Burn, baby, burn
Die Tonträgerindustrie und ihre Feinde: CD Rom und MP3
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"... zu allem Überfluß taucht wie ein tückischer Virus aus dem Dschungel der modernen Kommunikationstechnologie ein bis dato unbekanntes Wesen auf, das sich in jedem PC einzunisten droht und das drauf und dran ist, die wohlgeordnete PopCommunity zu gefährden. Man hat diesem Virus einen unscheinbaren Namen gegeben: MP3. (...) Das Internet verändert (...) die Welt der Musik"
Christian Bruhn, Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA, in seiner Eröffnungsrede zur Popkomm '99.

 

Beerdigungsmusik?

Es geht ein heftiger Ruck durch das Musik-Business. Das Internet und dessen schier unerschöpfliche Möglichkeiten, Musik zu vertreiben und direkt an die Frau und den Mann zu bringen, und die CD-Roms, die nicht nur privat genutzt werden, sondern auch, um Musik zu brennen und zu vertreiben, sind der Branche ein großer Dorn im Auge. Zwei Fragen kamen auf der diesjährigen Popkomm immer wieder auf: Wie soll die Industrie auf den "Virus" MP3 reagieren? Wie kann die Branche dem illegalen Brennen von Musik-CDs einen Riegel vorschieben und damit einhergehende Umsatzeinbußen verhindern? Hintergrund sind erst kürzlich veröffentlichte Daten. Der Handel hat im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 9,8% an Umsatz eingebüßt. 220 Millionen DM sollen es Ende des Jahres sein.

Copy Kills Music

Im Rahmen einer Pressekonferenz stellte sich die Initiative "Copy Kills Music" vor. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die "Brenner-Problematik" (wie sie es nennt) zu bekämpfen, für die Rechte der Künstler einzutreten und einen Kollaps der Branche abzuwenden. Eine fast unlösbare Aufgabe - vor allem, wenn eine solch unsäglich moderierte Pressekonferenz die Grundlage einer professionell agierenden Kampagne bilden soll. Peter Zombik vom Bundesverband Phono hatte die Moderation übernommen. Mit starken Sprüchen wie "Die Musik ist in Gefahr", "Wer kopiert, hat's nicht kapiert", "Wir müssen für ein gemeinsames Ziel kämpfen und brauchen die Hilfe aller" oder "Dies ist eine einmalige Kampagne" war er stets bemüht, die eigenen Interessen zu lobpreisen. Die anwesenden Mitinitiatoren und kooperierenden Künstler wurden (zu) oft mit warmen Worten versorgt. Der Honigstrom floß schneller und breiter als im Schlaraffenland. Besonders auf Sabrina Setlur hatte es Herr Zombik abgesehen: "Sabrina, sie sind die erfolgreichste Rapperin Deutschlands, warum sind sie hier?" oder "Besonderen Dank an Frau Setlur, dass sie heute hier waren". Das alles natürlich in einem Tonfall, der einen Vergleich mit Barbara Eligmann (RTL) förmlich provozierte.

Sabrina Setlur selbst durfte auch noch was sagen: "Ich unterstütze diese Aktion, weil ich möchte, dass Newcomer in Zukunft die Chancen haben, die ich hatte." Nett gesagt, aber eine solche bekommen die wenigsten. Selten wird eine(r) auf der Straße aufgelesen und zum Star gemacht. Und noch seltener ist es, dass sie/er den Weg an die Spitze schafft. Träum weiter!

Dem schloß sich jedenfalls Smudo, Rapper von den Fantastischen Vier, in seiner theatralischen Weltuntergangsrede an: "Es ist nicht leicht Musik zu machen. Das ist eine Leistung, die auch bezahlt werden muß, und wenn uns durch illegales Kopieren Millionen von Mark fehlen, dann wird die Förderung von Nachwuchskünstlern bald unmöglich."

