Im Reich der Mitte

Via →Krimiblog.de erreichte uns am Mittwoch ein kleiner Vorgeschmack auf die Apokalypse. „Die Buchkultur“, diagnostizierte Grafit-Verleger Dr. Rutger Booß zum „Tag des Buches“ in der Westfalenpost, „wird bedroht von der unglaublichen Vielzahl überflüssiger Bücher, die sich gut verkaufen.“ Ei, wie das denn? Bisher sind wir davon ausgegangen, es sei gerade der aus solchen Büchern gezogene Profit, der es Verlagen erlaube, auch weniger Gängiges im Programm zu halten. Gleichwohl leuchtet des Verlegers Lamento auf den ersten Blick ein: Gäbe es weniger überflüssige Bücher, die sich gut verkaufen, gäbe es vielleicht mehr in ihrer Existenz legitimere Bücher, die der freundlichen Büchhändlerin aus den Händen gerissen werden. Vielleicht, na ja. Eher nicht, sagt mir mein hoffentlich noch halbwegs gesunder Menschenverstand, es sei denn, es gelänge uns, Charlotte-Link-Leser zu Fred-Vargas-Lesern und Stieg-Larsson-Besoffene zu James-Sallis-Afficionados umzuschulen. Haare kann man inzwischen einpflanzen; Gehirnzellen meines Wissens noch nicht. Also vergessen wir das schnell wieder.

Und was ist eigentlich „überflüssig“? Und sind es nicht die Verleger, die für solchen Überfluss sorgen? – Viele Fragen. Aber eins ist wohl richtig: Kriminalliterarisch leben wir in einer Zweiklassengesellschaft. „Ein Buch krebst vor sich hin oder wird ein Bestseller, aber dazwischen gibt es nicht mehr viel.“, weiß Dr. Booß. Die Mitte fehlt.

Die Mitte? Nächste Frage: Wo ist die eigentlich? Dort, wo der Verleger aufatmend vom Rot- zum Schwarzstift wechseln kann. Okay, das ist die eine Mitte. Eine andere wäre die der AutorInnen. Deren Mitte befindet sich dort, wo sie von den Erträgen ihrer Arbeit leben können.

Muss ja nicht in Saus und Braus sein. Spielen wir das mal kurz (wieder einmal) durch. Jemand schreibt einen Krimi und braucht, alles in allem, ein Jahr dafür. Manchmal geht es schneller, manchmal langsamer, aber ein Jahr ist schon realistisch, wenn man „Arbeit“ nicht nur auf den Vorgang des Schreibens reduziert, sondern auch berücksichtigt, dass eine Idee gefunden und ausgebaut, ein Handlungs- und Spannungsgerüst erstellt, eine adäquate Sprache erprobt, recherchiert werden muss, korrigiert etc… Schätzen wir den Umfang dieser Arbeit auf 1500 Stunden, was nun kein ganzes Arbeitsjahr ergibt, aber auch AutorInnen machen mal Pause oder haben schlichtweg keine Lust auf Arbeit, wenn die Sonne scheint.

1500 Stunden also. Bei einem Stundensatz von – 10 €. In Worten: Zehn Euro, das liegt haarscharf über dem Mindestlohn für Briefträger. Ergibt die stolze Summe von 15.000 Euro, die, wenn sie denn an Honorar reinkäme, DIE MITTE für uns Autoren sein könnte. Damit kann man keine großen Sprünge machen, gewiss nicht, aber – und jetzt kommts – das hat auch niemand vor, denn die wenigsten AutorInnen geraten jemals in die Verlegenheit, 15.000 Euro Honorar für einen Kriminalroman zu erhalten.

Denn das würde bedeuten, mindestens 20.000 Taschenbücher verkaufen zu müssen. 20.000, und das ist noch, wie man so schön sagt, konservativ gerechnet. Wahrscheinlich sind es mehr, und von Hardcover reden wir schon gar nicht. Da kriegt du zwar mehr Honorar pro verkauftem Exemplar, aber du verkaufst halt nicht so viel wie bei Taschenbuchausgaben.

