Übersetzerelend

Eine neue Diskussion zu einem alten Thema erschüttert die →„Krimi-Couch“: Hat der (Neu-)Übersetzer von Rex Millers „Fettsack“ geschludert? Schlimmer noch: Hat er eigenmächtig in den Text eingegriffen und die Erzählperspektive manipuliert? Und obendrauf noch die Mutmaßung, die angeblich gekürzte Erstübersetzung von 1992 sei gar nicht gekürzt worden.

Ob diese Anschuldigungen zutreffen, vermag ich nicht zu beurteilen. „Fettsack“ ist ein prima Buch, keine Frage, wenngleich es mir entschieden zu sehr unter dem Serienmörderaspekt gelesen wird. Offensichtlich jedoch ist das bekannte Dilemma: Ich kann ein übersetztes Buch zwar nach bestem Wissen und Gewissen rezensieren – aber auch mit gutem Gewissen? Müsste nicht die Zurkenntnisnahme des Originals obligatorisch sein? Und möglicherweise gar die möglicher Alternativübersetzungen? – Unrealistisch, ganz klar. So polyglott bin ich nun auch wieder nicht, so viel Zeit steht mir nicht zur Verfügung. Ich MUSS mich auf Übersetzungen verlassen. Wobei ein weiteres Dilemma entsteht: Sind sprachliche Schwächen des Textes solche des Originals oder der Übersetzung? Falls ersteres: Warum sind sie dem Übersetzer nicht aufgefallen? Und bei letzterem: Warum nicht wenigstens dem Lektor?

Übersetzer, das ist ein weiteres leidiges Thema, müssen nicht nur die Originalsprache eines Textes beherrschen, auch souveräner Umgang mit der Muttersprache ist vonnöten. Und weiter: Ein Übersetzer muss die Architektur eines Textes verstanden haben und in der Lage sein, auch sie möglichst ohne größere Schäden zu übertragen. Das ist eine ganze Menge, und schon höre ich die Klage: Ja, in Ordnung. Aber Übersetzer werden zu schlecht bezahlt, um all das leisten zu können!

So ist es. Übersetzer werden schlecht bezahlt. Autoren in der Regel auch, sieht man von denen an der (dünnen) Spitze ab. Nur möchte ich den Autor sehen, der die Schwächen seines Buches mit der geringen Entlohnung entschuldigt und verspricht, bei besserer Entlohnung selbstverständlich auch besser zu arbeiten.

Das Gros des hierzulande und anderswo für fremde Zungen genießbar gemachten Krimigutes bedarf nicht des Meisterübersetzers. Schablonierter Schnickschnack, und die Leser selbst kaum in der Lage, einen deutschen Satz unfallfrei zu formulieren. Bei genau gearbeiteten, komplexen Texten jedoch ist das anders. Hier fungiert der überforderte oder im Akkord produzierende Übersetzer als Totengräber, mit seinem Umvermögen stirbt der Text einen schmählichen Tod. Fast möchte man ausrufen: „Lest nur noch deutsche Krimis!“ – und damit endgültig im Provinziellen des eigenen engen Horizonts Wurzeln schlagen.

29 Gedanken zu „Übersetzerelend“

  1. Anmerkung: Inzwischen hat sich auch Übersetzer Joachim Körber zu den Vorwürfen geäußert und weist sie, schlüssig, wie ich finde, zurück. – Und Kollege Schafft hat im Moment (halb neun) ein Problem mit seiner Seite, wie es scheint. Später noch einmal versuchen.

    bye
    dpr

  2. Eine kleine Anmerkung, bevor’s zur Arbeit geht: Manchen Übersetzern fallen auch die Schwächen des Originals auf, aber sie übersetzen sie mit. Zu Recht. Oder? Dürfen Übersetzer ein Buch verbessern? Harry Rowohlt, der alte Angeber, hat mal behauptet, er würde es ab und zu machen…
    Und dann kommt manchmal eine Verbesserung raus wie bei Dostojewski, die später wieder rausgenommen wird.
    Ist eine lange Diskussion.