Er hatte wahrlich nicht den besten Tag erwischt. Drei Pressekonferenzen in Folge waren zuviel für den Schwaben. In Begleitung eines Kumpels huschte er etwas verspätet in den Saal, legte Mofa-Helm und Jacke ab und streifte sogleich ein Four Music-Shirt über, um zu zeigen, dass er mit der Tonträgerindustrie auf einer Wellenlänge liegt. Begrüßt wurde er natürlich mit gehörig Beifall, schließlich war es Smudo, Rapper der erfolgreichsten deutschen HipHop-Gruppe. Gähn. Während Smudo seine Phrasen drosch bis sie grün und blau waren, mußte Sabrina schmunzeln und fragte sich, wie auch eine Schreiberkollegin von der Münchner "Abendzeitung" und ich, was dem Kerl da oben überhaupt im Kopf vorgeht. Seine Gefühle hatte er kaum mehr unter Kontrolle. Der Frust sprudelte aus ihm heraus. Man konnte den Eindruck gewinnen, Four Music und Fanta 4 würden am Krückstock gehen.

Doch all denen, die da auf der Bühne saßen wird es in ihrem Leben nicht mehr schlecht gehen. Die verdienen sicherlich bestens. Da wird auch die "Schulhofpiraterie" (Zombik) nichts dran ändern können. Ja, die Schüler wurden zu den bösen Buben auserkoren. Sie seien mit dem Verkauf selbst gebrannter CDs Schuld an der Misere, mit der die Branche versucht, die wirtschaftliche Schieflage zu erklären. Unsummen würden dem Handel verlorengehen. Im ersten Halbjahr wurden 19,5 Millionen Musik-CDs gebrannt. Ende des Jahres sollen es bereits 60 Millionen sein. Für die Musikindustrie eine alarmierende Prognose. "Wenn man eine Schrankwand digitalisieren könnte, würden die Leute erwarten, dass Ikea die umsonst anbietet", glaubt zumindest Kurt Thielen von Zomba Records. "Die Musik ist in Gefahr, aber auch die Arbeitsplätze", erklärte indes Peter Zombik. 30.000 sollen in Gefahr sein. Dieses Argumentes bedient sich die Kampagne natürlich gerne, um das Interesse der Politiker zu wecken und Gehör zu finden im Kampf gegen die Illegalität. Laut einer Analyse Zombiks "töten 10.000 gebrannte CDs eine Nachwuchsbund". Daher wollen die Initiatoren das Unrechtsbewußtsein der Jugendlichen wecken. Die wiederum können sich mit dem Gedanken, für Musik horrende Preise zu zahlen, nicht anfreunden. Damit wird den Plattenfirmen im Nachhinein heimgezahlt, dass sie den Konsumenten Anfang der Neunziger damit drohten, die Preise von CDs auf bis zu 50 DM hochzuschrauben. Damals eine Horrorvorstellung, die Gott sei Dank nicht in die Tat umgesetzt wurde.

Smudo kann die Kids überhaupt nicht verstehen und betont abermals: "Wenn uns durch illegales Kopieren Millionen von Mark fehlen, dann wir die Förderung von Nachwuchskünstlern bald unmöglich". Im Hinterkopf hat er dabei die GEMA-Gebühren, die von einer sehr undurchsichtigen Institution verteilt werden. Von jedem verkauften Tonträger (bespielt oder nicht bespielt) geht ein Anteil an die GEMA, der dann (nach nicht unerheblichen Abzügen und das obwohl jedes Mitglied verpflichtet ist, einen Jahresbeitrag zu zahlen!) an die Künstler weitergeleitet wird. "Copy Kills Music" möchte nun die Preise von CD-Roms um 3 bis 4 DM erhöhen, da die bisherige Leermedienabgabe (Abgabe von zwölf Pfennig pro Stunde Speichermedium an die GEMA) viel zu gering ausgefallen sei. Eine solche Erhöhung muß vom Bundestag abgesegnet werden und wird von Däubler Gmelin, EU-Kommissarin, in Aussicht gestellt. Diese Mehreinnahmen würden dann durch die GEMA an die Künstler verteilt werden. Klingt gut, ist aber schwierig. Denn: Es sind nicht nur "Schulhofpiraten", die CD-Roms kaufen. Es gibt genügend Grafiker, die große Bilddateien darauf speichern, oder Ottonormalverbraucher, die CD-Roms für Backups nutzen.

