Greg Iles: @E.R.O.S

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Zuerst das Positive: Der Roman ist streckenweise spannend und über weite Teile flüssig zu lesen. Die Biographien der Protagonisten werden halbwegs nachvollziehbar entwickelt und sind, wenn man die maßlose Übertreibung zugunsten des Spektakulären in Kauf nimmt, mit etwas gutem Willen durchaus nachvollziehbar. Außerdem ist der Einblick in die Computertechnologie Mitte der 90er heutzutage sehr spaßig zu lesen (rasend schnelles 14400bps Modem etc). Es ist viel Zeit vergangen seit damals. Von nun an geht’s allerdings bergab…

Wir haben eine Homepage, auf der sich gegen horrende Mitgliedsbeiträge mehr oder minder einsame Seelen treffen, um ihre erotischen Fantasien auszutauschen. Eines Tages taucht ER auf: DER Serienkiller, intellektuell überragend, formvollendet, technologisch mehr als auf der Höhe der Zeit und stetig auf der Suche nach Opfern. Als dem Systemmitbetreiber Harper Cole mulmig wird – eine Kundin des virtuellen E.R.O.S. Clubs wird gnadenlos niedergemetzelt – und er von seinem Verdacht berichtet, dass weitere Teilnehmerinnen ohne ersichtlichen Grund ihren Account haben verlöschen lassen, wird schnell klar, dass sie allesamt von einem und demselben Täter vom Dies- ins Jenseits befördert wurden. Inklusive Zirbeldrüsenentfernung und post letalem sexuellen Missbrauch. Das FBI wird hyperaktiv, die lokalen Polizeibehörden und die Protagonisten ebenfalls. Die Lockvogeltaktik fordert allerdings weitere Todesopfer, weder dem FBI noch unserem rührigen Sysop gelingt es vorerst den Killer dingfest zu machen. Doch glücklicherweise hat der mordende Schöngeist längst Auge und Ohr auf das Ehegespons des Herrn Cole geworfen. Im langen, langen Showdown wird dann für klare Verhältnisse gesorgt. Easy livin’.

Denkste. In all dem mal atemlosen, mal gelangweilten Lesen drängt eine Frage immer weiter an die Oberfläche: WARUM?

Warum beschränkt sich der Killer auf der Suche nach einer Zirbeldrüse auf EROS-Kundinnen? Es gibt nicht den geringsten Grund für die Begrenzung.

Warum bekommt der Killer am Anfang zwei Kapitel aus seiner Sicht spendiert, die weder besonders sinnig oder spektakulär sind, noch seine Motivation erhellen? Es bleibt auch dabei, Iles greift diese Erzählperspektive im weiteren Verlauf nie wieder auf. Ebenso tauchen Komplizen auf, die sofort wieder im Nirvana verlöschen.

Warum sitzen die Hauptfiguren in der Mitte des Buches an einem Tisch und erzählen sich gegenseitig Seite um Seite, wie toll dieser Serienmörder ist?

Warum legt Iles so viel Detailgenauigkeit in Computersprache -entwicklungen –möglichkeiten, wenn letztlich doch alles auf einen schwulen One Night Stand reduziert werden kann?
Warum 680 Seiten wenn 400 locker gereicht hätten? Hochgerechnet.

Gut, es treffen sich Krimi- und Abenteuerroman (wann haben weibliche Thugs schon mal ihren gewalttätigen Auftritt?), Liebesgeschichte(n) und Dramoletten, kurz wildeste Kolportage. Das kann unterhaltsam sein – ist es ja teilweise auch – verärgert aber, je mehr man über diesen literarischen Hohlraum nachdenkt. Denn wie so oft bei schlechten Büchern hat das Übel eine Ursache: zu viele Entwicklungen entstehen, weil es für die Dramaturgie notwendig ist. Da verhalten sich die Protagonisten besonders dämlich und vor allem unglaubwürdig, damit DAS Ereignis eintreten kann, dass durch diese widersinnigen Aktionen provoziert wurde. Fatal in einem Buch, in dem fast jede Entwicklung ausgiebigst besprochen wird, jede Polizeiaktion seitenlange Kommentare nach sich zieht. Es wird so viel zerredet, dass am Ende nur wenig übrig bleibt, was noch wissenswert wäre. Der Leser wird verschaukelt, soll zum Komplizen gemacht werden: wenn’s der Spannung dient… tut es aber nicht, sondern produziert nur heftiges Kopfschütteln. So billig sind wir nicht zu haben, oder etwa doch? Die Verkaufszahlen des Romans sprechen Bände; ich bin allerdings froh, dass ich freundliche Buchhändler(innen) kenne, dank derer ich mein karges Taschengeld nicht sinnlos verprassen muss.

Jochen König, non E.R.O.S. kompatibel

PS.: Grandios auf dem Holzweg sind auch gewisse Erzähler, die erregt darauf hinweisen, dass eine Frau „feucht“ ist. Spätestens wenn dann noch betont wird, dass sie nicht nur „feucht“, sondern „nass“ ist, denke ich eher an einen Pudel im Regen, als an knisternden Sex. Und was haben nasse Hunde gemein? Genau, sie stinken.
Wenn das kein treffender Abschluss ist, dann weiß ich auch nicht… 200 Seiten später fällt ein Löffel vom Tisch, und der nasse Pudel geht in die Diele und schüttelt sich. So do I.

Greg Iles: @E.R.O.S. 
Bastei-Lübbe 1999
(Original: "Mortal Fear", 1997).
686 Seiten. 8,95 €

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