Off topic

… ist eigentlich das nicht, was der Soziologe Hans Joas im →„Tagesspiegel“ über die „Entstehung von Werten“ zu sagen hat. Es geht um Selbstvergewisserung und die Erschütterung des Ich, um Objektives und Nichtobjektives, Dinge also, die man sich auch auf den Krimi zurückschnitzen könnte, irgendwie. Harter Stoff, und wer das nicht lesen möchte, kriegt wenigstens einen Satz zum Mord mit auf den Weg:

„Für viele Menschen ist es zum Beispiel klar, dass man auf keinen Fall morden darf. Warum eigentlich nicht? Gläubige können auf die Zehn Gebote verweisen. Doch andere? Sie fühlen sich an den Wert der Gewaltlosigkeit gebunden, ohne das begründen zu können. Es ist für sie evident, dass eine bestimmte Sache gut oder schlecht ist.“

Und davon handeln manchmal auch Krimis.

9 Gedanken zu „Off topic“

  1. „Harter Stoff“?

    Warum sollten Nicht-Gläubige nicht begründen können, daß sie nicht morden dürfen? Und: was heißt überhaupt „Mord“? Abgesehen von den moralischen Evidenzen?

    Oder reden die Soziologen jetzt auch schon so daher, wie’s halt kommt oder wie oder was oder schlag nach bei Shakespeare?

  2. Ob sie so daherreden, weiß ich ja auch nicht. Aber diese Gut / Schlecht – Evidenz lässt sich ja tatsächlich nur durch den Glauben begründen, der meinetwegen kulturell transzendiert auf einen niedergekommen ist. Aber ist Mord objektiv „schlecht“? Fragen Sie mal einen Löwen, der die Jungen seines besiegten Nebenbuhlers aufgefressen hat. Und da wirds harter Stoff, philosophischer, und da könnten wir sie nun alle ankarren, von den alten Griechen über die mittelalten Deutschen bis zu den jüngeren Franzosen. Meinetwegen auch Shakespeare.

    bye
    dpr

  3. dann sind wir ja einig: Herr Joas redet im ‚Tagesspiegel‘ einfach Quatsch — wieso, warum: all dies weiß ich nicht (man koennte es auch vornehmer ausdrücken, hab‘ ich heute keine Lust: mehr als diese Duplik oder Reduplik hat er nicht verdient).

    Schöenen Sonntag!

  4. Ich würds zwar jetzt nicht sooooo hart sagen, aber bedenklich (Tag des Herrn!) ist das schon. Ich hab den Verweis deshalb aufgenommen, weil ja in Krimis tatsächlich über gut und schlecht, objektiv und subjektiv, überhaupt WERTE räsonniert wird. Harter Stoff eigentlich deshalb, weil sich da immer philosophische Abgründe auftun. Und in einem liegt Herr Joas.

    bye
    dpr

  5. D’accord (in Grenzen): mit Ihrer letzten Bemerkung verknüpfen Sie diesen Thread mit der anhaltenden Diskussion über Rezensionen (in die ich mich nicht einmische), aber auch mit der über ‚Sekundärliteratur‘, die das, was Sie über den Krimi sagen, in den letzten 25 oder 30 Jahren aus den unterschiedlichsten Perspektiven traktiert hat (dazu noch im disziplinären Austausch, aber nie mit dem Ehrgeiz, aus Sekundär- Primärliteratur werden zu lassen, was eh eine merkwürdige Vorstellung ist). Dabei ist die Genre-Geschichte in den Hintergrund geraten: im Prinzip war es mir egal, ob ich über Gaddis, Böll, Harbou, Ihde oder Eckert nachgedacht habe — immer ging es um literarische/mediale Repräsentation von Verbrechen und Strafverfolgung. Dabei wurde die Genre-Geschichte zwar mitgeführt, aber in aller Regel nur als ‚Merkposten‘ (als notwendige zweite Perspektive von Diskurs- und Mediengeschichte). Diese Abstinenz war ein Fehler, denn sie hat den innerdisziplinären Austausch zwischen unterschiedlichen Forschungsrichtungen be-, eigentlich verhindert (man braucht, um dies zu sehen, nur in der jüngsten Auflage von Nussers Metzlerband zu blättern). Das Ergebnis: gegenseitige Ignoranz und nicht selten Aggressivität (das kommt ja auch in Ihrem Rez-Thread zum Ausdruck — und ist kein Vorwurf). Ich zweifle, daß sich das zu meinen Lebzeiten nochmals ändern wird (wen interessiert das schon?), denn die Schwierigkeiten, die Perspektiven zusammenzuführen sind (wie ich an einem eigenen Versuch eben merke) nicht gering. (Ihre Alte-Krimi-Initiative ist in diesem Kontext vielversprechend: soviel Zeit muß sein.)

    PS: allfällige Mitleser dürfen sich als Anwesende von meiner Kritik ausgenommen fühlen.

  6. Das sagen Sie etwas sehr Wahres und sehr Trauriges, andererseits aber kaum anders zu Erwartendes. Die alte-Krimi-Initiative soll zunächst einmal dazu dienen, Material zur Verfügung zu stellen und einige Leute zum Staunen zu bringen, die dem deutschen Krimi keine Tradition zubilligen wollen. Es geht hier garnicht einmal um literarische Qualität, sondern wirklich nur um die Ursprünge. Die sind natürlich gesamtliterarischer Natur, nur aus dem zu erklären, was außerhalb des „Genres“, das im 19. Jahrhundert noch gar kein Genre war, passierte und das wiederum gehört in einen politischen und sozialen Kontext. Einer wie Temme war ja nun nicht einfach ein „Nur-Unterhaltungsschriftsteller“. Das war auch ein politischer Kopf und auf Grund seiner Profession auch einer, der „volksaufklärerisch“ über Recht und Gerechtigkeit räsonniert hat. Das alles in Krimiform, auf Spannung abzielend, auf Effekt. Da wirds tatsächlich interdisziplinär. Mal schauen, welche Überraschungen da noch kommen.

    bye
    dpr

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