Tatort: Krimi

Auch wir wollen es nicht versäumen, einen neuen Krimiblog in unserer Mitte zu begrüßen. →„Tatort: Krimi“ heißt der und konzentriert sich momentan auf Rezensionen, zuletzt Robert Littells „Kalte Legende“. Tja, und da bin ich nun über den Schlussabschnitt der Besprechung gestolpert:

„Nur zum Schluß ein kleiner Wermutstropfen: Selbstjustiz, so gerechtfertigt sie auch zu sein scheint und zu deren Zustimmung Littell uns geneigt machen will, ist immer, immer reaktionär.“

Hm, LITTELL macht geneigt? Nicht vielleicht eine Figur aus dem Roman? Und selbst das halte ich für fraglich.

15 Gedanken zu „Tatort: Krimi“

  1. Hallo,
    vielen Dank für das Bekanntmachen, die Zugriffszahlen auf mein Blog explodieren geradezu, 100000 sind es noch nicht, aber bald …
    Zu Littell: Ich hatte den Eindruck. Der sich da auf üble Weise rächt, ist die Sympathie- und Identifikationsfigur des Romans, ich fieberte die ganze Zeit mit, hoffte, daß alles gut ausgeht, freute mich über die gelingende Liebe zur der netten Frau, war der guten Auflösung sehr zugeneigt – und ertappte mich zum Schluß bei der Abrechnung bei dem Gedanken: Gib’s ihm. Der Roman entwickelte in seinem Verlauf einen Sog, der auf mich die Wirkung der völligen Zustimmung hat zu allem, was die Hauptfigur tut, und die Selbstjustiz wird nicht kritisch oder ironisch gebrochen. Das selbe Phänomen findet sich auch in Spielfilmen wie z.B. „Ein Mann sieht rot“ mit Charles Bronson, oder auch „Wer Gewalt sät“ von Sam Peckinpah.
    Und dann weiß ich natürlich aus der Lektüre der anderen Littell-Romane, daß ihr Autor kein linker Menschenrechtskämpfer ist, und die sich daraus ergebenden Ressentiments meinerseits (denn ich kenne Littell ja nur durch seine Bücher) unterstützten meinen Eindruck …

    Viele Grüße

  2. 100000? Warum so bescheiden? Na ja, das wäre immer noch das 1000fache von dem, was Ludger im ganzen Jahr hat…
    Aber mal ernsthaft: Hier kollidieren natürlich unsere Ansichten, Literatur betreffend. Ich weiß z.B. nicht, was eine „Sympathie- und Identifikationsfigur“ ist. Das heißt: Ich weiß es natürlich, aber ich verstehe nicht, wie man die eigene Wirklichkeit (aha!) und die eines Textes so miteinander verzahnen kann, dass man quasi das Handeln des Helden als Leitfaden eigenen Tuns begreift.
    Das führt natürlich zum grundsätzlichen Thema Welt des Textes / Welt des Autors. Kann ich aus der Handlungsweise einer fiktiven Person auf die Handlungs-/Denkweise ihres Schöpfers schließen? Vielleicht. Aber es ist nicht so einfach, wie mir die Sache mit der Selbstjustiz scheint. Nehmen wir mal Littell, den du nicht als „linken Menschenrechtskämpfer“ siehst (nebenbei: Mir wird die Verbindung zwischen „links“ und „gegen Selbstjustiz“ nicht ganz klar. Gerade im Baader-Meinhof-Gedenkjahr sollte man noch mal drüber nachdenken — aber jetzt bitte keine Diskussion „Was ist links und was nicht…“). Zurück zu RL: Der gibt im „Gastprofessor“ eine Rechtfertigung des Ladendiebstahls, was ich, würde ich deiner Logik folgen, als reichlich „links“ bezeichnen könnte oder wenigstens „antikapitalistisch“. So einfach ist es also nicht.
    Und grundsätzlich: Wir reden über Krimis. In Krimis geschehen Verbrechen. Wenn ich deine Argumentation hochrechne, dann komme ich zur Konsequenz, dass in einem Krimi niemals ein Verbrechen ungesühnt bleiben darf, dass die Fronten (gut, böse) immer geklärt sein müssen etc. Das wäre der politisch korrekte Krimi, vor dem es mir graut.
    Und noch etwas zum Verhältnis Schöpfer / Kunstwerk. Auch auf die Gefahr hin, mich jetzt fürchterlich unbeliebt zu machen und in eine bestimmte Ecke zu geraten: Aber wenn Hitler ein großer Maler gewesen wäre, dann wäre er eben ein großer Maler gewesen und als solcher zu würdigen. Das würde meine Abscheu vor dem Menschen in keiner Weise beeinflussen. Ich trenne also zuächst einmal Biografie und Werk, wobei einem das auch nicht immer gelingt. Aber wenn ich Biografie und Werk zueinander in Beziehung setze, ist das ein sehr komplexer Vorgang. Muss es sein.

