Mo Hayder: Haut

(Anna Veronica Wutschel, unsere Spezialistin für sinnstiftende literarische Selbsttherapien schreibender Frauen und gelegentlich auch Männer, hat sich durch Mo Hayders „Haut“ gelesen, um unter all dem Blut und den Tränen und dem Angstschweiß das zu finden, was man von Krimis gemeinhin erwartet: ein bissel Spannung, die nicht gleich mit der dramaturgischen Pumpgun zwischen die Buchdeckel gehustet wird. Ob sie fündig wurde? Spannend…)

Die selbst verordnete Therapie hat angeschlagen. Das zumindest erklärte Mo Hayder in einem Interview. Früher – so sagt sie da – habe sie über Jahre unter Albträumen gelitten. Seit sie diese jedoch (als Bestseller) aufs Papier materialisiert, scheint sie von der nächtlichen Last befreit.
Der konstruierte Blick in den Abgrund allerdings stößt manchmal lediglich auf gnadenlose Banalität. Tief ins Böse sollen Hayders Texte wohl driften, doch die gesuchten Schock-Elemente erscheinen eher lapidar, die Handlungsverläufe vornehmlich abstrus und die so düster ausschraffierten Seelen der Figuren verlaufen sich in blässlichen Konturen.

Haut, der zweite Teil um Sergeant ‘Flea’ Marley und den reanimierten, inzwischen nach Bristol versetzten Detective Inspector Jack Caffery, spielt nur wenige Tage nach dem spektakulären Muti-Fall, den Caffery und Marley in Ritualmord lösen mussten. Qualvoll, im Problem-Gestrüpp der Protagonisten verheddert, verpuzzelte Hayder dort weitschweifig deren Traumata mit rituellem Körperteile-Handel und sadistischer Profitgier. Und genau vier Tage nach Abschluss dieser Schreckens-Ereignisse lauert das Schicksal den Hauptfiguren erneut und übel auf.

Eine halb-prominente Fußballergattin entwischt aus einer Entzugsklinik, die Polizei startet eine immense Suchaktion, die Medien geraten außer Rand und Band. Nur Inspector Caffery ist unkonzentriert, meint er doch, ihm sei bei der Festnahme im Muti-Fall ein Täter entkommen. Eventuell könnte es sich sogar um den Tokoloshe handeln, ein geheimnisvolles (Fabel-)Wesen, das, aus Afrika entwischt, nur Unglück bringt. Und das Caffery bereits während der letzten Ermittlungen zu verfolgen schien. Wen also wundert’s, dass der Inspector sich so wenig Gedanken um die verschwundene Fußballergespielin machen will. Lieber sucht er einen vielleicht gar nicht so immateriellen Geist und ermittelt auf eigene Faust ziemlich ins Blaue hinein.

Da gibt es nämlich einen Selbstmörder, dem Haare abgeschnitten wurden. Dieses Vorgehen erinnert an den Muti-Fall, denn schließlich wird Haaren eine magische Kraft zugesprochen. Es gibt aber auch noch andere Leichen. Und Caffery nimmt sich eine Woche Auszeit, um sich zu fragen, ob die gefundenen toten Frauen tatsächlich Selbstmord begingen? Ob ihnen eventuell auch Haare abgeschnitten wurden? Und wenn ja, warum und von wem?

Währenddessen taucht Flea Marley, die Leiterin der Unterwasser-Sucheinheit, auch weiterhin gegen alle Vorschriften bis hinab zum Tiefenrausch, der bekanntlich lebensgefährlich ist. Kaum hat sie wieder festen Boden unter den Füßen, findet sie eine Leiche im Kofferraum ihres Autos. Und die Tote ist ausgerechnet die von der Polizei so dringend gesuchte Fußballergattin. Erst vor wenigen Tagen hatte Flea ihrem labilen Bruder Thom den Wagen geliehen. Anscheinend ist der nicht nur im betrunkenen Zustand durch eine Polizeikontrolle gerast, sondern hat ihr auch noch den Wagen samt Leiche in die Garage gestellt. Das ist aus vielerlei Gründen schlimm, vor allem da Flea glaubt, ihren Bruder schützen zu müssen. Perfide Spielchen nehmen ihren Lauf, und Flea schmiedet einen wirklich schlechten Plan. Als dann auch noch eine erpresserische, trunksüchtige Tierschützerin mit präzis ausgerichtetem Fernrohr auftaucht, scheinen all ihre Bemühungen, den eigenen sowie den Kopf ihres Bruders aus der Schlinge zu ziehen, kläglich zu scheitern.

Caffery ermittelt mittlerweile ein wenig. Zuweilen trifft er auf Flea, deren Reizen er nur schwerlich widerstehen kann, verfolgt Spuren, die ihn u. a. zu exquisitem Sex-Spielzeug führen, und rätselt, ob jemand, der so viel Spaß am Leben hatte und nebenbei noch seine Mitmenschen erpresste, Selbstmord begehen würde?

Gelegentlich trifft Caffery den Walking Man, dem er sich auf (gar nicht so) sonderbare Weise verbunden fühlt. Zumal dieser fast mythische Walking Man ihm ebenso wortkarg wie weise das Gewissen bespricht. Ach, letztlich – das läuft irgendwo im Nebenprogramm – trifft der Inspector auch noch auf einen Mörder, der titelgebend auf “Haut” fokussiert ist.

Angst, (Aber-)Glaube, Verantwortung und Bündnisse, die aus Not geschlossen werden, sind die tragenden Motive des Textes. Weil aber nicht immer alles passen will, verrenkt sich die Autorin hartnäckig, um ihren Plot auf- und ineinander gestöpselt zu bekommen. Dass dabei alle Logik auf der Strecke bleibt und die Spannung vollends im Persönlichkeits-Gewusel abhanden kommt, ist bedauerlich. Haut vertappt sich da völlig in der unübersichtlichen Düsternis des Hayder’schen Albtraum-Labors.

Mo Hayder: Haut. 
Goldmann, 2009
(Skin. 2009. Deutsch von Rainer Schmidt).
384 Seiten. 19,95 Euro.

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