Die Eindeutscher

„Übersetzer achten lernen“, fordert „Krimileser“ und Kollege →Bernd. Heißt nicht zuletzt: Bezahlt sie endlich besser! Die uns die Schätze der literarischen Welt ins Deutsche übertragen, vegetieren, wie Bernd richtig kommentiert, „am Ende der Nahrungskette“, zumeist einträchtig vereint mit den Autorinnen und Autoren, so diese nicht zufällig zur exklusiven Gruppe der Bestverkäufer zählen. Aber wäre damit das Problem gelöst?

Was muss eine Übersetzerin, ein Übersetzer überhaupt können? Sie / er sollte die Sprache, aus der übersetzt wird, beherrschen, aber auch das Deutsche. Ein Netz von Informationsgebern ist ebenfalls vonnöten, um raren Slang oder Fachausdrücke ohne Bedeutungsverluste zu übertragen. Wenn ich also einen Krimi aus der aufregenden Welt der Mikrobiologie übersetzen müsste (gottlob werde ich das nie müssen), wüsste ich schon, an wen ich mich wenden muss…

All das kostet Zeit, Zeit, die in der Regel nicht bezahlt wird. Die Angaben über die Honorare von ÜbersetzerInnen variieren, jüngst erzählte mir jemand, der es wissen sollte, er weigere sich einfach, diese Arbeit mit 13 € die Seite abzuspeisen. Wahrscheinlich geht es noch tiefer in der Prekariatsbereich, es steht zu befürchten. Denn die Fachkompetenz allein ist es eben auch nicht, die die Zeit kostet. Kriminalromane sind, man glaubt es kaum, literarische Werke, ein Teil ihrer Wirkung ist an die Sprache gebunden, in der sie verfasst worden sind. Und die ist von Sprache zu Sprache verschieden, wortwörtliche Übersetzung mithin selbst dann, wenn sie „korrekt“ ist, nicht immer die beste Lösung.

An ein schönes Beispiel erinnere ich mich. Vor Jahren übersetzte Hans Wollschläger, nicht nur Übersetzer, sondern auch Literat, Raymond Chandlers „Long Goodbye“. Darin gab es einen Satz, den Wollschläger als „Er nahm einen langen Drink“ eindeutschte – und damit Zeder und Mordio und Häme auslöste (war’s im SPIEGEL? Ich glaub schon), denn bei Chandler heißt es „long drink“, was nun alles mögliche ist, aber eben kein „langer“ Drink. Und dennoch: Wer die Passage im Deutschen liest (das Original liegt mir leider nicht vor), der ahnt, dass Chandler genau das meinte: einen langen Drink nehmen, sich Zeit lassen dabei, Zeit zum Überlegen finden. Wollschläger hat also „richtig“ übersetzt, indem er die Wortbedeutung zugunsten der poetischen missachtete. Um das tun zu können, muss jemand einen Text vollständig durchdringen, muss ihn verstehen, muss an die Stelle des Autors rücken. Das sollte man nicht nur können, das bedarf auch der Vorbereitung, der Einarbeitung. Die natürlich ebenfalls nicht bezahlt wird und in den paar läppischen Euro pro Seite schon enthalten ist.

Übersetzen ist also eine literarische Tätigkeit. Der Teufel flüstert mir nun ein: eben. Literarische Tätigkeiten werden halt mies entlohnt, die meisten Schreibenden schauen sehnsuchtsvoll zu den Beziehern von Festgehältern in der Literaturbranche, wohl wissend, dass sie schon einen „Knüller“ fabrizieren müssten, um von ihrer Arbeit einigermaßen auskömmlich leben zu können.

Die werte Leserschaft des Krimigenres interessiert sich in aller Regel weder für die Einkommensverhältnisse von AutorInnen und ÜbersetzerInnen noch für die literarische Qualität eines Textes und seiner Übersetzung. Es ist ihnen egal, sie können es auch gar nicht, denn Sprache ist ihnen ein Buch mit sieben Siegeln, sie sind zufrieden, wenn es gänsehäutelt und das Opfer nicht nur getötet, sondern bei lebendigem Leibe gehäutet wird. Wer sich auf einschlägigen Seiten kundig macht und einen Blick auf die „Leserrezensionen“ wirft (die manchmal als „Rezessionen“ angepriesen werden), der ahnt, warum es ein aussichtsloses Unterfangen bleiben muss, de facto Halbanalphabeten etwas über gute und schlechte Literatur erzählen zu wollen.

Doch selbst dort, wo der Übersetzer einen misslungenen Originaltext vor sich hat, kann er – und sei es auch nur für die Berufsehre – dafür sorgen, dass seine Übertragung ins Deutsche einigermaßen lesbar wird. Dass es selbst daran manchmal hapiert und Übersetzungen wie Produkte aus wackligen Eindeutschungsklitschen in die Welt kommen, sei nicht verschwiegen und hat auch meistens nichts mit der Bezahlung zu tun. Dennoch: Wer sich darüber aufregt, dass er für ein Buch 12 Euro zu zahlen hat, wo doch „vergleichbare“ andernorts für 9 zu haben sind, sollte sich fragen, ob denn nicht ein Bruchteil des Mehrpreises an den Übersetzer geflossen ist. Ich jedenfalls wünsche mir statt der Aufkleber „Bestseller“ oder „Von dpr gelobt!“ einen Aufkleber „Der Übersetzer, die Übersetzerin dieses Buches wurde besser bezahlt als üblich“. Naja, muss kein Aufkleber sein. Schreibt es klein auf den Rückumschlag.

6 Gedanken zu „Die Eindeutscher“

  1. schön, lieber dpr, daß Sie der Long-Drink-Kontroverse ein Denkmal setzen und damit auch an so schauerliche Eindeutschungsversuche wie Gin + Tri-Top + Wasser oder Racke Rauchzart mit Sprudel erinnern.

    Beste Grüße!

  2. Ist das derselbe Wollschläger, der einmal „a pint of beer“ mit „eine Pinte Bier“ übersetzte und den „set“ beim Film „The Big Sleep“ mit „Fernsehgerät“?

  3. Weiß ich nicht. Es ist jedenfalls derselbe Wollschläger, der „he cried butterly“ mit „Er weinte Buttermilch“ übersetzte. Und das finde ich immer noch sehr schön und richtig.

    bye
    dpr

  4. Ich verweise noch auf ein Gespräch, das die Kollegen der Krimicouch mit einigen ÜbersetzerInnen führten. Schon etwas älter, aber immer noch interessant und →hier zu finden.

    bye
    dpr

  5. Man müsste halt den Titel rechtlich schützen und per Diplomarbeit definieren. Aber wie? Wenn die gescheitesten Leute auf ihre Sprache nichts geben? All diese Amerikaner „its“ von „it’s“ nicht unterscheiden? Und wenn man etwas sagt, antworten: „Nu? Man versteht es doch?“ Oder auch: „Jeez! I am not Shakespeare!“

    Ergo: falls Du Uebersetzer bist, such Dir Unterschlupf in einer Grossfirma und übersetze Neujahrskarten, Preistabellen, Wandkalender.

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