüt bei.

Der kongeniale Duettpartner von Method Man ist zurück. Redman hat nach einigen Gastauftritten hier und da wieder den Solo-Ring bestiegen und treibt den HipHop-Fans mit „Malpractice“ (Def Jam/Universal) die Freudentränen ins Gesicht. Method Man, Redman und Ol‘ Dirty Bastard sind mit die schiersten und irrsten Rapper des Planeten. Um so verrückter sie sich geben, um so mehr muss man sie lieben. Mit unzähligen Freunden und Kollegen im Schlepptau zaubert der irrsinnige Redman sein fünftes Album aus dem Ärmel, das seinem weltweiten Ruf als großartiger Rapper mehr als gerecht wird. Dieses Werk passt in eine Reihe mit dem Method Man/Redman-Longplayer „Blackout!“ und der Single „Oooh“, die er mit De La Soul fabrizierte. Verrückter Hardcore-Rap, von einem der besten Rapper jenseits des Atlantiks, mit der richtigen Prise Humor garniert. An der Produktion, abgeliefert von DJ Kool, Rockwilder und Erick Sermon, ist sowieso nichts zu mäkeln.

Phat World 15 erscheint mit absoluter Sicherheit auf www.hinternet.de. Wort drauf!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert