Charlie Huston: Der Prügelknabe

„Ich, mein anderes Ich und meine Katze“ (Charlie Huston, „Der Prügelknabe“, S. 300)

Hier ist er: der seltene Fall, dass ein deutscher Titel – fast – besser ist als das Original. Denn Henry „Hank“ Thompson ist genau das, zumindest zu Beginn des Romans, was auf dem deutschen Buchdeckel prangt: ein Prügelknabe. Aus unerfindlichen Gründen heftig malträtiert, verliert er eine Niere, wird erneut bedroht, zusammen geschlagen, gefoltert und steht immer wieder auf. Genau wie Bud, der Kater, mit dem alles anfing. Zumindest dieser Teil der Geschichte. Denn Charlie Huston ist so klug zu wissen, dass es DEN Anfang gar nicht gibt.

Vieles läuft schief in Thompsons Leben; aber beginnt der Abstieg mit dem Knöchelbruch, der seine Karriere als hoffnungsvoller Baseballspieler jäh beendet, oder mit dem Autounfall, der den besten Freund das Leben kostet, oder doch erst in dem Augenblick als Henry einen Katzenkäfig samt Inhalt in die Hand gedrückt bekommt, um während Nachbars Abwesenheit Bud, den Kater zu verpflegen?

Ist egal, denn Henry nimmt sein Schicksal mit geradezu stoischer Gelassenheit hin, die ab und an unterbrochen wird von Alpträumen. Wie die meisten Stoiker ist er ein genauer Beobachter seiner selbst, und als er aus einer Geste der Hilfsbereitschaft heraus zum Spielball widerstreitender Kräfte wird, nimmt er auch das eher erstaunt und sarkastisch zur Kenntnis, als sich aufzulehnen. Erst, als Menschen umkommen, die ihm nahe stehen, wacht Henry aus seiner Passivität auf und wird ohne große Anstrengung zum Staatsfeind Nr. 1. Allerdings zu einem mit viel Geld…

Der erste Mord, begangen aus Versehen, kulminiert in einer langen und eindringlichen Sterbeszene (die, nicht von ungefähr an Jeff Bridges langsames Sterben in Michael Ciminos wunderbarem „Thunderbolt and Lightfood“ erinnert, in dem Bridges neben Clint Eastwood halb betäubt von einem eher beiläufigen Boxhieb dem Filmende und seinem Tod entgegenfährt). Danach tötet Hank bewusster, aber nicht als gnadenloser Rächer, sondern als getriebene Seele, die für sich entscheidet, dass etwas Unabdingbares schlicht und einfach getan werden muss.

Im Zusammenhang mit Hustons Krimis wird gerne Quentin Tarantinos Name in den Ring geworfen, doch das ist lediglich populistische Augenwischerei und geht am Wesen der Bücher völlig vorbei. Mag sein, dass die Momente explosiver Gewalt an Tarantinos Filme erinnern, aber sie gehen tiefer, tun weh (Fäden ziehen!!!) und sind keineswegs Teil eines postmodernen Patchworks, dass sich durch die Häufung bizarrer Scharmützel ständig selbst aufs Siegertreppchen stellen will. Außerdem geht Hustons Dialogen die tarantinoesque Geschwätzigkeit fast völlig ab.

Er ist – wenn wir bei Filmen bleiben – viel näher an den Klassikern der 60er und Siebziger, an Don Siegel (z.B. „Tod eines Killers“, basierend auf Hemingways „The Killers“), Martin Scorsese und eben Michael Cimino, Regisseure, die schon lakonische, harte Gangsterfilme produziert haben, als Quentin noch Pupil Fiction in der Vorschule spielte.

Huston geleitet Henry Thompson mit schlafwandlerischer Sicherheit und pointierten Dialogen durch die Tiefen des Daseins und gönnt ihm diesmal ein vorübergehendes Happy End.

Charlie Huston: Der Prügelknabe. 
Heyne 2005, 361 Seiten. 8 €
(Original: „Caught stealing“, 2004).

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