Martin Schrüfers Inselplatten

Zehn Platten für einsame Inseln – Mehr noch als das Goodbye für unsere Gesellschaft würde mich schmerzen, Dutzende andere Scheiben zurücklassen zu müssen. Trotzdem wäre ich optimistisch! Die zehn LPs, die auf der nachfolgenden Liste zu finden sind, repräsentieren Eigenständigkeit, Witz, begnadetes Können und so unterschiedliche Musikrichtungen wie möglich – Jede steht für einen Teil meiner Seele, die mit den entsprechenden Klängen unterlegt, tanzt und sich ausbreitet in der Leere.

Curly Curve – The Forgotten Tapes
Berlin war schon immer für eine Überraschung gut. Ein Musikfan entdeckt Tapes einer unbekannten Band, aufgenommen 1981. Curly Curve ist eine der ganz seltenen Bands, denen man nicht anhört, daß sie aus Deutschland kommen. Statt dessen spielen sie psychedelic-Art-Rock-influenced Songs, souverän und virtuos. Eine Platte blieb der Nachwelt. Wenig und trotzdem wesentlich mehr als Scorpions, Grölemeyer und Konsorten je auf die Beine stellen werden.

U2 – Achtung Baby
Nach „One“ ist noch lange nicht Schluß. Bevor sich U2 auf die Irrwege Zooropas und des Pop-marts begaben, nahmen sie in Berlin ein Album auf, das vom ersten bis zum letzten Song stimmig ist. Egal, in welcher Gemütslage sich der Hörer befindet, U2 untermalen brillant, auch nach dem hundertsten Anhören gibt es noch neues zu entdecken in den Arrangements der Songs. Universell im besten Sinne.

Neil Young – Live Rust
Aus dem umfangreichen Werk Youngs auszuwählen, fällt nicht leicht. Unwiderstehlich ist auf jeden Fall dieses Live-Album. Young benutzt die E-Gitarre nicht einfach, weil es jeder tut – sie verschmilzt mit ihm. Gesang, Rhythmus und Soli sind eins, und, unter uns gesagt, es ist immer wieder tröstlich, den Kanadier „RocknRoll will never die“ predigen zu hören, oder?

Savoy Brown – … A Step Further
Letztes Jahr tingelten sie durch Deutschlands Clubs, weitgehend unbemerkt. Kein Wunder. Nichts ist, wie es früher war. Die Zeiten ändern sich. 1969: Chris Youldens besoffene Stimme röhrt den Blues, Kim Simmonds spielt ebenso virtuos wie anzüglich Gitarre. Eine Live-Aufnahme aus den Chicagoer Zeiten der Band, ganze 18 Minuten lang, findet sich auf der B-Seite. Wer die Scheibe hört, weiß nach dem anfänglichen Ausflippen und Tanzen vor den Boxen, warum die Band ganze Legionen von Musikern beeinflußt hat.

Deine Lakaien – Acoustic
Wenn Gruft auf Pop und Oper auf ein präpariertes Klavier trifft, sind die Lakaien zugange. Und zwar akustisch. Intensiver konnten Alexander Veljanow und Ernst Horn ihre Songs nie spielen. Die freiwillige Reduzieung auf Stimme und Klavier brachte ein Meisterwerk auf den Weg, das auch überzeugten Gegenern melancholischer Musik ein anerkennendes Staunen abringt.

Pinnacle – Assasin
Ein vergessenes Juwel aus den Siebzigern, der Hochzeit der Psychedelic. Pulsierende Orgeln, aufschneiderische Gitarren und ein für heutige Verhältnisse verschwenderisch aufwendiges Songwriting machen die Scheibe zu einem Maßstab, den ich an alle heutigen Versuche diverser Bands anlege, anders, intensiv und unverfälscht zu klingen.

Radiohead – O.K. Computer
Eine brandneue Scheibe, die sich dennoch innerhalb von kürzester Zeit in mir eingegraben hat. Schmerzlich werden aktuelle Bands vermißt, die psychedelische Elemente in ihre Musik hereinlassen, das mühsame Suchen in den Tiefen der Siebzigern hat hier Pause – Radiohead spielen Musik von einem anderen Stern. Der leuchtet allerdings so hell am nächtlichen Himmel, daß ich mir demnächst eine Rakete baue und mich auf den Weg mache.

Jimmy Page, Roger Plant – „No quarter“
Nach mehr als einem Jahrzehnt Plant und Page auf der Bühne stehen zu sehen, ist bereits ein Erlebnis. Die Veteranen haben sich aber nicht mit einer kleinen Reunion zufrieden gegeben, sondern mit Aufnahmen in Marokko die Faszination orientalischer Musik eingefangen und mit ihren typischen Rock-Elementen verschmolzen. „No quarter“ überwindet mühelos musikalische Horizonte, ist verspielt und gleicht einem Traum aus Tausendundeiner Nacht.