Von 37,6 Mio. CD-Roms, die im ersten Halbjahr 1999 von Privatpersonen gebrannt wurden, wurden 52% mit Musik, 24% mit PC- oder Playstation-Spielen, 14% mit Daten, 6% mit Anwender-Software, 1% mit Fotos/Dias und 3% (Quelle: GFK) mit sonstigen Inhalten bespielt. Demnach würde die Hälfte der Mehreinnahmen durch die Preiserhöhung der Musikindustrie zugute kommen, obwohl die CD-Roms zu ganz anderen Zwecken genutzt werden. Wie sollte man also dieses Problem bewältigen? Ein weiterer Punkt ist, dass die Verteilung durch die GEMA nicht gerecht sein kann. Woher will sie wissen, welche CD am häufigsten gebrannt wurde? Schließlich sollte jeder Künstler in Höhe des durch die gebrannten CDs entstandenen Verlustes von der GEMA einen Ausgleich erhalten. Wie soll dieser Verlust beziffert werden? Diese und weitere Fragen blieben unbeantwortet. Leider dauerte die Selbstbeweihräucherung der Initiative dermaßen lange, dass keine Zeit mehr für kritische Fragen seitens der Presse war. Von Pressekonferenz konnte somit wirklich nicht die Rede sein. Kein guter Anfang einer Kampagne, deren Ziel verständlich, deren Wege und Mittel jedoch fragwürdig erscheinen.

Der "Virus" MP3

Wenn es nicht "geklonte Musik-CDs" (Zombik) sind, die ihren Weg auf die CD-Roms finden, dann sind es schon mal MP3-Dateien. Sogenannte MP3-Dateien, die lediglich ein Zehntel der Speicherkapazität herkömmlicher Musikdateien einnehmen, sind überall im Internet zu finden und können jederzeit heruntergeladen werden. Es kommt nicht von Ungefähr, dass mittlerweile "MP3" das Wort "Sex" als meist eingetippten Suchbegriff im Internet abgelöst hat. Das Herunterladen erfreut sich immer größerer Beliebtheit, ist aber nicht immer legal. Oft werden die Urheberrechte der Künstler verletzt, klagt die GEMA. Brennen ist nur legal, wenn es im Rahmen des Eigenbrauchs geschieht. Sobald gebrannte CDs verkauft oder vertrieben werden, wird das Urheberrecht der Künstler verletzt. Auch dies ist eine drohende Gefahr durch das Internet.

Es gibt auch eine andere Seite des MP3-Phänomens. Jeder will nämlich plötzlich ein Stück vom großen Kuchen haben. Die Plattenfirmen bieten auf ihren Webseiten MP3-Files ihrer Künstler zum Downloaden an. Internet-Label schießen wie Pilze aus dem Boden und wollen das World Wide Web als preisgünstiges Vertriebsmedium nutzen. In Saarbrücken zum Beispiel ist unlängst OneTakeRecords (www.onetakerecords.de) ins Netzt gegangen. Auch Terri Ellis, Mitbegründer von Chrysalis hat mit StarGig.com vor kurzem eines von vielen Online-Label gegründet. Die Seagram Company, bis vor wenigen Monaten bekannt als Hersteller von Whisky und Rum, jetzt ganz dick im Entertainment-Bereich tätig (Universal Filmstudios, Polygram, also Polydor, Universal, Motor und Mercury sowie verschiedene Themenparks) "verlagert sein Interesse auch auf das Internet. Digitalisierung des Musik-Katalogs und der Musikverkauf über Herunterladen aus dem Internet" ("Süddeutsche Zeitung" vom 24. August 1999) stehen dabei im Vordergrund. Selbst MTV ist mit von der Partie und hat Anteile an der amerikanischen Firma Diamond gekauft, die einen MP3-Player herstellt. Phillips hat den Bau eines MP3-Players angekündigt und so weiter ... Fast täglich werden neue Projekte bekannt, tauchen neue Internet-Label aus dem Nichts auf, versucht eine Plattenfirma, das Internet zu nutzen, um rückgängige Absatzzahlen aufzufangen.