    bye
    dpr
    *der, hätte Stalin einen tollen Roman geschrieben, auch zugeben würde, dass Stalin einen tollen Roman geschrieben hat.

  3. ob Sie sich, lieber dpr, mit der Referenz auf den Autobahnbaukünstler unbeliebt machen können, das bezweifle ich schon deswegen, weil die bei uns im täglichen Gebrauch ist. Gleichwohl ist sie, die Referenz, hier ziemlich unsinnig, schon weil man im Hinblick auf Selbs Justiz auch literahistorisch den Hammer rausholen könnte.

    Grüße!

  4. Natürlich ist sie unsinnig. Aber halt die letzte Konsequenz einer Haltung zu „Leben“ und Literatur. Und dem Hammer könnte man schon bei „Michael Kohlhaas“ rausholen.

    bye
    dpr

  5. @ dpr
    Ich laß mich ganz gern einfangen von Romanen, wenn sie es schaffen, mich zu packen, so daß ich aufgeregt mitfiebere, dann ist das für mich eine Qualitätsmerkmal. Als „Leitfaden eigenen Tuns“ würde ich das nicht bezeichnen. Wenn ich dann fertig bin mit dem Roman (und natürlich auch schon zwischendurch), lehne ich mich zurück, gewinne Distanz und frage mich, was da passiert ist: Wie ist er geschrieben? Ist die Geschichte gut? Und was sagt er eigentlich?
    Ich stimme Dir vollkommen zu, auch der größte Verbrecher kann gute Bücher schreiben – dieses Buch von Littell ist sehr gut, völlig unabhängig davon, was er sonst noch so macht. Und politisch korrekt müssen Romane auch nicht sein, aber ich finde es dann wichtig, mit dem Finger darauf zu zeigen und zu erklären, warum sie es nicht sind.
    Was beabsichtigt Littell mit diesem Ende? So mal eben en passant den Helden (und er ist so, als Held, konzipiert) zum Schluß Selbstjustiz verüben lassen, ohne jeden ironischen oder kritischen Kommentar: Kann man machen, ist auch gut umgesetzt, stößt mir aber auf: Das wäre m.E.so nicht nötig gewesen und ist als Aussage (Subtext: Selbstjustiz ist unter Umständn durchaus gerechtfertigt) kaum tragbar.
    Meinetwegen kann jeder Autor schreiben, was er will. Ich bewerte und begründe dann, was und weshalb es mir nicht paßt. Das Buch von Littell ist ein sehr guter Roman mit einem reaktionären Schluß.

  6. >> politisch korrekt müssen Romane auch nicht sein, aber ich finde es dann wichtig, mit dem Finger darauf zu zeigen und zu erklären, warum sie es nicht sind

    Also besser, sie wären es? Und dann?

    >> ohne jeden ironischen oder kritischen Kommentar

    Eine Figur ist eine Figur. Ein kommentierender Autor nimmt sie nicht ernst und ist ein schlechter Autor.

    >>ist ein sehr guter Roman mit einem reaktionären Schluß

    Oh mein Gott. Was machen Sie denn, wenn Sie einen sehr schlechten Roman mit einem „linken“ Schluss haben? Da fällt mir ein, Jutta Ditfurth hat doch auch mal einen Krimi geschrieben.

  7. Ich trenne also zuächst einmal Biografie und Werk, wobei einem das auch nicht immer gelingt. Aber wenn ich Biografie und Werk zueinander in Beziehung setze, ist das ein sehr komplexer Vorgang.

    James Elroy ist ein klassisches Beispiel. Man kann nämlich häufig lesen, dass er ein frauenfeindlicher Rassist ist. Hier findet bei vielen Lesern die perfekte Verschmelzung von Werk und Urheber statt.

