Krimi, kein Krimi

Was ist Krimi? Achtung! Jetzt folgt eine definitive Definition! Vor dem Lesen bitte anschnallen und das Köpferauchen einstellen!
Auf geht’s: Krimi ist all das, was man als Krimi liest. Nichtkrimi das, was man nicht als Krimi liest. Logisch, ja? Das heißt auch: Manchmal sind Nichtkrimis Krimis und Krimis Nichtkrimis. Beispiele aus den jüngsten Lektüreerfahrungen.

Nehmen wir Julian Barnes und sein „Arthur und George“. Das ist Krimi auf Verdacht, denn dieser Arthur ist Arthur Conan Doyle (you remember…), der Fall, den Conan Doyle bei Barnes aufklärt, hat er auch im wirklichen Leben aufgeklärt. Es geht um ein Fehlurteil, es geht um Verbrechen. Dennoch: Als „Krimi“ in einem engen Genrekorsett wird das kein Mensch lesen, aber man kann es durchaus.

Zweites Beispiel: Amir Valles „Habana Babilonia“. Ein Text über Prostitution auf Kuba, journalistisch recherchiert, literarisch dargeboten. Kein Krimi. Kein Krimi? Aber hallo! Und was für einer! Auch hier: Eine Frage der Lesart.

In beiden Fällen darf man „Krimi“ nicht über dramaturgische und inhaltliche Konventionen definieren. Bei Barnes geht es unter anderem um die Reaktionen auf offenkundiges Unrecht. Valle dokumentiert, wie Verbrechen im Kampf ums nackte Überleben als Garanten einer geradezu obszönen gesellschaftlichen Stabilität eingesetzt werden. Beide sehr lesenswert.

Drittes Beispiel: Mickey Spillane, „Das Ende der Straße“. Krimi! Krimi? Ach was! Das ist ein Buch, das man optimal einsetzen kann, um langjährige Freundschaften elegant zu beenden. Einfach als „Klassethriller“ empfehlen – und schon ist man den, dem mans empfohlen hat, los. Er wird einem wahrscheinlich diskret eine Visitenkarte mit der Adresse eines auf Realitätsverlust spezialisierten Psychologen in die Jackentasche stecken und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Dennoch ein interessantes Buch. Aber kein Krimi. Eher das Resümee eines Krimiautors, der seine versammelten Klischeebullen noch einmal in ein feudales Altersheim in Florida zusammenruft und einen exemplarischen Klischeefall lösen lässt. Interessant! Hanebüchener Plot, den sich nur einer ausdenken kann, der sich seiner Fangemeinde sicher ist. Irgendwie komisch. Und weil es Spillanes letztes Werk war: rührend.

Zu all dem bei Gelegenheit der Rezensionen mehr. Jetzt muss ich wieder KJB machen.

11 Gedanken zu „Krimi, kein Krimi“

  1. was ist eigentlich mit krimiautoren, die behaupten, keine krimiautoren zu sein? in den letzten wochen, wenn nicht monaten interviewte ich fast ausschließlich solche.

  2. Die haben ein Problem. Entweder sind sie wirklich keine, dann haben sie ein Imageproblem. Oder sie sind welche, dann haben sie ein Wahrnehmungsproblem.

    bye
    dpr
    *Krimiautor?

  3. inwiefern? erstmal ist die psychologie doch recht leicht erklärt: sie wollen ruhm und geld. das eine mit belletristik, das andere mit dem krimi. und deshalb sagen sie, dass sie stets „mehr als nur einen krimi“ schreiben. ich mach das ja auch, mehr als nur einen krimi schreiben. sitze jetzt am fünften.
    krimis sind halt bäh, wenn man wer sein will.

  4. Dabei wäre es doch sehr leicht: Einfach ein Buch nach seiner Qualität beurteilen. Und endlich einmal darin übereinkommen, dass Prosa Prosa ist, ob nu Kriminalroman draufsteht oder „nur“ Roman. Ich glaube nicht, dass irgend jemand Thomas Pynchon mit „schreibt ja bloß Romane!“ beurteilt, nur weil Rosamunde Pilcher auch Romane schreibt. Bei Krimis gilt bisweilen noch die Kollektivstrafe. – Andererseits: Ruhm? Ich will Geld sehen!

    bye
    dpr

  5. meine agentin sagt immer: ruhm oder geld, da musst du dich entscheiden. 🙂
    ich finde die lustigen label zur orientierung ja schon ganz nützlich, nur die damit verbundene wertung … letztens bei der lesung von anne chaplet, es meldet sich eine dame, die sagte: „normalerweise lese ich ja NIE krimis“. was sie dann allerdings bei einer krimilesung auf dem krimifestival hamburg verloren hatte, blieb ein ungelöstes rätsel. aber worauf ich hinauswollte: sie lobte an frau chaplet doch sehr ihre fähigkeit, so wunderbar (be-)schreiben zu können. ob sie nicht auch mal vorhat, was anderes zu schreiben, also, ich sag’s mal ganz offen, was richtiges? man konnte förmlich sehen, wie sich frau chaplet volle zwei sekunden innerlich niederrang, um nicht mit voller wucht einfach nach hinten überzukippen.

