Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot: Tänze

„Smells like teen spirit“ hat „Smoke on the water“ längst abgelöst. In der Kategorie „Attraktivster Song für jugendliche Möchtegern-Rockstars“. Es wird von Cello-Lehrern berichtet, die seit bald zehn Jahren am Wunsch ihrer Schüler verzweifeln, den Grunge-Klassiker auf vier Saiten zu kratzen. Mein Bruder brauchte vor sechs Jahren dringendst eine E-Gitarre, um sich im Schnellverfahren die Griffe des Nirvana-Hits draufzuschaffen. Wie sich zeigte, tatsächlich die einzige Bestimmung des bedauernswerten Utensils, das seit seiner kurzen „Smells like…“-Blüte in der Ecke vor sich hin staubt.

Wer hat das Paradestück der flugs dazuerfundenen Generation X nicht alles auf Tonträger gebannt?! Ein Fahrstuhlmusik-Projekt namens „The Moog Cookbook“, der Elvis-Verschnitt „The King“ und nun also das Bolschewistische Kurorchester Schwarz-Rot. Eine FDJ-Blaskapellen-Version – exakt das, was im Cover-Reigen noch fehlte. Ein Gag, mehr nicht. Das Anti-Pathos der Slacker, die schwer erträgliche (weil echte) Leidenschaft des Kurt Cobain und natürlich der Stellenwert des Songs für die Rockgeschichte fordern solch bizarre Auswüchse förmlich heraus. Zur Kenntnis genommen und ab dafür.

Derlei Sperenzchen bietet das Album noch mehrere: der Whos „My Generation“, Peter Thomas´ „Raumpatrouille Orion“, ein Flower-Power-Medley aus Stones, Turtles und Box Tops, einen Laibach-Titel und das „Arbeiterkampflied“ der göttlichen Foyer des Arts (mit Feinschreiber Max Goldt). Covern, das können sie also, aber so richtig spannend wird die Sache erst bei Takes wie „Pörpel Hasi und die Explosion“ und „Schlafstörung“. Wenn die rohe Kraft der Blues-Riffs eines Jimi Hendrix mit der elaborierten Avantgarde der Einstürzenden Neubauten kombiniert wird. Oder wenn die schlichten Hooks von Janis Joplins „Move over“ in Hanns Eislers kühnes „Er rührte an den Schlaf der Welt“ übergehen. Geschickt verknüpft, nicht nach der halsbrecherischen Das-Eckige-passt-auch-ins-Runde-Methode von Big Daddy, die Anfang der 90er nach dieser Masche endlos Kuriositäten mit Wiedererkennungseffekt strickten.

Nein, denn das Bolschewistische Kurorchester Schwarz-Rot hat einen eigenen, unverwechselbaren Sound: das simple Uff-Ta-Ta des proletarischen Agit-Pop. In den Blütejahren des Trash, wo jeder ästhetische Schnellschuß das Etikett „Kult“ aufgepappt kriegt, war es nur eine Frage der Zeit, wann der satte Klang kommunistischer Musikkultur Eingang in die Regale findet. Spätenstens seit IFA Wartburg ist es soweit und ähnlich augenzwinkernd positioniert das Liebhaber-Label Plattenmeister nun die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot. Wer auch immer sich dahinter verbergen mag – professionelle Instrumentalisten sind es allemal. Teils Spaßtruppe, die aus der Not eine Tugend macht und sich statt Arbeiterliedern halt „aufpeitschende Melodien des Rock´n´Roll“ vornimmt. Teils aber auch eingefleischte Traditionalisten, die hingebungsvoll wie in alten Zeiten osteuropäische Folklore darbieten: absoluter Höhepunkt des Albums! Mitreißend klingen sie, ein Blasorchester mit viel Holz, viel Schmiß und noch mehr Ohrwürmern im Repertoire. Klotzen, nicht kleckern. Das aber mit Pfiff!

Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot
Tänze
(Plattenmeister)

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