Michael Robotham: Todeskampf

Was für seltsame Tiere sind wir eigentlich, dass wir den Nektar unserer Feierabende aus dem Elend der Welt saugen? – Das ist eine Feststellung, kein Einstieg in eine moralische Betrachtung. Wir SIND seltsame Tiere. Und Kriminalliteratur zieht ihre Süße aus den großen und kleinen Tragödien, den privaten und den globalen, den staatserhaltenden Verbrechen. Darf sie das? Sie MUSS es! Der ganze Dreck in spannende Unterhaltung eingewickelt – wir sind halt nicht nur seltsame Tiere, wir sind auch ziemlich bequeme, die selbst bei der Zurkenntnisnahme unangenehmer Wahrheiten nicht auf die Vorzüge des Entertainments verzichten wollen.

Womit wir bei Michael Robothams Thriller „Todeskampf“ wären. Ein Roman, der uns aus der Londoner Bürgerlichkeit ins Amsterdamer Rotlicht- und Asylantenmilieu führt, nebst flüchtigen Einblicken in das Elend der afghanischen Bevölkerung. Es geht um Kinderhandel der besonderen Art, erzwungene Leihmutterschaften als Alternative zu einer Existenz als Prostituierte. Die Täter sind skrupellose Geschäftemacher mit dem moralischen Hammer im Gepäck, die Opfer junge Mädchen, aus einer Kultur gerissen, in eine andere gestopft.

Detective Constable Alisha Barba wird in einen solchen Fall verwickelt, als ihre früher beste Freundin Cate um ein Treffen bittet. Man wolle ihr das Baby wegnehmen, sagt sie, die offensichtlich Schwangere, mehr erfährt Barba nicht, kurz darauf sind Cate und ihr Mann tot – von einem Auto überfahren. Und Cate, stellt sich heraus, war gar nicht schwanger. Um welches Baby also geht es?

Barba, indischstämmig, Langläuferin, lange dienstunfähig, seit ihr (im Vorgängerwerk „Amnesie“) die Wirbelsäule zertrümmert wurde, macht sich auf die Suche nach den Hintergründen der Tat und Cates mysteriöser Schwangerschaft. Ihr zur Seite der ebenfalls aus „Amnesie“ bekannte Vincent Ruiz, jetzt pensioniert und in eine Nebenrolle gedrängt. Die Spur führt in eine anscheinend philantropische Klinik für schwangere Frauen, von dort nach Amsterdam, wo Barba und Ruiz hinter die Kulissen der berühmten „Schaufensterprostitution“ schauen und schließlich die junge Samira kennenlernen, afghanischer Flüchtling, schwanger, „verlobt“ mit einem Mann, dessen Messer locker sitzt, was Barba und Ruiz bald zu spüren bekommen. Auf der Nachtfähre nach England („Night Ferry“ heißt der Roman im Original) kommt es zum dramatischen Höhepunkt.

Das alles ist perfekt dramatisiert, nichts, aber auch gar nichts fehlt, um sich prächtig unterhalten zu lassen. Das unvermeidliche Quantum Sentimentalität ist wohldosiert, die Moralismen sind stets präsent, arten aber nie in Volksbelehrung aus, der Zusammenhang zwischen bürgerlichem Harmoniestreben und blankem Elend wird deutlich – und uns unterhält es prächtig.

Seltsame Tiere. Alles in diesem Roman ist bekannt und verweist auf ein Grundproblem, die moralisch verbrämte Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt. Kinderarbeit? Schrecklich, ja. Aber so verhungern sie wenigstens nicht. Nur, wer informiert sich schon über solche Übelkeiten aus Sachbüchern? In Kriminalromanen dagegen kurbeln sie die Adrenalinproduktion an, und wenn dazu noch etwas hängen bleibt, eine Ahnung wenigstens, wie diese Welt in ihren groben Mechanismen funktioniert – sehr schön. Mehr kann man von einem Krimi nicht erwarten.

Michael Robotham: Todeskampf. 
Goldmann 2008. 474 Seiten. 8,95 €
(Night Ferry, 2007, deutsch von Kristian Lutze)

4 Gedanken zu „Michael Robotham: Todeskampf“

  1. „Ganz toll“, dass man hier gleich zu Beginn ein wichtiges Detail verraten bekommt, welches man sich lieber krimi-lesend erschlossen hätte!
    [ZIZAT]
    Es geht um Kinderhandel der besonderen Art, erzwungene Leihmutterschaften als Alternative zu einer Existenz als Prostituierte.[/ZIZAT]

    Aergerlich sowas!!!!!!!!

  2. Nun ja, Nunja, ich zitiere mal aus der Amazonbeschreibung: „Alisha ermittelt auf eigene Faust im Milieu zwielichtiger Adoptionsagenturen“. Auch schon ärgerlich. Und Cates Schwangerschaft wird dort ebenfalls als Scheinschwangerschaft verpetzt. — Solltest du vielleicht in Zukunft auf das Lesen von Rezensionen lieber ganz verzichten?

    bye
    dpr

  3. dpr, mal ganz ehrlich: Findest Du diese Sikh glaubwürdig? Rührt Dich irgendwas an ihrem Schicksal, positiv oder negativ? Handwerklich finde ich den Todeskampf in Ordnung, von der Figurenzeichnung aber so was von kalt lassend, dass mir Dein Lob doch arg euphemistisch scheint.

  4. Die Protagonistin, lieber Lars, ist für mich so glaubwürdig oder unglaubwürdig wie die meisten anderen Krimihelden auch. Sie erfüllt ihre Aufgabe im Roman, nicht mehr und nicht weniger. Sie BERÜHRT mich nicht, das ist wohl wahr. Aber sie steht auch nicht im Vordergrund, sondern die Story selbst. Und die finde ich – im Gegensatz zu etwa Thea Dorns „Mädchenmörder“ – durchaus glaubwürdig. – Zufälligerweise habe ich gerade die Lektüre eines deutschen Krimis, „Das Feuermal“ von Wolfgang Kaes, beendet, wo sich „unglaubwürdiges Personal“ ebenfalls nur so tummelt. Hier kommt allerdings erschwerend hinzu, dass auch die Story unglaubwürdig ist. Aber, das muss man Kaes lassen, clever gestrickt.

    bye
    dpr

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