Politischer Krimi: Fragen und keine Antworten

Frage: Was ist ein „politischer Krimi“? Gegenfrage: Was ist ein „unpolitischer Krimi“? Antwort: Ein unpolitischer Krimi ist die handelsübliche Melange aus schlechtem Deutsch, Regionalsülz und Befindlichkeitsprosa und Wer wars. Ein politischer Krimi ist also….

Nein, so geht das nicht. Ich schaue mir der Stapel gelesener Bücher der letzten Wochen an. In „Stadt der Spitzel“ von Hans Helmich werden die Hausbesetzerszene und die Ranküne des Privatfernsehens thematisiert. Mechtild Borrmanns „Wer das Schweigen bricht“ greift zurück in die Nazizeit. Dominique Manotti entlarvt den „Roten Glamour“ in französischen Regierungs- und Polizeikreisen. Ingrid Strobls „Endstation Nippes“ erzählt von Pflegeeltern und Kindesmissbrauch. Didier Decoin beschreibt in „Der Tod der Kitty Genovese“ unter anderem das Funktionieren von Medien und die Gleichgültigkeit der Menschen. All das ist auf irgend eine Weise politisch, weil es die Wirklichkeit nicht als die Kulisse des Verbrechens zurechtschneidet, sondern als ihre Quelle identifiziert. Das Prädikat „Politkrimi“ würde man dennoch nur Manotti anheften.

Ortsbesichtigungen. Müssen uns politische Krimis zwangsläufig in die Hinterzimmer der Macht führen – oder genügt es, die Nase in die Alltäglichkeit dieser Gesellschaft zu halten, um das mehr oder weniger aufdringliche Parfüm des Politischen zu riechen? Stimmt die alte Behauptung von der Privatheit des Politischen auch in der Kriminalliteratur oder bedarf es zumindest der Staatsintrige, der Korruption, des Machtmissbrauchs? Wer darf eigentlich politische Kriminalliteratur schreiben, nur Weißrussen, Chinesen, Nordkoreaner und Kubaner? Sind „politische Krimis“ von Autoren aus rechtsstaatlich soliden Demokratien per se billige Panikmache oder Nestbeschmutzung? Wie soll man schreiben, deskriptiv aufklärerisch oder engagiert kritisch? Ist am Ende nur true crime politisch?

So geht das, wenn man sich Fragen stellt. Man schüttelt sie ein wenig und gleich fallen neue Fragen herab. Eine Sache indes scheint mir klar zu sein: Wenn wir politische Krimis lesen, dann lesen wir über uns selbst. Wir sind nicht nur Zuschauer eines Spiels, das über unseren Köpfen mit uns als den Bespielten veranstaltet wird, wir sind nicht nur Objekte, nein, wir sind auch handelnde Subjekte in diesen Geschichten.

Ein Krimi entsteht. Vorige Woche war es wohl, dass im Dritten Programm eine Reportage über einen großen Kaffeeröster zu sehen war, der seinen Hauptumsatz inzwischen mit Produkten jenseits der schwarzen Brühe macht. Mit diesen Produkten selbst war soweit alles in Ordnung. Ökologisch unbedenklich, keine dubiosen Chemikalien. Aber der Kaffee. Der kommt vorwiegend aus Guatemala und wird unter anderem von Kindern gepflückt, was die Geschäftsleitung des Kaffeerösters zwar wacker leugnete, aber irgend wann so wacker denn doch nicht mehr. Man sah achtjährige Mädchen, die nicht zur Schule gingen, weil sie zum Familieneinkommen beitragen hatten. Gleichaltrige Jungs schleppten 50-Kilo-Säcke bergab, die sie an einem Stirnband befestigt krummrückig schleppten, dann abnahmen, schnauften, um mit umgerechnet 3 Euro Tageseinnahme (für die ganze schuftende Familie!) davon zu schleichen.

Das ist kein Krimi, das ist die Wirklichkeit. Wenn ich daraus einen Krimi mache – jemand wird ermordet, jemand klärt auf – dann ist es immer noch die Wirklichkeit, aber stark in den Grenzen des Genres trivialisiert, das unfassbar Allgemeine auf das Konkrete des Erzählten heruntergebrochen. Ihr Konsumberater meint: Menschen, die diesen Krimi lesen, trinken auch weniger Kaffee. Oder mit mehr Schuldgefühlen oder vorübergehend oder beides, ja, wahrscheinlich beides. Aber sie haben nur deshalb gelesen, weil man es ihnen als Krimi verpackt hat, und ich weiß nicht, ob ich darüber jubeln soll oder doch lieber kotzen, wenn ich mir die Krimimimi bei der Lektüre eines solchen Krimis vorstelle.

