Arnaldur Indridason: Menschensöhne

Alle bislang in deutscher Sprache vorliegenden Krimis des Isländers Arnaldur Indridson orientieren sich an einem identischen Zeit-Handlungsschema. Ein Verbrechen geschieht (oder wird entdeckt), dessen Ursachen in der Vergangenheit liegen. So etwas wird auf Dauer fad, und ich gestehe freimütig, dass ich spätestens beim dritten Roman eines solchen „Maschenautors“ aufhöre, mich für seine zukünftigen Produkte zu interessieren.

Bei Indridson ist das anders. „Menschensöhne“, eigentlich der Debütkrimi des Autors, aber nur Nummer Vier der deutschen Veröffentlichungschronologie, fesselt, obwohl man die Dramaturgie rasch durchschaut und die Handlung einer erkennbaren „Musterlösung“ zusteuert.

Fast zur gleichen Zeit kommt es in Reykjavik zu zwei Todesfällen: Der schizophrene Daniel stürzt sich aus dem Fenster einer psychiatrischen Klinik, und der alte Lehrer Halldur wird mitsamt seiner Wohnung grausam verbrannt. Die Beziehung zwischen den beiden wird schnell ersichtlich. Daniel war Halldurs Schüler und, obwohl erst Anfang Vierzig, der vorletzte Überlebende seiner Klasse. Halldur wiederum, Eigenbrötler und Junggeselle, hatte päderastische Neigungen, was ihn erpressbar machte und zum willfährigen Erfüllungsgehilfen bei einem zynischen pharmakologischen Experiment.

Den Fall übernimmt der deutschen Lesern schon wohl bekannte Erlundur, ein älterer, privater Probleme wegen bisweilen depressiver Ermittler der Reykjaviker Polizei. Doch jetzt gelingt es Indridson durch einen einfachen Kunstgriff die drohende Eindimsionalität seines Krimis abzuwenden und auf eine komplexere Ebene zu heben. Denn nicht nur Erlendur ermittelt, auch Daniels Bruder Palmi sucht nach den Hintergründen der aktuellen Todesfälle und des mysteriösen Schülersterbens der Vergangenheit.

Seine, Palmis Ermittlungen sind das Element, in dem sich Indridson sichtlich am wohlsten fühlt: die Schilderungen von Menschenschicksalen, kurze Biografien wie Snapshots, aber beeindruckender als langseitige gequälte Psychogramme. Und das Ende seines Romans, das eigentlich ein Horrorszenario darstellt, wird in gewisser Weise tröstlich, ja, fast macht es das, was geschehen ist, ungeschehen und markiert einen neuen Anfang. Für Schüler der Crime School ein schönes Beispiel für „Arbeiten mit der Zeit“.

„Menschensöhne“ markiert den würdigen Start der Indidrason’schen Romanproduktion. Stilistisch nach wie vor nicht immer ohne Makel (liegt’s vielleicht an der Übersetzung?) und, was das Zeichnen der Spannungsbögen betrifft, ein ganz klein wenig hinter den Folgekrimis zurück, werden solche kleinen Schwächen locker kompensiert.

Arnaldur Indridason: Menschensöhne. Lübbe 2005. 345 Seiten, 18 €

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