Warum ich Krimis hasse

„Zu Riesling und Leberwurst, Silvaner und Spargel passt auch eine Leiche zum Dessert.“

„Es interessiert weniger der spektakuläre Einzelfall als der breite Ansatz: Ressourcenknappheit, Verteilungskämpfe, Klimawandel, Verschmutzung, Handel mit Wasser, Privatisierung. Innerhalb dieses Rahmens sei gegen eine dekorative Wasserleiche natürlich nichts einzuwenden.“

Nein, ich will nicht spielen. Das überlasse ich den kleinen kastrierten Krimihündchen, die sich, wenn Herrchen oder Frauchen „Fass!“ rufen, auf die Hinterbeine stellen und im Kreis drehen. Ich will auch nicht raten. Rätsel, bei deren Lösung regelmäßig der Verstand aussetzt, gibt es genug. Und sollen mir etwa wohlige Schauer über den Rücken rinnen? Also Leute: Dazu muss ich kein Buch lesen. Da genügt es, sich die Abertausenden von Idioten nur von Weitem zu betrachten, wenn sie in die Geschäfte strömen, um sich ihren nächsten Kindermord reinzuziehen. Dekorative Wasserleichen zum Dessert, das Hauptgericht eine schön geschändete Dreizehnjährige, als amuse geule hübsch mit Ketchup bespritzte Brüste, die Chefkoch Serienkiller frisch vom lebenden Objekt entfernt hat. Das ist Krimi. Das ist, mehr noch, die einzige Definition von Krimi. Futter für abgestumpfte Dumpfbacken, für imbezile Viecher, deren einzige Gehirnzelle der Ort ist, an dem sie lebenslang verwahrt werden, das Gefängnis ihrer unendlichen Beschränktheit.

Man komme mir nicht mit Lessing! Ich dulde es nicht, dass die Verschlinger von Krimis solch einen heiligen Namen in den Mund nehmen und zerkauen wie den sonstigen Fraß, den man ihnen hinwirft und den sie mit Freuden schnappen! Es geht hier nicht um die Erzeugung von Angst und Schrecken, um sich via Selbstreinigung selbst zu erkennen. Wer sich all den Scheiß, der als Krimi zwischen Buchdeckel gepresst wird, reinzieht, wer den Krimi auf dem Nachttisch braucht, um besser schlafen zu können, kann nicht mehr gereinigt werden. Und will es auch gar nicht. Denn Selbsterkenntnis würde in solchen Fällen nur bedeuten, sich als das Nichts zu sehen, das man ist. Das moralische Nichts, das intellektuelle Nichts, das soziale Nichts.

Wer Krimis zum bloßen Amüsement liest, fügt sich fröhlich in die große Volksverdummung, ohne die eine Demokratie überhaupt nicht funktionieren kann. Überhaupt: Wo zwei Menschen zusammenkommen, hört die Demokratie auf. Wir leben unter der Knute der allgegenwärtigen Zerstreuung. Früher: Christen, die man Löwen vorwarf. Heute: Virtuelles Abschlachten, um vom realen abzulenken. Der kulturell-moralische Fortschritt ist klar erkennbar. Wem es bei der Zerstückelung eines Krimi-Opfers gruselt, der zuckt nur mit den Schultern angesichts des tatsächlichen Verreckens. Pah! Schlechte Dramaturgie! Tausend Kinder, die einfach so in Afrika rumhocken und verhungern! Das kann – bitte den Namen eines Krimibestsellerautors, einer Krimibestsellerautorin einsetzen – besser. Und am Ende erfahren wir noch nicht mal, wer der Mörder ist.

Na, ihr selber! Krimis werden notorisch von Mördern gelesen. Das ist so. Mörder, die sich als Opfer fühlen. Sie suhlen sich pudelwohl in der Diktatur der Hirnerweichung, sie fressen ihren Spargel, ihre Lendchen, sie saufen ihren Wein, ihren Cognac, während um sie herum Krimi gespielt wird, während das große Abschlachten endlich jenen Eventcharakter erreicht hat, der auch von Analphabeten, Nichtdenkern und sonstigen Großkotzen „verstanden“ werden kann, weil man keinen Verstand dazu braucht.

Doch, jetzt, wo ich’s mir so recht überlege: Ich liebe Krimis. Den einen wenigstens, den, in dem wir alle mitspielen und in dem wir alle die Opfer sein werden.

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