Das wäre vielleicht ein praktikabler und vielversprechender Ansatz: Politische Krimis vermitteln uns Dinge, die uns eigentlich nicht interessieren, weil wir nichts davon hören wollen, weil wir ihnen ohnmächtig ausgeliefert zu sein glauben. Nachteil: Sie sind eben Krimis und damit das, was Krimis nun einmal sind: Bedürfnisbefriediger, Lesefutter, Zeitvertreiber, Nervenkitzler, Fluchtfahrzeug, Katalysator, Beruhigungs- und Schmerztablette, Mediator, emotionaler Sturm im Wasserglas. Kriminalliteratur, Trivialliteratur. Es gibt dazu keinen Gegenentwurf, es gibt Ergänzungen, Anreicherungen, Modifikationen, Verkleidungen, Camouflage, der Kern jedoch bleibt das Entertainment, die schicke Schau, das Zelebrieren von Mord & Totschlag mit Kaufmanns-„und“, eine längst industrialisierte Form von Zerstreuung, als „Lesen“ mit kulturellem Bonus, solange sie lesen, und seien es nur Krimis, verblöden sie uns nicht ganz vor den Fernsehgeräten.

Das sind nur Behauptungen. Um zu erkennen, was sich dahinter verbirgt, wollen wir in loser Folge diesen Begriff der „politischen Kriminalliteratur“ etwas genauer unter die Lupe nehmen. Wir? Das sind zunächst Else Laudan, Verlegerin der Ariadne-Krimis im Argument Verlag und meine Wenigkeit, wir, das seid aber auch IHR. Kommentare, Einwürfe, längere Beiträge, alles ist willkommen, alles wird diskutiert. Von mir ist eine kleine „Geschichte der politischen Kriminalliteratur an markanten Beispielen“ zu erwarten, ein Streifzug durch das „Subgenre“, von 1862 bis heute, von J.D.H. Temme bis Dominique Manotti. Ob wir am Ende wissen, was das ist, ein „politischer Krimi“? Warum es ihn geben muss oder nicht, warum es den Anschein hat, als erlebe er eine Renaissance, warum sich schon die ersten abwehrenden Stimmen zu Wort melden, die uns Krimi als den Ausdruck einer archaisch-mythologischen Lust auf Gewalt verkaufen wollen. Das werden wir sehen. Aus keinem anderen Grund veranstalten wir das hier.

8 Gedanken zu „Politischer Krimi: Fragen und keine Antworten“

  1. Meine Frage war zunächst: Kann das gehen? Politik und Krimi? Wie definieren wir jeder für sich selbst diese Begriffe? Theoretisch oder aufgrund von eigenen Erfahrungen im politischen Bereich? Global und nachhaltig? Also nach der Einleitung bin ich dabei, nach dem Motto Klotzen oder Kotzen.
    Ingrid

  2. „Das wäre vielleicht ein praktikabler und vielversprechender Ansatz: Politische Krimis vermitteln uns Dinge, die uns eigentlich nicht interessieren, weil wir nichts davon hören wollen, weil wir ihnen ohnmächtig ausgeliefert zu sein glauben. Nachteil: Sie sind eben Krimis und damit das, was Krimis nun einmal sind: Bedürfnisbefriediger, Lesefutter, Zeitvertreiber, Nervenkitzler, Fluchtfahrzeug, Katalysator, Beruhigungs- und Schmerztablette, Mediator, emotionaler Sturm im Wasserglas. Kriminalliteratur, Trivialliteratur.“

    finde ich überhaupt nicht. Man bedenke, dass im politischen Sach- oder Enthüllungsbericht die Personen nur als Faktoren oder Puzzleteile aufreten. Übergeordnet ist die Frage nach Ergebnis und Sinn des kulminierten Handelns. Diese – naturgemäß irreale – Abstraktion holt der Roman zurück, selbst wenn ein Protagonist bloß die Augen zusammenkneift. Die Fülle an Zusammenhängen, wie sie ein Enthüller beschreibt, schafft und darf der Roman nicht, aber die ewig prickelnde Frage, wie sich die Figuren aus sich selbst heraus in das Geschehen verstricken. Ist einmal geklärt und bewiesen, dass ein Politiker abgeschrieben hat oder korrupt war, ist der Aufklärer am Ende und der Roman beginnt. Meiner Meinung nach erschöpft sich dieser in keiner Weise darin, „Wichtiges“ einfach nur konsumierbar und „unterhaltsam“ zu machen.