  3. Die „Fettsack“ Neuauflage machte auf mich von Anfang an den Eindruck, von innen wie außen wohlgeraten zu sein. Und Körbers eigene Worte bestätigen dies nachvollziehbarer, als die Vorwürfe gegen ihn es tun. Das (in letzter) Zeit gerade beim Krimi geschludert wird, was die deutschen Bearbeitungen angeht, ist leider auch Fakt. Eklatantestes Beispiel ist der eigentlich lesenswerte „Inspektor O.“ bei dem nicht mal der Klappentext stimmt. Und der mit so schönen Worten wie der „Undichtigkeit“ eines Fahrradreifens aufwarten kann. Da weiß man nicht, ob der Übersetzer einem poetischen Schub erlag, oder schlicht sprachlos war und vor sich hin brabbelte.

  4. Herrn Körbers Argumente überzeugen mich auch, zumal die klagende Dame irgendwie nicht zwischen Original und Erstübersetzung unterscheiden kann. Aber das Problem bleibt. Auch dann, wenn, wie Georg richtig bemerkt, das Original gravierende Mängel aufweist. Soll die Übersetzerin, der Übersetzer hier „nachbessern“? Oder liegt die Zuständigkeit bei Verlag / Lektor, die ein solches Buch ins Programm aufnehmen wollen? – Ich erinnere mich gerade wieder an die Sjöwall / Wahlöö – Übersetzungen mit ihren Anhäufungen von „hatte – hatte – hatte – hatte“ etc (gilt auch für war, ist…), wo man sich – falls es sich um „korrekte“ Übersetzungen handelt – schon manchmal wünscht, der Übersetzer würde ein ganz klein wenig eingreifen. Aber, ja: Ist ein großes, kontroverses Thema.

    bye
    dpr

  5. Das selbstgewiss ahnungsfreie Herumgekeife des Anklagebeitrags auf der Couch gällt mich zwar arg. Aber über diesen Patzer habe ich dann doch sehr feixen müssen:

    (z.B. Jack Eichord – Bekehrender Alkoholiker)!

    Prost,

    tkl

  6. Lieber tkl, sind wir das nicht alle – bekehrende Alkoholiker? Wäre natürlich auch eine Erklärung wie die Beiträge zustande gekommen sind – zu viel missioniert während des Vergleichslesens. Da verschwimmen schon mal Kapitel.

    Tja, die Crux mit Übersetzungen: was habe ich mich seinerzeit schwergetan mit der hochgelobten Übersetzung der kompletten Werke Edgar Allan Poe’s durch Hans Wollschläger und Arno Schmidt. Ich bezweifele bis heute, das sie den Geist der Vorlage treffen. Damals als junger Mensch, der sowohl Edgar Allan Poe wie Arno Schmidt schätzt(e) war ich jedenfalls recht enttäuscht.

  7. ich hab bei kafka beim zitieren auch schon ab und zu ein wort rausgeschmissen, das mir nicht gefallen hat.
    ganz selten, dass da mal einer sagt, hey, eigentlich heißt es doch so und so.
    das trifft vor allem auf die romane zu, die er nur einmal runtergeschrieben und dann verworfen hat.
    da poliere ich immer ein bisschen nach.

  8. Über den Patzer, lieber tkl, feixen wir hier ständig (hoffentlich liest er nicht mit), aber DIESER ist auch nicht zu verachten.
    Die Poe-Übersetzungen. In Schmidt-Kreisen zählen die inzwischen zum Werk des großen Mannes aus Bargfeld, und im Vergleich zu älteren Eindeutschungsversuchen trifft er den Ton manchmal wirklich schön. Manchmal ist es natürlich Originalschmidt, klar… Und, pfui, Fräulein Anobella! Kafka polieren! Das sollte ich mich mag wagen…

    bye
    dpr

  9. „wenngleich es mir entschieden zu sehr unter dem Serienmörderaspekt gelesen wird“: vielleicht hängt das ja mit der Übersetzung zusammen — an „Slob“ kann’s nicht liegen.