Element of Crime – Damals hinter`m Mond
Die Jahre zuvor sang die Berliner Indie-Combo um Sven Regener englisch. Prima Pop-Songs und Grunge, lange, bevor Nirvana ihn entdeckten. Die „Damals“ brachte Änderungen: Zum ersten Mal sang Regener auf deutsch, musikalisch ist die Scheibe ein Glücksfall. Folk, Chanson, Schlager, Pop und Jazz gehen eine fluminante Symbiose ein, die poetischen Texte Regeners sind das Sahnehäubchen. Eine Scbeibe, an die man sich auch noch im nächsten Jahrtausend erinnern wird.

R.E.M. – Songs for a green world
Ein packendes Live-Album. Michael Stipe singt, als wäre er soeben einer Klinik entlaufen, der Rest der Band verstärkt mit rohem Sound und dunklen Gitarrenriffs das Gesamtbild. „It´s the end of the world“, letzter Track der Doppel-LP bringt mit seiner Message Licht ins Dunkel – „And I feel fine!“

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Zehn Songs für die Ewigkeit

Curly Curve: „Dusty Morning“
Zigarettenasche neben dem Schlafsack und der Isomatte. Im Kopf tanzen Elefanten Tango. Erwachen nach einer Party. Draußen grau und drinnen keine Hoffnung – diese Stimmung fing die Berliner Kult-Band kongenial ein. Die Band gibt`s nicht mehr, die Partys aber schon. Naja, geteiltes Leid ist halbes Leid, tröste ich mich.

GunsnRoses: „Estranged“
Vielleicht der schönste Song, den GnR je komponierte. Im Vordergrund steht Lead-Gitarrist Slash, der seine Les Paul ein ums andere Mal so schön laufen läßt, daß der Rest des Songs nur wie Füllmaterial wischen den Soli wirkt. Spannungsbögen wechseln sich laufend ab, das Songwriting ist genial.

Radiohead: „Exit Music (for a film)“
Einer der traurigsten Songs, zugleich einer der unwirklichsten. Thom Yorke wirkt hier mehr denn je „out of space“…

Janis Joplin: „Piece of my heart“
Ungerecht sei es, schrieb ein Kritiker, daß Gott es zuließ, daß soviel Talent einer einzigen Frau gegeben wurde. Leider einer Person, die schon lange tot ist. Was bleibt, sind wenige Lieder und die grenzenlose Bewunderung für die Stimme von Janis Joplin. Nie wieder, nie, wird eine Sängerin mit wenigen Tönen so viel ausdrücken können.

Pink Floyd: „Wish you were here“
Braucht keinen Kommentar!

Neil Young: „Like a hurricane“
Der Songtitel ist Programm. Was wie ein Liebeslied beginnt, endet in einem Orkan. Young spielt eines der schönsten Solis, die je zu hören waren. Auf dem Strahl seiner singenden Töne läßt sich diese Welt verlassen, zweieinhalb Minuten reichen für einen ultimativen Trip in die Seele der Musik. Unvergleichlich.

AC/DC: „Love song“
Eine Ballade von AC/DC. Ja, das gibts. Zumindest auf der australischen Pressung der "High Voltage". Bon Scott pfeift hier auf die Rockn`Roll-Attitüde und schreit sich die Trauer über eine verflossene Liebe aus dem Leib. Intensiv, anmutig.

Led Zeppelin: „Kashmir“
Orient meets Rock – keiner hat das brillanter demonstriert als Led Zeppelin. Noch heute bringen Jimmy Page und Roger Plant Kulturen musikalisch zusammen. Der vielzitierte Blick über den Tellerrand fand bei Led Zep tatsächlich statt und war nicht nur Phrase, um Esoteriker in die Plattenläden zu locken.

Element of Crime: „Wenn der Morgen graut“
Kurz nach der ersten Straßenbahn / Sind alle Wege öde und leer / lauf noch ein bißchen neben mir her / einmal für Dich / einmal für mich – Was soll man zu solchen Lyriks sagen? Schweigen? Ich ziehe meinen Hut vor dieser großartigen Band, und ihrem Mastermind Sven Regener. „Wenn der Morgen graut“ ist nur einer von dutzenden wundervollen Songs, so schön traurig sein kann nur diese Band.

Neil Young: „The needle and the damage done“
Und noch einmal Neil Young. Ein kleiner, aber sehr feiner Song. „Every junkie´s like a stting sun“. Right.

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