Steve Marriott: All Too Beautiful…

Zu schön wär’s in der Tat gewesen, wenn Steve Marriott zu Lebzeiten noch mitbekommen hätte, wie seine Art des Songwritings und der Performance – melodisch und schnörkellos, direkt und energiegeladen – von „nachgewachsenen“ Rockmusikern unterschiedlichster stilistischer Ausrichtung geschätzt und teilweise adaptiert wurde. Gewiss, schon zu Punkrock-/New Wave-Zeiten bekannten Mitglieder der SEX PISTOLS, von THE CLASH und THE JAM, dass der „magic midget“ sie beeindruckt hatte, und selbst Hardrock- und Metal-Bands wie QUIET RIOT oder KEEL erwiesen ihm die Ehre. Das freute ihn, und hin und wieder jammte Marriott denn auch, z. B. mit Johnny Thunders oder Ted Nugent.

Marriott machte bekanntlich keine Kompromisse. Er verzichtete auf Ruhm und auch Moneten, als Plattenfirmen ihm eine Solokarriere – nach ihren Vorstellungen – anboten. Kurz vor seinem tragischen Tod 1991 hatte Peter Frampton ihn bei Aufnahmesessions in Los Angeles zum Soundtrack „Harley Davidson & The Marlboro Man“ für eine Neuauflage von HUMBLE PIE gewinnen wollen. Nix für Steve, der von Reunions bedient und dem auch der „Oldie-Circus“ mit abgehalfterten Bands ein Gräuel war. Dass er nach den Erfolgskapiteln mit den SMALL FACES in den 60ern und HUMBLE PIE in den 70ern nunmehr durch Pubs und oft miese Clubs tingelte, störte ihn nicht sonderlich. Sein „way of life“ war von Bescheidenheit geprägt; Starrummel und -ruhm konnte er nicht ab.

Gleichwohl wäre eine Glorifizierung zum aufmüpfigen Rock’nRoll-„Gutmenschen“ nicht angebracht. Bei aller Wertschätzung des fast schon in Vergessenheit geratenen Shouters und unterschätzten Gitarristen verzichten Paolo Hewitt und John Hellier erfreulicherweise auf jegliche „Heldenverehrung“. Denn sie wissen nur zu gut, dass Marriott nicht immer der nette, umgängliche, unkomplizierte Rockmusiker war.

Beide Autoren hatten schon Mitte der 90er Jahre jeweils großformatige Text-/Bildbände zur Geschichte der SMALL FACES herausgebracht bzw. maßgeblich an ihnen mitgewirkt (Paolo Hewitt: „The Young Mods‘ Forgotten Story“; John Hellier, übrigens Herausgeber des exquisiten Fanzines „Wapping Wharf“, als Informant bei „Quite Naturally“ von Keith Badman & Terry Rawlings). Seinerzeit spielte das Psychogramm Steve Marriotts kaum eine Rolle. Und das ist der große Unterschied zu anderen Biographien, die sich mit Leben und Werk des Londoner East Enders beschäftigen. Hewitt & Hellier haben ausführlich mit Menschen aus Marriotts Umfeld gesprochen, mit der Mutter, der Schwester, weiteren Familienangehörigen und ehemaligen Musikerkollegen. Und da wird deutlich spürbar, dass Marriott ein Getriebener war, der auf der Bühne alles gab, der aber auch Phasen hatte, wo er durchhing, wo er sich abschottete, seine Mitmenschen drangsalieren und nerven konnte. Seine permanenten Stimmungsumschwünge verunsicherten die Familie, Freunde und Fans. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht vermuten die Autoren denn auch eine latente Schizophrenie, unter der Marriott litt.

Aber keine Angst, die musikalische Seite kommt nicht zu kurz. Die Karriere-Achterbahn wird auch sehr anschaulich nachgezeichnet; die Diskografie ist zwar etwas unübersichtlich, belegt aber seinen Tatendrang, wenngleich so manche Veröffentlichung letztlich nur noch von Hardcore-Fans wahrgenommen wurde. Dass er zumindest in Musikerkreisen immer noch Idolcharakter für sich in Anspruch nehmen kann, verdeutlichen nach der BritPop-Welle Anfang der 90er (u. a. OASIS, BLUR, OCEAN COLOUR SCENE) auch entsprechende Kommentare von aktuellen Bands wie z. B. THE LIBERTINES, GLUECIFER oder (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY.
Wer nicht nur den Künstler, sondern auch den Menschen Steve Marriott kennen lernen will, der dürfte mit „All Too Beautiful…“ das richtige Buch ausgewählt haben.

Paolo Hewitt & John Hellier
Steve Marriott: All Too Beautiful…
London: Helter Skelter Publishing, 2004. 352 Seiten
ISBN 1-900924-44-7

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