Der letzte Huelsenbeck

An allem ist zu zweifeln.“ Noch bevor die Story beginnt, wird schon mal gewarnt. Dem kuscheligen Gefühl, Bescheid zu wissen, soll’s hier an den Kragen gehen. Und in diesem Punkt werden Leser und Protagonisten im selben Boot sitzen. „Der letzte Huelsenbeck“, der Debüt-Roman von Christian Y. Schmidt, ist die Geschichte eines circa 60jährigen Mannes, der sich an eine Episode seiner Jugend erinnert: die Amerikareise 1978 mit einer Gruppe von Freunden, genannt „Die Huelsenbecks“, wobei: Freunde? Eher eine Clique oder Gang.

Der „Held“ hat eigentlich ein interessantes Leben: Reisejournalist, kommt rum in der Welt, heiratet eine Chinesin – obwohl er keine Ambitionen hat, ein bürgerliches Leben zu führen – , hat sogar Geld,  ist aber trotzdem kaputt und unglücklich. Und kann einfach nicht von seiner Vergangenheit lassen, den „Huelsenbecks“, die wild wie die Dadaisten sein wollten. Die Erinnerungen des Erzählers sind es definitiv. Vor allem entwickeln sie sich ganz anders, als man denkt. Sehr spannend, sehr unterhaltsam. Ein turbulenter Ritt, gewürzt mit trockenem Humor. Ein Schelmenroman, allerdings ein über weite Strecken sehr trauriger.

Nicht, weil einer der „Huelsenbecks“ gerade gestorben ist oder die alten Bande längst zerrissen sind. Nein, es ist die berührende und unsentimentale Schilderung von Einsamkeit, Haltlosigkeit und Sinnlosigkeit. Wer jedoch glaubte, den Grundton des Romans damit erfasst zu haben, wird im nächsten Moment schon wieder hinweggefegt von den neuesten Wendungen. Eine weitere Stärke von „Der letzte Huelsenbeck“ ist die geschickte Verknüpfung oder besser: ein Ineinanderweben von damals und heute, von 1978 und Jetzt, von Kindheit, Jugend und dem beginnenden Alter. All das, was in einem Leben steckt, das in der 70er-Jugend schwülstige deutsche Rockmusik und Entdeckungen im örtlichen Plattenladen enthielt, zeitlich damals zwischen Hippie- und Punk-Bewegung angesiedelt war und schließlich im Smartphone-Zeitalter ankommt. Einem Zeitalter, in dem sich zwar mit Menschen am anderen Ende der Welt skypen lässt, aber was weiß man schon über dieses Ende der Welt…

Auch das „Ineinander“ der Zeiträume passt zum Gefühl des Treibsands – des angebrachten Zweifels, der einem auch das Persönlichste noch raubt: die Gewissheit des Selbsterlebten. Schelm oder nicht: der Autor selbst sagt, die Idee zum Buch sei entstanden, als im Freundeskreis die Erinnerungen an eine gemeinsame Reise inhaltlich weit auseinanderklafften. Schade, dass sich Zweifel-Abwehrende dann doch noch in eine Figur des Romans retten können, die im Besitz der Fakten ist. Und die – anders als die „Huelsenbecks“ – eher unverdrogt durchs Leben gegangen ist. Noch so eine Fluchttür, die sich Abwehrenden bietet… Aber wer weiß: vielleicht wäre Stringenz hier auf Kosten des Zweifels gegangen.

„Der letzte Huelsenbeck“ jedenfalls ist ein starkes, lesenswertes Plädoyer: „Im Zweifel für den Zweifel“.

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Christian Y. Schmidt: Der letzte Huelsenbeck
Rowohlt
Hardcover, 400 S.
ISBN/EAN: 9783737100243
€22,00

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