Kapitel X

wickius_forts_cover_2.jpg

Was bisher geschah: Deutschland in Panik. Seine KrimiautorInnen machen die Biege und verschwinden in die entlegendsten Winkel der Welt. Und warum? Weil ein Krimiblogger und ein schwuler Friseur ermordet, eine drittklassige Krimiautorin gesichts- und haarmäßig beschädigt wurden. Und Wickius, der sein Päckchen namens Anne Beller zu tragen hat, tappt im Dunkeln. – Tappt er dort wirklich? Oder weiß er mehr, als er aus Spannungsgründen preisgibt?

Das hat ja so kommen müssen, stöhnt Wickius und knipst den Fernseher aus. Topmeldung in der Tagesschau: „Deutschlands Krimischaffende spurlos verschwunden, Verlage schlagen Alarm! Bundesregierung tritt zu Krisensitzung zusammen!“ Verleger Booß von Grafit spricht ins hingehaltene Mikro: Ja, man habe einen Plan B. Keine deutsche Autoren mehr, die Lektorin sei schon nach Finnland gefahren, wer dort bei 3 nicht auf den Bäumen sei – gibt es in Finnland überhaupt Bäume? – werde als „Grafit-Krimischaffender“ zwangsverpflichtet. Und der Gmeinerverlag sattelt um auf „schwäbische Kochbücher“, gehen auch immer. Emons, von wegen „neue deutsche Heimatliteratur“, hat dpr als Herausgeber der neuen Reihe „alte deutsche Heimatkrimis“ verpflichtet. Sind also gut gerüstet.

Zum Schluss noch ein Interview mit Helmut Puschkin, einem von drei verbliebenen Syndikatsmitgliedern. Hat bisher keinen Krimi geschrieben, dieser Puschkin, ist aber mangels sonstiger Masse zum Syndikatsvorsitzenden gewählt worden, „den Krimi will ich baldmöglichst nachliefern, sobald ich mein Konjunktivdiplom hab“, sagt er, spielt im Amerika der Dreißiger Jahre und heißt „Al Capone bummbumm“. Ja, rätselhaft, das alles, und so ohne Vorwarnung, aber so einer wie der Eckert Horst sei immer schon medioker gewesen, vom Rest ganz zu schweigen, „vollkommen überschätzt, diese Schmierfinken, mein Name bürgt für Literatur!“

Dann kommt die Bundeskanzlerin ins Bild, Wickius richtet sich auf und lächelt versonnen. „Die Bundesregierung sieht die momentane Entwicklung auf dem deutschen Krimimarkt mit wachsender Besorgnis, gerade im Hinblick auf den Plotexport. Sogar die Chinesen haben uns inzwischen schon überholt.“ Ein 20-Millionen-Programm wird aufgelegt, „Förderung des deutschen Kriminachwuchses“, das erste Stipendium erhält Martin Walser. Und „die zuständigen Behörden sind dabei, die Hintergründe des Exidusses“ (Exidusses! Wickius wird übel) „aufzuklären.“

Das wenigstens stimmt. Kriminalassistent Giorgio ist nach China unterwegs, Oliver Bottini in seinem Shaolin-Kloster aufspüren und befragen. „Bei der Gelegenheit lass ich mir seine Bücher signieren!“ jubelte der Jungschnüffler vor der Abreise. Leider ist Anna Beller zu Hause geblieben, die projektierte Dienstfahrt in die Antarktis, wo Anne Chaplet nach wie vor die Königspinguine mit Leseproben füttert, wurde leider abgesagt, weil Frau Beller seit Tagen nur noch in ihrem neuen Bikini herumläuft, der laut ärztlichem Gutachten nicht polartauglich ist. Sollen die Tante doch ins Amazonasbecken schicken, Astrid Paprotta aufspüren, wünscht sich der geplagte Detektiv. Ein paar Piranhas würden sich dort seiner sicher erbarmen.

Wickius lehnt sich ermüdet zurück und hebt die schweren Beine auf einen Stuhl. Ich muss an die Chaplet ran, denkt er, die ist der Schlüssel zu allem. Anne Chaplet = Anne Chaplet, so steht es auf der Liste, und irgendwann ist bei Wickius der Groschen gefallen. Er weiß, was gespielt wird, aber die großen Spieler im Hintergrund kennt er noch nicht. Anobella, nach dem gescheiterten Mordversuch in Smarfovjews „hair paradise“ noch immer im Krankenhaus, kann sich an nichts mehr erinnern. Ihre Zwillingsschwester Claudia Roth unauffindbar, selbst in der toskanischen Zweitwohnung Reinhard Bütikofers war sie nicht anzutreffen, sehr zum Ärger Bütikofers, der sich extra das Buch „Wie verführe ich rothaarige Frauen auf der Flucht?“ gekauft hat.

