„Das Katalogisieren und Einordnen in die jeweiligen Schubladen überlasse ich Literaturwissenschaftlern und Kritikern. Natürlich auch Bibliothekaren und Buchhändlern, die ihrem Klientel einen Anhaltspunkt geben müssen, wo ähnlich strukturierte Bücher zu finden sind. Sie finden meistens daran genauso viel Spaß und Befriedigung wie Jake an einer sauber sortierten Lego Sammlung.“
schreibt unser australischer Gastschüler, der von mir als Krimiautor sehr geschätzte → Marcus Starck.
Einspruch, Euer Ehren!
Als Autor von Romanen sind mir „Genres“ herzlich gleichgültig. Sobald ich zu schreiben anfange, gelten MEINE Regeln, zurrt das große Universum Literatur auf die zwar viel bescheidenere, dafür jedoch unendlich konkretere Galaxie dpr-Literatur zusammen. Konkreter, weil sie sich ausschließlich auf den Text konzentriert, der ab diesem Zeitpunkt der Herr und Meister ist, für den ich schufte.
So. Das war das schöne Ideal. Kommen wir nun zur nicht ganz so schönen Wirklichkeit. Als Autor von Romanen weiß ich genau, dass der erste Lektor, dem mein Manuskript in die Hände fällt, in seinem „Genre-Werkzeugkasten“ nach den geeigneten Instrumenten kramen wird, um meinen Text zu kategorisieren. Ein Mord geschieht? Hm, dürft’n Krimi sein. Ein Detektiv taucht auf? Unbezweifelbar ein Krimi! Hä? Der Roman spielt im Jahre 2040? Science Fiction! Und ein Krimi dazu? Also Crime Science Fiction oder was? Wie bitte? Eigentlich ist das gar nicht SF? Wieso spielt er dann im Jahr 2040? Und so weiter.
Der Leser ist kaum anders gestrickt. Wer „Rätselkrimis“ für das nonplusultra des „Genres“ hält und nichts daneben gelten lässt, wird meinen Roman kaum mögen. Wer sich schon beim Begriff „SF“ zu schütteln beliebt, greift erst gar nicht dazu, wenn er liest, die Handlung spiele im Jahr 2040.
Genres allerorten also. Du entkommst ihnen nicht. Und, mal ganz ehrlich, Marcus, sind wir nicht genauso? Ist dieses „kümmert mich nicht“ nicht eigentlich eine Notlüge, mit der wir unsere Autorensouveränität stützen wollen? Denn natürlich weiß ich genau, dass ich jetzt einen Krimi schreiben will und nichts anderes. Ich habe, vielleicht sehr präzise, vielleicht sehr vage, meine Genredefinition im Kopf. Schließlich stehen wir alle auf den Schultern von Riesen, und wenn wir schlau sind, lernen wir von ihnen. DIE haben das „Genre“ entwickelt, DAS sind meine Kirchenväter.
Und hier, genau hier, möchte ich das Arbeiten mit den Lego-Steinen der Literaturgattungen nicht den Literaturwissenschaftlern überlassen. Um Gottes Willen! Ich gehöre, wenn auch nur der Ausbildung nach, ebenfalls zu diesem erlauchten Kreis, und ich habe ihn reichlich satt. Das sind die Damen, die in Lektoraten sitzen und nicht zwischen dem fiktiven und dem Autor-Ich unterscheiden können (du kennst die Sorte ja auch, wie ich vor kurzem lesen durfte), das sind die Herren, die mal schnell ihr Mäntelchen in den Wind hängen und wieder „Sozialkritik! Sozialkritik! Ohne die keine Literatur!“ rufen, wenn’s rein gesellschaftlich-stimmungsmäßig danach ist. Denen soll ich es überlassen, über „Genres“ nachzudenken? Auf dass sie mit ihren erbärmlichen Ergüssen weiterhin Studenten infiltrieren, die dann Lehrer werden oder Journalisten oder eben Lektoren und somit ihre akademischen Homunculi bis in alle Ewigkeit weiterreichen und am Leben erhalten? Nö, da mach ich nicht mit.
Hinzukommt, dass ich ein sehr altmodischer Mensch bin, was das Schreiben anbelangt. Wenn ich schon einen Krimi schreibe, dann will ich wissen, wie das Handwerkszeug aussieht, das ich bewusst oder unbewusst benutze. Man kann nur mit etwas souverän spielen, das man gut kennt, nur das verändern, dessen Gestalt man begreifen kann. Damit fahre ich gut, muss ich sagen, und die Crime School, in der ich mich als „Lehrer“ aufführe (obwohl ich für diesen Beruf niemals geeignet wäre), aber recht eigentlich auch nur ein Schüler bin (und zwar der unwissendste), hilft mir dabei. Und natürlich meine Schüler. Ich habe inzwischen gelernt, dass der Begriff „Genre“ fast ausschließlich inhaltlich besetzt ist: Detektivroman, sozialkritischer Krimi, Spionagekrimi… Aber das ist eben nur ein Teil dessen, was das „Genre“ ausmacht. Ich arbeite mich jetzt weiter vor, die Lektion 11 wird es zeigen.
Sich mit den Strukturen von Literatur auseinander zu setzen, ist nicht allein Aufgabe der Literaturwissenschaft. Sondern auch und besonders die der Autoren. Und der Leser? Schön, wenn sie sich auch darüber Gedanken machen, wo eigentlich das Stück Lesefleisch herkommt, das da schön portionsgerecht auf dem Teller liegt. Dahinter steckt ja etwas sehr Lebendiges, und im Gegensatz zum Fleisch habe ich bei Literatur den Vorteil, dass das, was ich da konsumiere, nicht unbedingt tot bleiben muss. Es kann zu neuem Leben erweckt werden. Denken über den Tellerrand hinaus ist dazu aber absolut notwendig.