    Beste Grüße!

  10. was ich jetzt aber bei der debatte auf der krimicouch nicht kapiere, ist, dass da ruhe im karton herrscht, seitdem sich der übersetzer via jochen dazu geäußert hat.
    da fehlt mir der abrundende schlusskommentar der threadbesitzerin.
    😉
    man möchte doch gerne wissen, wie die sache ausging. so viel zeit müsste doch sein.

  11. Also das, mein süßmäuligestes Vögelchen, verstehe ich jetzt sofort. Die Geschichte mit dem Tiger, der als Bettvorleger landet. Oder menschenfreundlicher: Wahrscheinlich macht die Dame jetzt einen akribischen wissenschaftlichen Textvergleich, um sich neu zu munitionieren.

    bye
    dpr

  12. Liebe Anobella, die Sache IST komisch. Oder um es mit den DOORS zu sagen: „People ARE Strange“. Ich glaube, entgegen ihrer Beteuerungen hat die Dame nur die beiden deutschen Ausgaben verglichen. Jetzt dauert’s bis das Original da ist, sofern sie sich die Mühe macht. Und was – wovon ich ausgehe -, wenn Körber recht behält? Entschuldigen vielleicht? Da kommt nichts mehr…

  13. Eine derartige Reaktion setzt aber Einsicht ins eigene Tun voraus. Und ich bin skeptisch, ob das vorhanden ist. Dann doch lieber am Kettenspiel beteiligen.

  14. Oh je, Anobella, die Dame hat reagiert. Aber auf eine Art, die die Sache nicht weniger seltsam macht. Dann nehme ich doch lieber dprs Bettvorleger.

  15. Genau, Jochen. Auf der Krimicouch gehts manchmal kabarettistisch zu. Jetzt werden schon unterschiedliche englischsprachige Ausgaben ins Spiel gebracht… Hoher Unterhaltungs- und Erkenntniswert.

    bye
    dpr
    *hat keinen Bettvorleger

  16. Das wird sich zeigen, lieber Bernd. Spätestens, wenn in zwei, drei Jahren irgendwo zu lesen sein wird: „Körber? Soll ja ein mieser Übersetzer sein, hab ich irgendwo gehört…“. Irgendwas bleibt immer hängen.

    bye
    dpr
    *verbittet sich Georgsche Rufmordkampagnen!

  17. Das ist im Gegenteil, bewundernswürdige Krimivollenderin, sehr gutes, weil realistisches Kino! Wobei die Rahmenhandlung noch deprimierender ist als der eigentliche Plot. Wir sehen den Untergang des Intellekts in Gestalt einiger Protagonisten angesichts der schieren Strunzdummheit.

    bye
    dpr

  18. sehr, sehr ärgerlich. erst die wichtigtuerei, dann der argumentative bankrott, dann ein paar angriffe ins leere und schließlich einzeiler mit bekloppten smilies.

  19. Ich bin da, lieber dpr, optimistischer.

    In einem Metier, in dem die Verlage fordern, dass die Autoren pünktlich, einmal im Jahr ein neues Buch abliefern, da sie sonst die Autoren nicht adäquat vermarkten können – die Autorennamen würden sich sonst nicht ins Bewusstsein der Leserschaft einbrennen – weiß in sechs Monaten niemand mehr, wer Körber ist.

  20. Hoffen wir, dass du recht behältst, lieber Bernd. So, und jetzt wieder ans Manuskript, damit ich nächstes Jahr was Neues abliefern kann… Ich heiße übrigens… äh…

    bye
    dpr

  21. Bettvorleger sexistisch? Was soll erotisch sein an diesem Ex-Tiger, der besser stumm geblieben wär? Da wird nur der Kopf schwer, man nickt ein, erwacht, und stellt bedauernd fest, dass diese Farce kein Traum ist. Joachim Körber möchte noch den ein oder anderen Rex Miller-Roman herausbringen; von daher wäre zu wünschen, dass sein Name noch eine Weile präsent ist. Aber nicht im Zusammenhang mit solch einer geistigen Null-Diät.

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