Crime School: Ein Lehrer erinnert sich

Dass man Bücher, Krimis insbesondere, einfach nur „aus Wolluscht“ lesen kann, ist eine Erkenntnis, die man nicht zu kommentieren braucht. Vielleicht müsste man es aber des öfteren doch tun, um den Eindruck zu vermeiden, in unserer Schule werde dieser Vergnügungsfaktor generell verteufelt, ausgeblendet oder geringschätzig behandelt.

Mitnichten. Aber, liebe Jungen und Mädchen, das hier ist eine seriöse Schule! Wir analysieren und versuchen, zum Wesen des Krimis vorzudringen, seine Mechanismen zu begreifen und, who knows, irgendwann einmal den Schlüssel zu finden, mit dem wir ein Buch öffnen und wie in einem offenen Buch darin lesen können. Oder so ähnlich…

Dankenswerter Weise hat mich der fleißige Schüler Ludger → hier daran erinnert, dass man bestimmte Selbstverständlichkeiten doch ab und zu explizit machen sollte, um Missverständnisse zu vermeiden. Auch ich lese bisweilen Bücher einfach „nur so“, ja, früher habe ich Krimis überhaupt, WENN überhaupt, „nur so“ gelesen.

Dies gibt mir Gelegenheit, euch so ganz en passant eine kleine, wenngleich prägende Episode aus meiner Jugend zu erzählen. Setzt euch bequem hin, steckt die Gameboys weg, hört auf zu simsen, hört zu:

Als ich jung war – auch Lehrer waren einmal jung – , da las ich keine Krimis. Ich las anständige, höhere Literatur und die Tatsache, dass ich, als ich SEHR jung war, den einen oder anderen Jerry-Cotton-Roman weggeputzt hatte, wurde als lässliche Sünde eines vorpubertären Charakters in der Entwicklung verbucht.
Irgendwann sah ich dann einen Film: „Der dünne Mann“, nach dem gleichnamigen Roman von Dashiell Hammett. Ich brauche euch nicht viel über diesen Film zu sagen; ihr habt ihn natürlich alle gesehen. Jedenfalls: Der Film gefiel mir, und ich beschloss, mir das Buch zu besorgen.

Leider ohne Erfolg. In meiner ländlichen Buchhandlung führten sie den Roman nicht, doch die freundliche Dame empfahl mir einen anderen Hammett: „Rote Ernte“. Das war nun etwas ganz anderes als „Der dünne Mann“, und ich las den Krimi zunächst auch nur mit dem obligatorischen schlechten Gewissen desjenigen, der seiner vergeudeten Lesezeit nachweint, die man doch hätte bitteschön besser mit der Lektüre eines Shakespeare, Böll oder Sartre verbraten können.

Doch dann passierte es: Der Text sprach mit mir! Er sagte (nicht wortwörtlich, aber sinngemäß): Ich, der Roman „Rote Ernte“, zeige dir ein Stück Wirklichkeit, wie du es bisher noch nicht erfahren hast. Ich schicke einen Detektiv, der zur Erledigung eines Routineauftrags in eine Stadt kommt, durch eine völlig korrupte Welt. Dieser Detektiv ist hart, er ist zynisch, nichts kann ihn bremsen. Er ist der Geist, den man rief und jetzt nicht mehr los wird, er räumt auf in dieser schrecklichen Welt, mit den Mitteln des Bösen tut er das, er ist skrupellos, geht buchstäblich über Leichen, und am Ende ist alles wieder gut, und nichts ist gut.
Das passte nicht in meine Vorstellung von Wirklichkeitsbeschreibung. So eine Moral vermittelte einem keiner der Autoren „guter Bücher“, die sich vor lauter Humanismus und Existenzphilosophie nicht mehr einkriegten. Und schon gar nicht so kurzweilig, ohne ein Wort zu viel, ohne ein Wort zu wenig.

Seitdem lese ich Krimis als Literatur. Manchmal ist es schlechte Literatur, manchmal gute. Manchmal ist das Vergnügen grenzenlos, manchmal wird es so homöopathisch verabreicht, dass es gegen Null tendiert.

So, jetzt haben wir aber genug geplaudert! Morgen oder übermorgen geht es wieder an die Arbeit! Packt eure Handys aus, quält euren Gameboy, schießt mit Stanniolkugeln auf die Hinterköpfe der Mädels in den Bänken vor euch! Ach, so jung müsste man auch noch einmal sein! Äh…lieber nicht.

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