Derek Nikitas: Pyres

„Coming of Age“ bezeichnet im englischsprachigen Raum Entwicklungsromane, in denen das Erwachsenwerden eines Menschen dargestellt wird. „Pyres“ erzählt die Geschichte von Lucia Moberg, geboren am 13.12., dem Tag der heiligen Lucia und nach dieser benannt. Sie ist die Tochter von Oscar, seines Zeichens Professor für englische Sprache am regionalen College, und ein mehr oder wenig gewöhnliches 15 jähriges Mädchen mit den üblichen Interessen, Sorgen, Problemen. Dann wird vor ihren Augen ihr Vater erschossen und später verliert ihre Mutter die Kontrolle über sich. Das Buch beschreibt, wie Lucia versucht, die Ordnung in ihrem Leben zu wahren und zu verstehen, was eigentlich nicht zu verstehen ist.

„Police Procedural“ nennt man im Englischen die Krimis, die die Aufklärungsarbeit aus der Sicht der Polizei betrachten und gleichzeitig etwas vom deren inneren Mechanismen darzustellen versuchen. Greta Hurd ist die Inspektorin, die versucht, den Mord an Oscar Moberg aufzuklären. Greta ist ausgebrannt, ihr Privatleben ging schon lange den Bach ‚runter und sie ist nicht frei von Schuldgefühlen ihrer eigenen Tochter gegenüber. Mühsam arbeiten sie und ihr Kollege sich voran und versuchen aus den mageren Informationen des Falles ein Bild zu gewinnen, um dann plötzlich mit einem Entführungsfall konfrontiert zu sein.

„Atmosphärisch stimmig“ kann ein Buch auf vielerlei Arten sein, häufig werden damit Bücher bezeichnet, die dem Leser ein plausibles Ortsgefühl geben. „Pyres“ transportiert gut und stimmig die Atmosphäre einer Motorradgang. Einer mit harten Sitten, bei der man man sich beweisen muss, bevor man Mitglied werden darf, dafür aber eine Familie erhält, die mit einem durch dick und dünn geht. Eigentlich, so meint man zuerst, typische Rednecks, doch Nikitas versammelt hier ein Panoptikum von exzentrischen Individuen, die einen Halt fürs Leben finden. Wie zum Beispiel die hochschwangere Tanya Yasbeck und Mason Renauld, ihr brutaler Freund, der mit Gewalt in die Gang aufgenommen werden möchte.

„Thriller“ nennen manche die Krimis, bei denen dem Leser vor Aufregung der Puls rast. Während am Anfang des Buches Lucias Reaktion auf den Tod des Vaters und das eigenartige Verhalten der Mutter im Vordergrund steht, entwickelt sich die Geschichte zunehmend zu einem knallharten Actionthriller, packend, mit Rätseln und vollgeladen mit Gewalt.

Unter „literarischen Krimis“ werden mitunter Krimis verstanden, welche die textuelle Basisarbeit betonen und auf Kosten klassischer Krimieigenschaften wie Spannung und Thrill mit Wort- und Satzkonstruktionen glänzen. In „Pyres“ wird zwar nicht so sehr die blumige, poetische Sprache gepflegt, aber dennoch, Nikita schätzt ab und an das nachdenkliche Wort, besitzt ein großes Einfühlungsvermögen in seine Personen und kommt häufiger mit Passagen daher, die Freunden des „literarischen Krimis“ gefallen würden. Dazu flechtet er Stimmungen und Bilder der nordischen Sagenwelt in seinen Text ein, von der Oscar, aus Schweden stammend, gerne seiner Tochter erzählt hatte.

„Sehr gute Bücher“ sind selten. „Pypes“ ist eines: Mit einer stilistischen Bandbreite, die beeindruckt, nicht beliebig ist, sondern wohl konstruiert, und mit seiner gediegenen Sprache ist es ein spannender Thriller, ein einfühlsamer Roman, ein beeindruckendes Lesevergnügen.

Derek Nikitas: Pyres. 
St. Martin Minotaur 2007. 308 Seiten. 17,99 €
(noch keine deutsche Übersetzung)

3 Gedanken zu „Derek Nikitas: Pyres“

  1. typisch, erst richtig Appetit machen, und dann „noch keine deutsche Übersetzung“. Jetzt muss ich wieder meine Antidepressiva schlucken ….

  2. Bernd wäre ja generell bereit, jeweils zu den Rezensionen noch eine deutsche Übersetzung anzufertigen, die wir dann als PDF unseren LeserInnen kostenlos anbieten könnten. Aber die bösen Verlage wollen das aus unerklärlichen Gründen nicht.

    bye
    dpr

  3. Ja, Thomas.

    dpr hat einfach gute Ideen. Tatsächlich tut’s mir bei diesem Buch besonders leid. Gute Erstlinge gibt es ja häufiger. Meistens lassen sie den gutwilligen Leser voller Sorge auf das zweite Buch kucken, Tana Frensh ist so eine Autorin. Da weiß man nicht, ob sie sich leergepumpt hat oder die Substanz hat ein zweites eigenständiges Buch folgen zu lassen. Bei Nikitas meine ich, relativ sicher zu sein, der hat so viel Qualität und soviel Selbstreflexion, der wird ein Großer.

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