Charles Todd: Stumme Geister

Die Kulisse ist konventionell und altbekannt: Ländliches England, eine Mordserie, ein Detektiv, skurriles Personal in gediegenen Cottages. Dann liest man ein paar Seiten – und siehe da: Man wird angenehm überrascht.

Inspektor Rudledge plagt sich gleich mit zwei sehr unangenehmen Fällen: Wer ermordet in einem idyllischen Dorf in Kent Kriegsveteranen auf die humane Art per Überdosis Laudanum – und war jener Serienmörder, den Rudledge einst an den Galgen brachte, am Ende doch unschuldig?

Schlimm genug das alles. Doch wir schreiben, wie gesagt, das Jahr 1919. Rudledge ist aus den französischen Schützengräben des 1. Weltkriegs zurückgekehrt, aber nicht allein. Immer bei ihm der Schotte Hamish, von Rudledge im Krieg wegen Befehlsverweigerung hingerichtet, jetzt allzeit präsent, eine untote Stimme in Rudledges Kopf, die warnt, spekuliert, ironisiert, den latent depressiven Inspektor in der Verzweiflung versenkt.

Diese Konstellation lässt uns schon erahnen, dass Todd wirklich nicht in der Nachfolge Agatha Christies schreibt. Souverän benutzt er die altbewährte Konstruktion (denn spannend ist dieser Roman durchaus auch im üblichen Wer-wars?-Sinne), um etwas sehr Eigenes zu schaffen: Eine genaue Sicht auf die menschlichen Tragödien, die Gegenstand der Strafverfolgung werden, vor dem Hintergrund eines Jahrhundertverbrechens, das ungeahndet bleibt und die Musterwelt von Gut und Böse, Schuld und Sühne ad absurdum führt.

Sehr lesenswert, bislang das Beste, was mir in diesem Jahr vor die Augen gekommen ist. Und das Paar Rudledge / Hamish erweist sich als das originellste Ermittlerduo seit Derrick und Wagenhol-Harry.

Charles Todd: Stumme Geister. Heyne. 2004. 428 Seiten. 8,95 Euro.

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