Man erspare es mir, mich hier mit geschätzten Prozentzahlen, wieviel deutschsprachige Krimiautoren hierzulande 20.000 Exemplare pro Titel absetzen, aus dem Fenster zu lehnen. Eins weiß ich: Es sind nicht viele. Und, mal ganz ehrlich, 15.000 Euro pro Arbeitsjahr sind nicht gerade fürstlich, wenn man bedenkt, dass davon Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind und Werbungskosten entstehen etc. Die AutorInnen sind also genötigt, entweder das Schreiben als Feierabendbeschäftigung neben der Brotarbeit zu erledigen oder aber zusätzliche Einnahmequellen zu finden, zum Beispiel Lesungen, für die es ein paar Hundert Euro gibt.

Letzteres mag ja ganz nett klingen. Aber so zahlreich sind diese Gelegenheiten für durchschnittlich bekannte Krimischaffende auch nicht. Außerdem: Wer geht schon gerne mit seinem alten Krempel auf Tour, wenn ihm längst das neue Werk im Kopf herumgeistert? – Bleibt, als Königsweg: die Brotarbeit.

Wohl dem, der die Möglichkeit hat, für Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten (regelmäßig, wenns geht), für den Rundfunk, das Fernsehen gar. — Sind auch nicht gerade raue Mengen. Dem großen Rest bleibt nur der hundsgewöhnliche Job und die Hoffnung, nach Feierabend nicht zu kaputt zu sein, überhaupt noch ein Stück richtiges oder digitales Papier angucken zu können.

Noch einmal: die Mitte. Für viele KollegInnen ein nahezu unerreichbares, außerirdisches Paradies. Und welcher Teufel hindert uns daran, es zu betreten? – Genau: der Leser, die Leserin. Die konsumieren das immer gleiche elende Zeug, die wollen sich unterhalten, ebenso flach wie spektakulär, ein bisschen Wirklichkeit darf schon dabei sein, aber bitte nur in leicht zu transportierenden Worthülsen, aber bitte keine Perspektivwechsel, keine Zeitsprünge, keine unvollständigen Normsätze, keine Gedanken, die nicht schon längst im Leserköpfchen drin sind.

Oder sind am Ende gar nicht die Leser und Leserinnen schuld an der Misere? Krepiert die „Buchkultur“ am Gebaren und Gejammer der Verlage, „Anspruchsvolles“ verkaufe sich nun mal nicht, man müsse also auf den großen Misthaufen weiterhin Mist werfen, der, weil er zu Geld wird, bekanntlich nicht stinkt? Das Anspruchsvolle überlässt man den Selbstausbeutern, den kleinen Verlagen, deren Problem es ist, dass sie kaum an die Leser, die Leserinnen herankommen und diese nicht an sie, womit wir bei den Buchhandlungen wären, die auch kaum anders lamentieren als die Verlage. Oder liegt etwa auf dem Novitätentisch der Buchhandlung Ihres Vertrauens Amir Valles „Freistatt der Schatten“ zum Mal-rein-Lesen? — Tatsächlich? Dann werden Sie Glückspilz wahrscheinlich auch bald den Jackpot im Lotto knacken; Gratulation vorab.

7 Gedanken zu „Im Reich der Mitte“

  1. Du verstehst das nicht, mein Lieber. Er meint: „Die Buchkultur, die ich mit meinen Büchern vertrete, wird bedroht von der unglaublichen Vielzahl überflüssiger Bücher aus anderen Verlagen, die sich gut verkaufen.“

  2. Hm, ja, wahrscheinlich; tun sie ja alle… Aber wo wir gerade bei überflüssigen und nicht so überflüssigen Büchern sind und bei Krimikonvention und Suspense und bei Grafit: hören wir uns doch an, was höchste kirchliche Greise, äh, Kreise zum Thema zu →vermelden haben:
    „Wirklich bemerkenswert ist dabei, dass Rönkä bewusst auf alle „Spannungsklischees“ verzichtet – kein Mord, kaum Suspense-Dramaturgie.“
    Ein höchst nützliches Grafitbuch also – leider ohne vorschriftsmäßige Spannung. Daran arbeiten wir dann noch, lieber Dr. Booß!

    bye
    dpr

  3. Genau das, liebe Barb. Macht besoffen – und am nächsten Tag wachst du mit dickem Kopf auf und schreist nach Aspirin und Alka Seltzer.

    bye
    dpr

  4. Ganz bestimmt. Rauchen kann ich gar nicht mehr. Na, vielleicht manchmal im Traum… Und ein Laster oder zwei muß man ja schon haben, um nicht zu einem völlig unerträglichen Moralapostel zu werden 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert