Faithless: Sunday 8pm

Für Bands wie Faithless hab ich immer Hammer und Meißel neben dem CD-Player liegen, denn ihre Produkte sind dem Gerät nur schwer wieder zu entreißen, nachdem sie mit meinem Ohr eine perfekte Symbiose eingegangen sind. Nun, an die neue Faithless mußte ich mich erst etwas gewöhnen, denn im Gegensatz zum ziemlich heterogenen Debüt-Album mit seinen griffigen, härteren Songs ist „Sunday 8 pm“ mehr was fürs Chill Out oder für schummrigen Stehblues.

Denkt man an die großen Single-Hits des Vorgänger-Albums „Reverence“ („Insomnia“ und „Salva mea“), dann war es neben den euphorischen, fast schon manischen Melodien nicht zuletzt die verblüffende Dramatik, die Kritiker und Fans in Staunen versetzte: man konnte die Stücke wie Brot brechen, so hart waren die Tempi-Sprünge. „Sunday 8pm“ ist dagegen ein trancelastiges, in Watte gepacktes und gleichzeitig glasklares Elektronik-Werk mit den gewohnt eingängigen Harmonien und düsteren Raps von Maxi Jazz, der in den meisten Tracks ausgiebig salbadern darf, juhu! Die musikalische Regieführung ist 1998 eine völlig neue: das komplette Album wirkt vergleichsweise gleichgeschaltet und nivelliert tempomäßig. Faithless zeichnen intensive, dumpf groovende und weich fließende Stimmungsbilder, die ihre Zeit brauchen, um sich zu entfalten. Die meisten Songs fangen recht unspektakulär an, um irgendwann auf wundersame Weise zu implodieren und phantastischen Syntie-Fanfaren den Weg zu bereiten, sich zu sanften Collagen („Bring my family back“ und „Postcards“) zusammenzufügen oder einfach nur die Untermalung zu den Ausführungen des Grand Oral Disseminators (GOD) zu liefern. Nicht gerade Hitparaden-Futter… Aber in der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft!

Faithless überlassen nichts dem Zufall, und mir fallen jedesmal wieder fast die Ohren ab angesichts der minutiösen Klang-Arrangements, in denen jedes noch so winzige Detail sein Plätzchen hat. Wirkliche Experimente findet man auf dieser Scheibe allerdings keine, dazu schmorte die Band möglicherweise zu sehr im eigenen Saft, denn im Gegensatz zum Debüt wurde das neue Werk von Teilen der Band selbst produziert (von Sister Bliss und Rollo, dem Mastermind hinter „Faithless“).

Der Höhepunkt des neuen Albums ist für mich „Take the long way home“, ein ausladendes Meisterwerk in Sachen Atmosphäre, das nochmal die „Reverence“-Faithless durchklingen läßt. Es baut sich stufenweise auf mit klar konturierten Parts und entlädt sich in der Mitte und am Schluß in Synthie-Akkorden von umwerfendem Pathos! Teuflisch gut!!!

Der Opener „The Garden“ nimmt einmal mehr die Back-to-nature-Attitüde der Band auf, die sie schon auf dem ersten Album pflegten. Auch dort arbeiteten sie mit Vogelstimm-Samples und der Aura einer paradiesischen Flora. Aber aufgepaßt: ab circa 2´00 bricht sich ein Maulwurf seinen Weg durch´s Erdreich…

Doch ich muß auch stellenweise tadeln. Was ich zum Beispiel nie verstehen werde: warum in aller Welt holt sich eine Band, die einen der besten Sänger/Rapper schlechthin hat (Charismafaktor 100!), überhaupt noch jemand anderen vor´s Mikro??? Das kann nur schiefgehen, noch dazu, wenn es sich dabei um Songschänder Boy George handelt, der schon allein vom Faithless-Gestus her atmosphärisch vollkommen fehl am Platz ist, selbst wenn er noch so sehr versucht, wie Shirley Bassey zu klingen! Und dann heißt der Song auch noch „Why go?“! Why? Genau deswegen!

Weitere akustische Bagatelldelikte sind die Takes „Hour of need“ (hier darf auch Bandmitglied Jamie Catto wieder vokal dilettieren) und „Hem of his garment“: mit überflüssigen Soul-Gesängen gospeln sich Faithless zurück in längst vergessen gehoffte Tage des Schmalz. Damit können sie vielleicht bei Celine Dion-Fans und anderen Untoten punkten, aber nicht bei mitten im Leben stehenden Techno/House/Dancefloor- und Pop-Fans. Selbst Trance-Liebhaber werden abwinken, denn besagter Schmalz killt natürlich die Atmosphäre, sonst hätte man sich instrumental zumindest noch entfernt an Portishead erinnert gefühlt.

Fazit: die Kritikerlieblinge Faithless präsentieren sich hier nicht gerade als die Zukunft des Pop, wie vor zwei Jahren prophezeit. Sie haben eher einen Seitenweg eingeschlagen und eine musikalische Atempause auf CD gebannt. Aber eins steht fest; Faithless sind Meister ihres Fachs mit einem Wahnsinnsfeeling für Stimmungen und kleine, krude Geräusch-Mätzchen.

Ein besonderes Lob gilt übrigens dem ansprechenden Cover-Photo, denn auch meine Augen hören mit. Sie sehen die Konzert-Ankündigungstafel einer Club-Fassade im hellsten Sonnenschein. Die Tafel weist auf einen Faithless-Act hin, zu dem sich – welch implizierter Kontrast! – allerdings nur ausgewiesene Kreaturen der Nacht zusammenfinden dürften! Die Album-Rückseite zeigt ein beschwimmflügeltes Mädchen, fröhlich planschend in endlosem Blau, und das im Jahre 7 nach „Nevermind“. Der optimistische Gegenentwurf einer Band, die sich stolz rühmt, den Bruder von Faithless-Mitglied Jamie Catto mit ihrer Musik vor dem Selbstmord bewahrt zu haben? Das war allerdings mit dem Vorgänger-Album. Vielleicht sollten sie besser mal nachseh´n, was der Bruder gerade so macht…

Faithless: Sunday 8pm
Cheeky Records
VÖ: 28.9.1998

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