  3. @Ingrid: Genau das ist die entscheidende Frage. Wo hört Politik auf / wo beginnt sie? Neige ich dazu, alles auf „die Verhältnisse“ zu schieben und mich als ein wehrloses Objekt zu sehen oder akzeptiere ich mich als Subjekt und begreife, dass ich selbst Politik „mache“?
    @Kle: Da liegen wir gar nicht so weit auseinander. Worum es mir hier geht, ist die Form der Vermittlung. Der Roman soll kein Tatsachenbericht in anderer Gestalt sein, er soll dem Abstrakt-Faktischen Gesichter geben und eine Geschichte erzählen. Spannend ist dabei immer die Verknüpfung von Politischem und Individuellem. Dazu gibt es nächste Woche ein meines Erachtens immer noch erstaunliches Beispiel aus ganz alter Zeit…

  4. Ein weißer Schimmel? Die Rede über Verbrechen (unabhängig von Medien und Formaten) ist doch immer eine Rede über Staat, Verbrechen, Recht — also eine politische Rede. Dem kann der Krimi nicht entgehen und wenn er sich noch so auf Eifel oder Allgäu konzentriert (oder meinetwegen auf die litauischen Volksstimmen …)

    Beste Grüße!

  5. Genau das ist die Frage, die mich am meisten interessiert, lieber Herr Linder. Wie das „Politische“ von seiner plakativsten Form bis zu seiner grundlegendsten funktioniert. Und ich denke, man sollte diese Abstufung schon vornehmen, sonst geraten wir in von Anfang an in abstrakte theoretische Debatten. Das erinnert mich an die gewiss zutreffende These, ALLES sei Narration, jede Wortwerdung folge literarischen Gesetzen, sei es der Gedanke, kommunikativer Austausch bis hin zum Buch. Wenn wir das an den Beginn einer Diskussion über „Literatur“ stellen, kommen wir nicht weiter. Aber keine Frage: Das Verbrechen, das Gesetz, das sind per se politische Manifestationen.

  6. politischer krimi – zuerst fällt mir da ross thomas ein – ohne zweifel politisch, ohne zweifel krimi. bemerkenswert an diesen krimis ist, dass alle die ich kenne, politik ausdrücklich als thema haben….und der alte satz politisch lied – garstig lied – passt fast immer.
    es wird also nicht politik „über die verhältnisse“ durch die hintertür hereingeholt – nein, es geht ausdrücklich um die machenschaften des politischen establishments.

  7. Ross Thomas ist ein prima Beispiel für „politische Krimis“, die sich einfach mit wachem Verstand in der Welt umtun und ihre Themen mit allen Mitteln des Genres (bis hin zu sympathischen Schlingeln als Protagonisten)aufbereiten.

  8. einmal mit dem nachdenken angefangen, fällt mir auf, dass ich in letzer zeit gar keinen krimi gelesen habe, der nicht auch politisch war.
    es ist einfach ein zeichen dafür, dass krimis vermehrt in der welt wie sie eben ist, spielen und nicht in irgendwelchen pseudo idyllischen landhäusern.
    nehmen wir ian rankin – die politik ist nie das hauptthema – spielt aber immer an rande mit eine rolle.
    bei den skandinaviern – ich nehme als beispiele mal mankell und arne dahl – immer sind die politischen verhältnisse auch ein thema, das die geschichte mitbestimmt.
    die kunst ist, eine spannende geschichte zu erzählen und kein politisches lehrstück – das will nämlich keiner lesen!
    und wie schnell das ins auge gehen kann, zeigt wieder arne dahl – erinnert sich jemand an totenmesse, kapitel 15, wo über seiten eine rede des amerikanischen präsidenten zitiert wird?
    da habe ich das buch weggelegt….später weitergelesen…aber geärgert habe ich mich…

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