„Hu, is mir KALT!“

Die Beller steht in der Tür, natürlich in ihrem äußerst knappen Bikini, der die Problemzonen nicht zu überdecken vermag. Sie schält eine Orange, was sehr gut zu ihrer Haut passt. Wickius wendet den Blick angewidert ab. So etwas hat er zuletzt 1971 gesehen, als seine Oma Hermine unbedingt hot pants anprobieren musste, und der Anblick hat seine Pubertät um drei Jahre hinausgezögert.

„Nicht im Dienst?“ knurrt Wickius gegen die Wand.

Die Beller lacht.

„Eh, Alter, es ist halb neun abends! Schluss für heute! Was gibt’s denn im Fernsehen? Einen Krimi?“

Bloß nicht, hofft Wickius. Sie wird sich wieder in einen Detektiv verlieben und dann kriegt man die Dame die ganze Nacht nicht von der Bettkante. Wenn sie wenigstens ihren Bikini gegen eine Burka tauschen würde. Eine eiserne mit Keuschheitsgürtel. Und der Schlüssel ist unauffindbar.

„Willstn Stück?“

Orange natürlich. Wickius brummt etwas Ablehnendes, die Beller macht „ph!“ und schickt sich das Orangescheibchen so lasziv in den Mund wie ein Hamster eine Erdnuss.

„Ich schreib jetzt übrigens auch Krimi!“ verkündet sie beiläufig, „das mit der Förderung durch die Bundesregierung ist voll geil, ich hab auch schon Vertrag mit Rowohlt gemacht! Authentische Polizeiarbeit! Und weißt du, wie der Krimi heißen wird?“

Wickius weiß es nicht. Will es nicht wissen. Erfährt es natürlich sofort und übergibt sich spontan.

„Horatio Wickius – sein gefährlichster Fall! Klasse, was?“

Jetzt ist sie nicht mehr zu bremsen. Setzt sich neben den angeschlagenen Protagonisten ihrer wirren Phantasie, legt ihm die Orangenschalen in den Schoß, klopft ihm kumpelhaft aufs Knie.

„Dein gefährlichster Fall, eh! Du wirst berühmt! Also – es geht um einen Winzer, der wird ermordet, klar. Er heißt Vince Wine – gut, was? Genial. Vince, du verstehst? Vince, der Winzer! Und Wine mit Nachnamen. Wie…“

„…zum Weinen“, ergänzt Wickius.

„Eh, das ist gut! Das ist Spitze! Bin ich noch gar nicht drauf gekommen! VinceWine also wird ermordet. In einem Bottich Amselfelder Rotwein ERTRÄNKT! Hypergeil, nicht! Ein Winzer namens Vince Wine wird in Wein ertränkt! Und weißt du, wo die Story spielt? Na, na? Rate mal!“

„In Weinheim“, rät Wickius.

Die Beller kriegt tellergroße Augen.

„Eh, du hast heimlich in meinem Exposé gelesen! Find ich jetzt aber nicht korrekt. Na, was solls, alte Schnüffelnase! Eh, Schnüffelnase! Ja, „Kommissar Wickius, genannt Die alte Schnüffelnase, saß abends in seinem Büro und studierte den Obduktionsbericht“. Das ist der erste Satz! Auf den kommts nämlich an! Der zieht die Leser voll rein, die können nicht mehr aufhören zu lesen, bis das Buch aus ist! Su-pär!“

Es gibt ab sofort zwei gute Gründe, in die Antarktis zu reisen, denkt Wickius. Anne Chaplet finden und vor Anna Beller fliehen.

„Übrigens – die Chaplet“ – hat die Beller seine Gedanken erraten? – „die ist nicht mehr in der Antarktis. Die Tierschützer haben protestiert, von wegen Schutz der Kaiserpinguine und so. Jetzt ist sie in irgendso einer „Krimiautorenkolonie“ im Pazifik, internationale Gewässer, so ne Art Bohrinsel wohl.“

Hm, denkt Wickius. Kommt ihm bekannt vor. Da muss er ihn, sofort. Aber woher kommt ihm das so bekannt vor? Giorgio würde es wissen, doch Giorgio ist unterwegs nach China. Wer weiß es noch?

12 Gedanken zu „Kapitel X“

  1. Korrektur: Es soll natürlich nicht „drittklassige Autorin“, sondern „erstklassige Autorin“ heißen! Frau Beller hat hier neckischerweise ihre Aversion gegen Frau Anobella voll ausgelebt und unerlaubte „Korrekturen“ vorgenommen. Schämen Sie sich, Frau Beller!

    bye
    dpr
    *der nicht glauben kann, dass wieder mal nur der Patzerschorsch die Lösung kennt!

