Über das Abscheuliche

Man neigt ja dazu, jede öffentliche Diskussion sogleich auf die Kriminalliteratur zu münzen und Erkenntnisse, die einem beim Bedenken der Kriminalliteratur untergekommen sind, auf das öffentliche Leben. Die jüngste Aufregung um Herrn Reich-Ranickis Äußerungen zur Qualität des Fernsehens – nebst sofortiger Hilfestellung von Frau Heidenreich – könnte man mit einem oder mehreren Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen, sich fragen, wie denn da einer, der seit Jahrzehnten im Fernsehen reüssiert, nicht wissen kann, wohin er geraten ist, und wie da eine, die Literaturkritik zum Flachevent hat verkommen lassen, plötzlich glaubt, sie sei im falschen Medium. Aber eigentlich reflektiert dieses ganze Bohei nur, was die Kriminalliteratur und ihre Rezeption seit Jahr und Tag, ja, seit den Tagen ihrer Jugend malträtiert: die scheinbar unüberwindliche Kluft zwischen Hoch- und Trivialliteratur.

Herr Reich-Ranicki findet das Fernsehen also abscheulich. Er musste aber ins Fernsehen, um populär zu werden und seine Hochliteratur zu verkaufen. Er musste es, gerade WEIL das Fernsehen so abscheulich ist. Das gilt auch für Frau Heidenreich, dort sogar in viel größerem Maße. Unsereiner, der einen Kriminalroman schreibt, muss ins Schaufenster des Genres, das wenigstens so abscheulich ist wie das Fernsehen. Er gehört automatisch dazu, ob er will oder nicht, denn nur das Umfeld des Populären erlaubt es ihm, auf Aufmerksamkeit wenigstens hoffen zu können. Damit ist nicht gesagt, dass unsereiner Hochliteratur schriebe, sondern genau das Gegenteil. Man hat zu akzeptieren, nur als blinder Passagier auf dem Rücken all der schrägen Vögel des Genres ins Bewußtsein einer potentiellen Leserschaft transportiert zu werden – etwas, das übrigens auch auf die sogenannte Hochliteratur zutrifft, die mindestens genauso abscheulich sein kann.

Das Genre Kriminalliteratur ist wie das Fernsehen: Ein Sammelbecken der Abscheulichkeiten und des Schönen-Wahren-Guten. Nur: Das Abscheuliche liegt nicht fein separiert vom Schönen-Wahren-Guten, alles durchdringt sich, alles schöpft aus einem Brunnen. Herr R-R hat sich schließlich auch nicht vor eine Kamera gesetzt und eine dreistündige Interpretation von Thomas Manns „Zauberberg“ abgeleiert. Er hat das Medium mit seinen Möglichkeiten genutzt, sich ihm dramaturgisch angepaßt, er hat geschrieen und geflucht, komisch geguckt und unendlich traurig seinen MitstreiterInnen zugehört, und das ist etwas, das ihn kein bisschen von Thomas Gottschalk unterscheidet, der ein Senfbad nimmt oder einer Hollywood-Schönheit in den Ausschnitt linst.

Wer einen Kriminalroman schreibt, inszeniert seinen Text so, wie er im Genre nun einmal inszeniert werden muss. Er gebraucht das Triviale, weil er unterhalten will, weil er ein möglichst großes Publikum zu erreichen trachtet. Und er tut es gerne, er sieht die Möglichkeiten, er weiß auch, dass die sogenannte Hochliteratur, auch wenn sie mit Krimi nichts am Hut hat, das schon immer so hielt. Die Meisterwerke der Weltliteratur stecken voller Trivialitäten, Goethes „Faust“ etwa wird als ein phantastisches Schauerstück mit komischen Einlagen angeboten, nicht etwa als knochentrockenes Traktat über die menschliche Natur. Auch Goethe war sich im Klaren, dass man den „Faust“ als flaches „Event“ würde rezipieren können, als bloßes Spektakel mit Tod und Teufel und Kindsmord und fröhlichem Humpenschwingen im Bierkeller.

Wer einen Kriminalroman schreibt, weiß also erstens: Ich werde wahrscheinlich mitten im Abscheulichen liegen. Und zweitens: Ich möchte genau das. Und drittens: Wenn ich meine Arbeit nicht vernünftig gemacht habe, bin ich genauso abscheulich wie vieles andere auch. Herr Reich-Ranicki hat viele abscheuliche Dinge über große Literatur gesagt, er hat Unterschichten-Kritik veranstaltet. Frau Heidenreich weiß überhaupt nicht, was Literatur ist, das ist nicht per se abscheulich, aber dass sie nun das Medium, das es ihr erlaubt hat, so zu tun, als wüsste sie, was Literatur ist, ächtet, das ist das Abscheulichste überhaupt. In der Kriminalliteratur wäre es also sehr abscheulich, wenn ein sogenannter Hochliterat einen Krimi schreibt, ohne zu wissen, was das ist, und dann das Genre in toto schlecht macht, das sich dagegen wehrt, jeden Mist, nur weil es Hochmist ist, zu akzeptieren.
Wer Kriminalromane verfasst, lässt sich auf eine bestimmte Form von Kommunikation ein. Ihm bleibt auch gar nichts anderes übrig, denn Literatur ist qua definitionem Kommunikation. Wer sich darauf einlässt, akzeptiert die Regeln. Ich könnte auch experimentelle Prosa verfassen und mir sicher sein, dass niemals ein Leser von Kriminalromanen sie auch nur anfasst. Dann brauche ich auch die Regeln des Genres nicht zu akzeptieren. Ich tue es aber, weil mich diese Regeln reizen. Weil es mich reizt, das Triviale, ohne das kein Kriminalroman ein Kriminalroman sein kann, zu nutzen. Weil es genauso wertvoll, genauso vielschichtig ist wie das Nichttriviale. Es kann großartige Literatur entstehen, es kann abscheuliche Literatur entstehen. Die abscheuliche Literatur wird stets in der Mehrheit sein, sie war es schon immer, auch als es noch keine Kriminalliteratur gab.
Zu einem Tiefpunkt des Fernsehens wurde das Gespräch Reich-Ranickis mit Gottschalk. R-R hatte kein einziges Argument, Gottschalk nur eins: die Quote. Wer bisher das Fernsehen nicht abscheulich fand – hier, in diesen dreißig Minuten, musste ihn davor ekeln.

2 Gedanken zu „Über das Abscheuliche“

  1. Eine schöne Gelegenheit, an Sturgeon’s Law zu erinnern. SF-Autor Theodore Sturgeon war es schon 1951 leid, immer wieder gefragt zu werden, wie sich ein Schreiber von Talent denn an Science Fiction verschwenden könne, die sei doch mehrheitlich ganz mieser Krempel. Und er ripostierte: „Sure, ninety percent of science-fiction is crud. That’s because ninety percent of everything is crud.“

  2. ich habs nicht gucken können. gottschalk und ranicki. ich habs probiert, aber es war so vorhersehbar schon in der ersten frage, dass mich die geduld für die erste antwort gleich verließ.

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