John Connolly: In tiefer Finsternis

Weary inside, now our heart’s lost forever,
Can’t replace the fear, or the thrill of the chase,
Each ritual showed up the door for our wanderings,
Open then shut, then slammed in our face.

Joy Division “Decades“

Charlie Parker ist zurück. Im dritten Roman arbeitet er als Wirtschaftsdetektiv, abseits der Abgründe, die sein bisheriges Leben bestimmt haben. Doch wie das ist mit den Abgründen, in die man zu lange hineingestarrt hat, das wusste schon Herr Nietzsche: früher oder später starren sie zurück.
Oder schlimmer noch, sie öffnen sich und spucken etwas aus, das besser irgendwo tief unten geblieben wäre, ungeschehen – und wenn’s so hässlich ist wie „In tiefer Finsternis“, ungesehen. Aber das ist natürlich bloßes Wunschdenken. Oder trügerische Ruhe, pure Oberfläche, an der sich jemand wie Parker zwar ausruhen mag, aber nur so lange bis ein Fingerzeig kommt, der ihn wieder ins Dunkel lockt. Diesmal ist’s der rätselhafte, vorgebliche Selbstmord einer Jugendfreundin, der seine Jagdinstinkte weckt und ihn auf die Spur des Bösen schickt, das bereits wartet wie eine Spinne in ihrem Netz. Und über Spinnen gibt’s eine Menge zu lernen in diesem Buch, nichts was einen Arachnophobiker zu Freudensprüngen veranlassen würde. Mal wieder ein sensorisches Buch, es gibt Stellen an denen man beginnt sich zu kratzen, und der nächste Gang in die Badewanne will auch wohl überlegt sein.

Aber worum geht’s? Die ermordete Grace Peltier beschäftigte sich wissenschaftlich mit einer Sekte, deren Mitglieder sich angeblich in den Sechzigern in Luft auflösten. Nicht ganz in Luft; im Verlauf des Romans werden menschliche Überreste zutage befördert, die keinen Raum für freundliche Euphemismen lassen; um Hintergründe erläutert durch Auszüge aus Peltiers Magisterarbeit. Die sich häufenden Todesfälle im Umfeld Grace Peltiers und ihrer Recherchen lassen allerdings den Schluss zu, dass die Anführer der Sekte sich der unfreiwilligen Staubwerdung ihrer Schäfchen nicht angeschlossen haben.

Religiöser Fanatismus ist diesmal die Tür, durch die das Böse in die Welt tritt. Wobei der religiöse Faktor sich nahezu komplett darauf beschränkt Sünder zu deklarieren und letal zu bestrafen. Natürlich verbrämt mit großen Worten und Gesten, durchaus raffiniert, aber billig und blutig im Effekt, abgründig vielleicht – wie’s der Prolog andeutet – doch immer hohl. Es sind natürlich keine großen Entdeckungen, die John Connolly da zu Papier bringt, aber wie er mit den Vorgaben umgeht ist faszinierend. Er beschreibt eine Welt aus Clustern, aus Zellen, die umeinander kreisen, sich parallel bewegen, auseinandergehen und manchmal überschneiden. Der fahrende Mann und die Prediger der Aroostook Baptisten, zwei Teilstücke desselben Clusters. Sie riechen sich, sie treffen sich; ein unsichtbares Netzwerk des Bösen, dessen Leiterbahnen so exzellent funktionieren, weil die Verbindung auf wenigen Komponenten basiert: der Rausch der Macht, der Wunsch ein Fingerzeig zu sein, die eigene Vorstellung des Seins und der Grenzen des Seins blutig in die Welt zu schleudern.

Und wie fast schon üblich sind die Übergänge fließend. Auch Charlie Parker, der eigentlich positiv charakterisierte Protagonist, sieht sich der Gefahr ausgesetzt zu jenem Teil des Bösen zu werden, dessen Taten als scheinbar moralisches Verdikt für die Hinterbliebenen herhalten sollen. Im vorliegenden Buch sieht er die Grenze allerdings viel deutlicher als zuvor und ist deshalb erfolgreicher beim Versuch sie nicht zu überschreiten. Dabei hilft ihm auch seine Imagination, die eine vage Verbindung zwischen Dies- und Jenseits heraufbeschwört. Ganz so stark wie in „Die Insel“ ist die Verbindung der Toten zur Welt der Lebenden in den Charlie Parker Romanen nicht, aber auch hier spielt sie eine gewichtige Rolle, jene Fähigkeit des „Sehens“; aus Erfahrungen und Wahrnehmungen Schlüsse ziehen zu können, die rational nicht eindeutig erklärbar sind. Connolly gelingt es den mystischen Part nicht ins esoterisch verbrämte abgleiten zu lassen, sondern als zumindest emotional begreifbaren Teil des Menschseins darzustellen. Stichworte: Dinge, Himmel, Erde, Schulweisheit, träumen. Von Nietzsche zu Shakespeare. Warum nicht? Man lässt sich gerne von John Connolly an die Hand nehmen und in die Dunkelheit führen – ich weiß nicht ob er Geld besitzt, aber er hat den Stil….

Nur manchmal reitet ihn die Besserwisserei, die anscheinend gerade amerikanische Autoren dazu führen lässt, dem Leser noch die Auslage jeder winzigen jüdischen Bäckerei im hintersten Winkel der soundsovielten Straße, zwei Kreuzungen vom …. (hier eine New Yorker Sehenswürdigkeit oder bekannte Kulturmeile eintragen) entfernt, ausführlich beschreiben zu müssen. Ist lässlich. Wer Bücher schreibt wie Connolly darf mit seinem anrecherchierten Wissen angeben….

NICHT angeben darf irgendein Holzkopf zwischen Autor und (deutscher?) Veröffentlichung: es gibt KEINE Band die „Sionxie and the Banshees“ heißt, ebenso wenig wie ein Film namens „Noferatu“ je das Licht einer Leinwand erblickt hat. Wer auch immer da gepennt hat, als Strafe gibt’s eine Runde Mitternachtsjoggen im Stringtanga durch den Central Park.

Darkness, darkness, long and lonesome,
Ease the day that brings me pain.
I have felt the edge of sadness,
I have known the depth of fear.

(natürlich die Cassell Webb Version…)

John Connolly: In tiefer Finsternis. 
Ullstein 2005. 480 Seiten. 19,95 €
(Originaltitel: "The killing kind"; ab Oktober 2006 auch als Taschenbuch erhältlich)

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