    Viele seiner Protagonisten sind Rassisten und trotz starker Frauenfiguren sind es „männliche“ Welten, die Ellroy beschreibt, aber über Ellroy als Mensch lassen die Bücher keinen Schluss zu, man muss ja nur seine Interviews lesen – [und eine derartige Interpretation verstellt auch den Blick für seine Intentionen].

    Beste Grüße

    bernd

  8. Ellroy, lieber Bernd, ist natürlich auch deshalb ein Sonderfall, weil er tatsächlich Autobiografisches verarbeitet hat und sein Lebenstrauma (Mutter wurde ermordet) sogar als primärer Schreibimpuls herhalten muss. Aber selbst bei ihm muss ich doch nichts über die Bio des Autors wissen, um die Romane gut oder schlecht zu finden. Und du hast auch recht, dass es vice versa ebenfalls nicht geht. So wenig wie ich aus der Bio so ohne weiteres auf die Romane schließen kann, kann ich von den Romanen auf die Bio schließen. Dass AutorInnen ihre Biografie als Steinbruch nutzen, gehört zu den Trivialia der Literaturwissenschaft. Was sollten sie auch sonst ausbeuten?
    Ich weiß nicht, lieber Tatort, was ein „reaktionärer Schluss“ ist. Wer oder was ist reaktionär? Der Schluss an sich? Kann nicht sein, denn „reaktionär“ ist eine nur Menschen zukommende Eigenschaft. Also der Held? Na und? In der Literatur gibt es alle Sorten von Protagonisten. Der Autor? Darauf gibt es keinen einzigen Hinweis. Jedenfalls habe ich beim Lesen des Romans nicht so etwas bemerkt wie „Fußnote Littell: Ich bin für Selbstjustiz“.
    @Astrid: Erinnert mich an einige Auswüchse des Soziokrimis. Links gemeint, aber recht schlecht gemacht.

  9. @ ap
    >>Also besser, sie wären es? Und dann?

    Nichts weiter. Ich habe u.U. gar nichts dagegen, wenn ein Buch politisch unkorrekt ist, aber wenn es so ist, will ich die Gründe dafür wissen. In einer Buchbesprechung würde was fehlen, wenn ich nicht darauf hinwiese.

    >>Eine Figur ist eine Figur. Ein kommentierender Autor nimmt sie nicht ernst und ist ein schlechter Autor.

    Mag sein. Aber eine Figur ist immer die Schöpfung des Autors, und wenn sie sich reaktionär verhält, frage ich mich, warum. Wenn der Roman darauf keine Antwort hat und so tut, als sei das das Normalste auf der Welt, kritisiere ich das. Das würde man doch auch tun bei einem rechtsradikalen Krimi (keine Ahnung, ob es sowas gibt), und wäre er noch so gut geschrieben.

    >>Oh mein Gott. Was machen Sie denn, wenn Sie einen sehr schlechten Roman mit einem „linken“ Schluss haben?

    Was macht man in einer Buchbesprechung über einen sehr schlechten Roman mit einem „linken“ Schluß? Man schreibt: „Das ist ein sehr schlechter Roman mit einem ‚linken‘ (oder gutgemeinten) Schluß“.

    Ich bin nicht vom Fach, aber muß denn in einer Buchbesprechung nicht genau das benannt werden, was einem auffällt? Es kann dabei natürlich immer passieren, das ich mich irre oder die Aussage falsch verstanden habe. Wenn das der Fall ist, bin ich dankbar für eine überzeugende Berichtigung.

  10. @ dpr
    Ich habe zu Anfang vielleicht für Verwirrung gesorgt, als ich über meine Ressentiments gegen Littell sprach, aber auf die kommt es mir gar nicht an (ich weiß ja, daß es Ressentiments sind).

    >>Also der Held? Na und? In der Literatur gibt es alle Sorten von Protagonisten.

    Ganz genau so ist es. Manchmal gibt es richtig sympathische Mörder, und meistens wissen wir, daß das, was er macht, trotzdem falsch ist. In diesem Fall übt der „positive“ Held Selbstjustiz, und das wird auf eine Art beschrieben, als sei das durchaus legitim und ethisch vertretbar. Das ist es aber ganz sicher nicht. Kann sein, daß das eigentlich niemanden stört, mir zumindest paßt das nicht ;-:, also kritisiere ich es.

  11. Der Protagonist handelt vorher schon „politisch nicht korrekt“.Vielleicht soll dieser Schluß verdeutlichen daß er nicht besser und nicht schlechter ist als die anderen Figuren.

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