  6. Gut, das ist natürlich das Phänomen „Ich habe keine Ahnung von Kriminalliteratur, sie interessiert mich auch nicht, aber ich weiß, dass sie minderwertig ist.“ Damit müssen wir leben. Aber um das mit Fitzek aus deinem anderen Kommentar zu verbinden: Klar ist das eine andere Kategorie. Mir persönlich sagt das nichts, es ist clever gemacht, es findet viele Leser, die Leute haben ein schön abgestimmtes Marketing. Bitte sehr. Das passt aber alles nicht in mein literaturkritisches Netz und interessiert mich lediglich als Phänomen der Interaktion / Kommunikation Autor – Leser. Ich habe überhaupt nichts gegen „Krimis“, die einfach nur Unterhaltungserwartungen von Lesern befriedigen. Ich habe sehr viel gegen „Krimis“, die behaupten, „mehr“ zu sein, es aber nicht sind. Das gilt für beide Enden der Parabel (sic!): für den zusammengeschusterten Mist und für die hochfliegenden „literarischen Krimis“.

    bye
    dpr

  7. Und was macht das Krimi-Gefühl aus? Und wo liegt eigentlich der Ursprung der Bezeichnung, ist es eine Erfindung von Journalisten&Verlegern, der sich Autoren nur nachträglich angepasst haben? Und wozu brauchen wir „Krimi“ eigentlich.
    Einfacher ist es bei „Spannungsliteratur.“ Sachen, die einen in Atem halten sollen, erkennt man sofort. Mein erster richtiger Teilzeit- „Spannungsroman“ war „Der Geschichtenerzähler“ von Patricia Highsmith. Las sich wie ein normaler Roman, bis plötzlich die Sätze peitschten. Das ist dann ein anderes Lesegefühl, man wird getrieben. Aber in dem Fall eben zum Glück nicht die ganze Zeit, weshalb ja auch manche Leute bei Highsmith-Sachen nicht den „Krimi“ erkennen. Bei „Spannungsromanen“ geht es nur um die Frage, wann die Stromschnellen mal täuschend wie ein Bach aussehen. Krimis müssen aber nicht so spannend sein. Wenn schon Definition, dann würde ich sagen: Alles steht beim Krimi im Dienst des Verbrechens, egal, ob es aufgelöst wird oder nicht. Charakterdarstellungen etc. sind allenfalls die Würze des Bratens.
    Das gilt aber z.B. nicht bei einem Buch wie David Goodis Straße ohne Wiederkehr, das vereint alles.

  8. Die Bezeichnung „Spannungsliteratur“ ist verführerisch. Hat aber einen Haken: Den nämlich, „Spannung“ definieren zu müssen. Ich persönlich verstehe darunter nicht unbedingt nur Texte, die mich „in Atem halten“. Sonden alles, was mich in Richtungen denken lässt, in die ich zu bestimmten Dingen noch nicht gedacht habe. Mit „Krimi“ hat das manchmal gar nichts zu tun. Dass es in „Krimis“ um Verbrechen geht, ist klar. Völlig unklar ist aber, wenn ich die Kriminalliteratur Revue passieren lasse, welche Funktion die Verbrechen dort haben. Mal sind sie Werkzeuge, mal reines Spannungselement, mal bewusste Überzeichnungen von „Normalität“, mal Beiwerk… Das Problem von Definitionen ist es, dass man sofort Gegendefinitionen aufstellen müsste. Oder halt am Ende eine Menge X Definitionen von „Krimi“ oder „Kriminalliteratur“ hat. Das zu tun, ist durchaus sinnvoll, wenn man etwas beschreiben möchte. Es ist aber fatal, wenn man der Natur des Gegenstands auf den Grund gehen will. Der nämlich besteht darin, dass sich ein originäres Stück Kriminalliteratur letztenendes immer aus sich selbst heraus und nur für sich selbst definieren kann. Auf der Grundlage von „Genreregeln“ oder auch nicht, im Rahmen eines „Subgenres“ – oder auch nicht. Das Spannende von „Arthur and George“ ist übrigens nicht das Verbrechen, sondern die Entwicklung der beiden Protagonisten. Wer wann warum die Bezeichnung „Krimi“ aufgebracht hat, kann ich dir gar nicht sagen. Die Heftreihen vor 1945 verwenden den Begriff meines Wissens nie, also tippe ich auf die Nachkriegszeit.

    bye
    dpr

  9. Ich mache es mir einfach und sehe es phänomenologisch: Unbedacht habe ich ja ein Bild von dem Begriff, sogar mehrere: Eher negativ: Unter dem Etikett Krimi wird mir ein Spannungsroman (etwas, was mich bei Laune halten soll) verkauft, mit einer Sprache, die wie ein sachgerechtes Werkzeug funktioniert. Positiv: Spannung muss nicht mehr oder weniger als in jedem anderen Genre sein. Ein Krimi ist aber eine Geschichte, die ein Ziel hat, das über die Protagonisten und auch den Autor, über ihre Gefühle etc. hinausweist. Etwas Metaphysisches gewissermaßen. Das ist in diesem Fall das Verbrechen.(In anderen Genres kann es etwas anderes sein, z.B. in Francois Mauriacs Romanen etwas Spirituelles).Dies wäre z.B. ein Unterscheidungsmerkmal zu manchem „Gegenwartsroman“.
    Spontan fällt mir jetzt Ketil Björnstads „Erlings Fall“ ein. Ich glaube, das Buch wurde auch einmal als Krimi eingestuft. Ist nach meiner Ansicht aber keiner, da der Mord am Schluss nur ein dicker Akzent der Geschichte, aber nicht ihr Zusammenhalt ist.
    Liest sich seltsam, was ich schreibe, ist aber „unbewusst“ da.

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