  2. Das zehnte Kapitel (gefühlt: das 387. Kapitel) dreht sich einmal mehr im Kreis. Kein Fortkommen in der Geschichte, zu wenig Action, immer das gleiche Blabla, von wegen Anna Beller und Anne Chaplet, Giorgio und Oliver Bottini…

    Ludger
    * gähnt
    **L A N G W E I L T     S I C H !

  3. Ha! Jetzt hast du dich verraten! Während DIE GANZE WELT gespannt auf neue Folgen von Wickius wartet, wenn NEW YORK TIMES und PEKING BOOK REVIEW sich vor Lob überschlagen, musst DU natürlich meckern! Herr Wagner ist da nicht dein einziges Opfer! Und lesen kannst du auch nicht! Sonst hättest du nämlich gemerkt, dass sich die Geschichte mitnichten im Kreis dreht, sondern a) ein wichtiger Hinweis für die Auflösung gegeben wird (Anne Chaplet!) und b) ein wunderbar eleganter Übergang zu Wickius‘ phantastischer und abenteuerlicher Reise in die SÜDSEE geschaffen wird! Ich bin entsetzt! Und werde, so denn endlich bald mein erster Krimi gedruckt vorliegen wird, SOFORT dem Syndikat beitreten. Nicht dass ich das eigentlich will. Aber um DICH zu ärgern, ist mir jedes Mittel recht!

    bye
    dpr
    *von Intriganten und Ignoranten umzingelt?

  4. „Und werde, so denn endlich bald mein erster Krimi gedruckt vorliegen wird, SOFORT dem Syndikat beitreten.“

    Ja, genau daran wird es scheitern. Am gedruckten Krimi. BoD zählt für die nämlich nicht.

    Ludger
    *lacht sich tot
    ** der Hinweis aus A.C. taucht doch ständig auf.
    *** A.C. = Agatha Christie, weil Chaplet eigentlich die wiedergeborene Christie ist
    **** hat den Dalai Lama im Nacken

  5. Nochmal ha! Bod! Nee, nee, mein Lieber…Aber A.C. = A.C…., das ist guuuuut. Stimmt aber natürlich nicht. Du bist eben fürs Krimilesen ungeeignet, weil du IMMER sofort auf die nächstliegende Möglichkeit abfährst. Aber, äh, stimmt ja: Du liest keine Krimis. Du besprichst sie nur.

    bye
    dpr
    *wartet immer noch darauf, dass empörte LeserInnen Ludger verbal lynchen!

  6. „wartet immer noch darauf, dass empörte LeserInnen Ludger verbal lynchen!“

    Dafür müssten sie dies hier ja erstmal lesen (können). Doch Deine Story ist einfach zu insidermäßig (wer kennt schon A.B., A.C. und O.B. …). Du holst die Leser einfach nicht aus ihrer Wirklichkeit ab.

    Ludger
    *extrem kritisch
    **wird wiedergeboren

  7. Wiedergeboren? Uh, das ist ein Schock, den Deutschland erst mal verkraften muss. Und als was? Als Krimikritiker? Wär doch mal was anderes. — Aber du irrst natürlich, wenn du das Wickius-Epos als Veranstaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskreditierst. Die Zugriffszahlen sprechen eine andere Sprache. Und viele Menschen FINDEN SICH HIER WIEDER, denn Wickius ist EINER VON UNS! Figuren wie Anne Beller sind leider auch nicht selten, sie nerven uns auf der Arbeit, in der Freizeit, im öffentlichen Nahverkehr, im Ehebett etc. Das ist also quasi direkt aus dem Leben GESCHNITTEN, das ist so was von wirklichkeitskonform, man versteht, dass die Leute immer ganz sprachlos sind, wenn sie das lesen. Aber jetzt haben sie ihre Sprache wiedergefunden und geben Ludger „Ich war eine Dose und werde im nächsten Leben eine Konserve“ Menke die Antwort, die er verdient. Und grüß den Dalai Lama von mir!

    bye
    dpr

  8. Da wirft man EINMAL ein kritisch-konstruktives Argument in die Diskussionsrunde, schon bäscht der ehemals beste deutsche Krimikritiker rum. Schlimmer als ….

    Wenn Du so weiter machst, lieber dpr, bekommst Du die Ehrenmitgliedschaft im Syndikat sofort, da braucht’s nicht mal ein – wie auch immer – gedrucktes Büchlein. Und frauenfeindlich bist Du auch, da hat die kluge Anobella Recht.

    Ludger
    *zieht sich eine rote Kutte an

  9. Hä? Nur weil ich Ludger bitte, den Dalai Lama von mir zu grüßen, bin ich frauenfeindlich? Diese Logik erschließt sich mir nicht! Aber das ist wahrscheinlich Frauenlogik. Dann geh doch zu Ludger! Der könnte ganze Krimibibliotheken schreiben, beim Syndikat würden sie ihn dennoch nicht nehmen!

    bye
    dpr

Schreibe einen Kommentar zu dpr Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert