Interview: Nicolette

…bleibt hip mit Shit-Detektor

‚Now is early‘ war ’92, und da war sie mit ihren Produzenten Shut Up And Dance ein beträchtliches Stück voraus in der Breakbeat-Zeit. Das läßt sich für ‚Let no one live rent free in your head‘ nicht mehr sagen. Immer noch aber läßt Nicolette Ströme elektronischer Musik in ihre Badewanne einlaufen, die jetzt! sind.

Nicolette ist 31 Jahre alt, geboren in Schottland und in ganz Europa aufgewachsen. Inzwischen ist ihr Vater Professor für Psychologie in Benin, Nigeria; dort hat sie selbst ein Französisch-Studium abgeschlossen. Als Sängerin bewegte sie sich erstmal in der Vocal-House-Szene, die Ende der achtziger Jahre in Großbritannien ihre Blütezeit erlebte. Irgendwann aber lernte sie in London Shut Up And Dance kennen, die ungewöhnlich rohe Breakbeat-Tracks fabrizierten. Dagegen hielt sie ihren subtil säuselnden Gesang, und fertig war ‚Now is early‘, eine der überraschendsten Platten im Jahr 1992. Gleich darauf legten Shut Up And Dance mit ihrer grandiosen ‚Death is not the end‘ nach (ohne Nicolette), um darauf bis heute zu verstummen. Nicolette kommentiert:

„Sie machten ja diese ganzen Hardcore-Sachen, dann kamen Probleme mit ihrem Label. Daher unterbrachen sie ihre Arbeit für eine Weile, um dann mit kommerziellerem Zeug wieder zurückzukommen. Ich denke, daß sie inzwischen wieder mehr Hardcore produzieren. Sie haben also einen Prozeß durchlaufen, der meinem ähnlich ist: sie haben ihr Ding durchgezogen und sich dann verwirren lassen. Jetzt aber sind sie mit etwas Neuem zurück.”

Das wirft natürlich die Frage auf, ob Nicolette nicht mehr ganz hinter ihrer Zusammenarbeit mit Massive Attack für ‚Protection‘ steht. Die Antwort darauf bringt zum Vorschein, daß dieses Sich-Verwirren-Lassen für Sie auch gewinnbringende Seiten hatte.

„Als Musikerin mußt du genau wissen, was Du machen möchtest. Denn wenn das nicht der Fall ist, kannst du dich nicht deutlich ausdrücken. Massive Attack war Teil eines hilfreichen Prozesses. Er hat meine Fähigkeiten als Musikerin erweitert, weil ich in einem anderen Kontext als für mich üblich arbeitete.

Andere Sorte Musik, andere Umstände, anderes Alles. Daher war das eine große Herausforderung und hat mir gut getan.”

Inzwischen haben wir 1996, und die Welt hat sich verändert- besonders die der Club-Musik. Nicolette sagt es so:

„Drum’n Bass rules!”

Auch auf dem Kontinent breitet sich Drum’n Bass von Metropole zu Kleinstadt aus und lacht bedröhnt von den Titelseiten und Webpages der Magazine. Als persönliche Favoriten nennt Nicolette außer Atari Teenage Riot strikt D’n B-Leute wie Roni Size, DJ Hype und 4 Hero. Nun ist ‚Let no one live…‘ eher eine Leistungsschau zeitgenössischer, elektronisch produzierter Popmusik denn eine D’n B-Lp. Alleine ‚Song for Europe‘ ist Drum’n Bass, und das von Alec Empire atemlos heruntergetrashte ‚Nervous‘ kann sich ‚Hardcore‘ nennen. Insgesamt aber dominiert ein wirklich sanfter Vibe in flippendem, trippendem Langsam bis Mittelschnell. Daß sich dennoch immer wieder dieses D’n B-Gefühl beim Hören des Albums einstellt, liegt in gewissen Details der Produktion. (Fast) immer tönt irgendetwas sehr tief, (fast) immer sind ein paar Spuren sehr perkussiv. Ein Zufall ist das nicht, denn Nicolette macht für ihre Interpretation von Drum’n Bass-wie viele andere aus der Szene- den Aspekt der Rückbesinnung auf afrikanische Musiken stark.

„Als Afrikanerin kann ich die afrikanischen Elemente heraushören, und deshalb hört sich diese Musik für mich wie Stammesmusik aus Afrika an. Und deswegen macht sie mir Spaß- ich fühle mich dann zuhause. Für mich ist Drum’n Bass also essentiell wichtig, und ich spreche auch für sonst niemanden.”

Erst nach der Veröffentlichung von ‚Let no one…‘ im Mai diesen Jahres wurde deutlich, daß Talkin’Loud in Zukunft verstärkt auf Drum’n Bass setzen würde. Noch bis Anfang ’96 galt das Label ja als Archiv für verstaubten Acid Jazz- umso größer war die Überraschung über Nicolettes Firmenwahl. Nicolette meint dazu ganz sachlich:

„Es ist gut, auf Talkin’Loud zu sein. Sie sind ehrlich und sie mögen Musik. Für mich ist es entscheidend, die Freiheit zu haben,das zu tun,was ich machen möchte. Lieber hätte ich keinen Vertrag, als diese Freiheit nicht zu haben. Talkin’Loud ist einfach der richtige Ort für mich.”

Neben diesem Begriff von ‚Freiheit‘ fällt im Gespräch auch immer wieder das Wort ‚Spaß‘ als Lebensprinzip. Dazu ist Nicolette eine Frau, die auf außergewöhnliche Weise gut singen kann- dem Melody Maker haben diese Aspekte zur plumpen Titulierung ‚The Black Björk‘ genügt. Nicolette kommentiert diese Bezeichnung aber überraschend wohlwollend.

„Björk ist ein Genie; sie ist brilliant. Von daher ist es ein wohlmeinender Vergleich, aber ich würde mich natürlich nicht als ’schwarze Björk‘ bezeichnen.

Schon bevor ich anfing wußte ich, daß ich mit ihr verglichen werden würde. Es gibt eben Ähnlichkeiten zwischen uns. Wir sind beide expressiv, wir sind beide Frauen. Als ich zum ersten Mal ihre Musik hörte, dachte ich: die ist wie ich. Die Art, wie wir uns ausdrücken, bestimmte Arten von Phrasierung, die wir beide benutzen- da sind schon Ähnlichkeiten. Doch das ist eine gute Sache, und sie ist reiner Zufall.“

Sowas mit allergrößter Ruhe und Gelassenheit aussprechen kann nur, wer neben einer Mediengröße wie Björk durch eigene Identität auffällt. Nicolette singt Pop, der vom neuen Ding Drum’n Bass zehrt. Sie hat eine Szene, von der aus sie handelt; und sagt sie etwas wie „Drum’n Bass rules!“, dann klingt das durchaus auch missionarisch. So wird sie wohl nach ihrer nächsten Lp-Veröffentlichung (Ende des Jahres möchte sie mit den Stücken dafür beginnen) keine Björk mehr als Bezug brauchen, weil sie dann genauso groß sein wird. Das Medieninteresse jedenfalls war bereits dieses Mal enorm. Wie Du soweit kommst?

„Ich habe einen ganz schön ernsthaften Leibwächter an der Hintertür, einen ernstzunehmenden Scheiße-Detektor.“


Das Interview mit Nicolette führte Christoph Braun.

Vielen Dank an Peyman Satrapi von Radio freeFM in Ulm. Hört seine Sendung Liquid Jazz auf102.6 MHz.

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