Folge 2: Das ultimative Verbrechen

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Kurz vor dem Offenbarungseid? Mehr Krimis gelesen als Georges Simenon geschrieben hat? Stets bereit, die Tinte aus der Feder sprudeln zu lassen, bevor die Ideen aus dem Hirn fontänen? Mit einem Wort: Skrupellos genug, ein(e) deutsche(r) Kriminalschaffende(r) zu werden? Nun denn, wohlan. In unserer neuen kleinen Sommerreihe erklären wir dir, wie du es schaffst, ein Erfolgskrimiautor zu werden und nach 300 Seiten die ersten Millionen an die Pforte deiner Sparkasse klopfen zu hören. Wir geben dir die ultimativen Ratschläge, wie du wenigstens vier Millionen Krimileser erreichst. Das ist wissenschaftlich bewiesen! Und wie du somit, bei einem durchschnittlichen Honorar von zwei Euro pro Buch (gebunden, Schutzumschlag) 8 Millionen Euro vor Steuern einsacken kannst. Denn vier Millionen mal 2 macht acht Millionen. Das ist mathematisch bewiesen! Heute: Welches Verbrechen wählen wir für unseren Topseller?

Genau jetzt — da ich dies niederschreibe — wälzen etwa 300 deutsche Kriminalschaffende folgende Problematik: Serienmord oder Sexualverbrechen? Beides findet zuverlässig seine Liebhaber, die Kombination Serienmord / Sexualverbrechen gilt gar als Königsweg zur mallorquinischen Finca oder dem neuen Benz der S-Klasse.

Da wir indes nach Höherem (8 Millionen!) streben, müssen neue Pfade beschritten werden, jenseits des Mainstream, gewissermaßen, in der Hoffnung, dass dieses träge Wasser (Main-Strom, das referenziert, nebenbei, Frankfurt, wo es die größte „Ich-schreib-Krimis-in-meiner-Finca“-Fraktion der Republik gibt) schnurstracks zu uns umgeleitet wird und direktemang Kurs nimmt auf die goldene, unlimitierte VISA CARD.

Aber wie? Nun, ganz kühn: Wir erneuern das deutsche Krimischaffen dadurch, dass wir Morde ab sofort zu „Begleitverbrechen“ erklären. Morde geschehen natürlich, sie umranken gewissermaßen das Hauptverbrechen. Und das heißt:

Ladendiebstahl.

Nein, bleiben Sie dran! Schalten Sie nicht ab! Das ist kein Witz! Horchen Sie doch nur einmal in sich hinein und stellen Sie fest: Die Schraube ist überdreht! Immer mehr Sexualmorde, sadistische Massenvergewaltigungen in Kindergärten und Altersheimen, abgetrennte Gliedmaßen, die fein gehäckselt in der KNORR-Tütensuppe landen (zum Thema Product Placement kommen wir in einer späteren Folge), depressive Pathologinnen, die am Fließband sezieren („Der Täter hat seine letzten 100 Opfer vermittels einer Laubsäge portioniert.“) – ja, es existiert sogar ein Krimi, in dem ein komplettes mitteleuropäisches Volk AUSGELÖSCHT wird!

Kein Zweifel: Wir sind übersättigt. Zwar nehmen wir solch blutige Ware weiterhin gern, doch uns dünkt nach dem subtilen Verbrechen, dessen Ausmaße nicht offenkundig, durch einen guten Autor, eine blendende Autorin indes sofort plausibel gemacht werden können, wie das folgende Beispiel aus dem noch unveröffentlichten Werk einer Erfolgsschriftstellerin zeigt:

„Ina Henkel schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischoberfläche. ‚Ladendiebstahl? Wollen Sie mich verarschen?‘ Traugott lächelte müde und taxierte den verbeamteten Ledermini vor sich. Nett… ‚Ladendiebstahl, Frau Kommissarin‘ – Er ließ sechs Augenblicke Raum für Gedankenstriche – ‚Ladendiebstahl schädigt die deutsche Volkswirtschaft jährlich um Milliarden. Bedenken Sie die Auswirkungen! Profitschmälerung! Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, Freisetzungen von Arbeitnehmerinnen an den Registrierkassen, häusliche Tragödien bis hin zur Ausrottung der eigenen Familie, Stimmengewinne der FDP bei den nächsten Wahlen, demzufolge Guido Westerwelle in einem öffentlichen Amt und wiederum demzufolge jeden Abend mit der Fresse in der Tagesschau. Nennen Sie das‘ – Noch einmal fünf Augenblicke für konzentriertes Nachdenken – ‚Nennen Sie das — banal?‘ Ina Henkel sehnte sich nach einer Duftwolke BRUNO BANANI und schwieg beschämt.“

(Mehr zu diesem unveröffentlichten Werk übrigens in einem „Krimiporträt“, das hier bestellt werden kann. Zu Product Placement, wie schon erwähnt, mehr in einer späteren Folge unserer kleinen Serie.)

Es liegt auf der Hand, dass die deutsche Wirtschaft ein solchen Krimi mit offenen Armen und, was für uns wichtiger ist, auch in ihr aktuelles Sortiment aufnehmen wird. Und, glauben Sie mir, sobald Ihr Krimi neben dem Kaugummi an den Kassen von ALDI, LIDL und PLUS liegt, haben Sie gewonnen! Sie sind reich! Dafür kann man ja durchaus einen stinklangweiligen Krimi schreiben, oder?

dpr

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