Der Versand von CDs über das Internet ist mittlerweile Tagesgeschäft. Wer nicht hohe Zölle und bis zum Klingeln des Postboten meist ungewisse Portogebühren berappen möchte, braucht nicht erst bei CD Now reinzuschauen, sondern kann dem deutschen Online-Versand Boxman einen Besuch abstatten. Wer allerdings lieber seine Mini Discs oder CD-Roms bestücken möchte, der kann bei MCY.com, einem kommerziellen Anbieter von Downloads, seine Dateien ordern. Auch Amazon.com hat sein Angebot kostenloser Downloads ausgebaut - auf 49 (!) Stücke bekannter internationaler Acts. Seit Mitte August ist auch mpegdrei.de online gegangen, das erste Linkverzeichnis zum Thema MP3. Die Liste könnte beliebig fortgeführt und täglich ergänzt werden.

Der CD-Versand per Internet bietet eine weitere Möglichkeit: sogenannte Custom-CDs. Der Kunde surft zum Beispiel bei CD Now durch das Angebot, pickt sich einzelne Songs heraus und läßt sich diese auf eine CD brennen, bestimmt deren Äußeres und hat am Ende eine individuell gestaltete CD in seinem Regal stehen. Auch das ist mehr als nur Zukunftsmusik.

Die Plattenfirmen und Versände scheinen auf MP3 geschickt reagiert zu haben. Und die Musiker, wie steht es mit denen? Die könnten der Plattenfirma einen weiteren Schrecken einjagen und sie gleich in die nächste Krise stürzen. Für die Newcomer werden sie nämlich mit jedem Tage entbehrlicher. Die brauchen heutzutage kein Label, keinen Manager, keine Promoagentur mehr, um ihr Produkt zu bewerben. Das Geld fließt direkt vom Konsumenten in die Tasche des Produzenten. Viele Musiker sehen jetzt ihre große Chance. Unabhängigkeit ist kein Nachteil mehr.

Der einzige Verlierer scheint der Handel zu sein. Er will mit kundenorientiertem Service und einer Erweiterung des Sortiments auf Bücher, Videos und Konsolen- wie PC-Spiele (so wie es in vielen Plattenläden der USA Gang und Gäbe ist) kontern. Außerdem könnten die Plattenläden im Internet ihr Ladenprogramm anbieten und somit auch die Computersüchtigen erreichen, die gute Beratung und eine nette Atmosphäre nicht zu schätzen wissen. In den USA wurden auch schon Downloadstationen für Musik-Dateien in Läden aufgestellt. Auf der Popkomm wurde eine solche Station vorgestellt. Der Konsument kann nicht nur eine Mini Disc kaufen, sondern diese auch gleich mit einem entsprechenden Inhalt versehen - frisch aus dem Netz natürlich.

Das Ende?

Eins ist sicher, die Musikindustrie muß sich den neuen Herausforderungen stellen und darf nicht nur jede Neuerung gleich mit allen Mitteln bekämpfen. Annäherung und Anpassung an die neue Situation heißt die Devise. Nach der Einführung von Fotokopiergeräten und ersten Copy Shops haben schließlich auch nicht gleich alle Buchläden geschlossen oder mit Konkurs gedroht. Aber wer könnte sich heute noch ein Leben ohne den Kopierer vorstellen?

Einer hat das Jammern der Industrie wirklich auf den Punkt gebracht: "Die Internet-Piraterie ist ein vorgeschobenes Alibi, das bemüht wird, wenn es darum geht, Umsatzrückgänge zu analysieren. Meiner Ansicht nach ist es viel wichtiger, das kreative Potential in dieser Branche zu nutzen, um wieder Qualität zu produzieren. Und dafür ist der Kunde auch bereit, einen entsprechenden Preis zu bezahlen. Ich glaube darüber hinaus nicht, dass durch Online-Piraterie ein nur annähernd so hoher Schaden entsteht wie durch illegale Duplikationen von CDs und MusiCassetten. Ich behaupte, dass sich Qualität und Einzigartigkeit immer gegen jede Form von Piraterie durchsetzen wird. Voraussetzung ist aber Qualität." Das sagte Lars Besa, Product Manager des Labels Deshima Music in der Fachzeitschrift "Musikwoche" (33/99). Und damit hat er verdammt Recht. Das Brennen von CDs und der damit verbundene illegale Handel ist sicherlich eine Bedrohung, MP3 gehört allerdings die Zukunft.

Wenn Tim Renner, Präsident von Universal Music, behauptet, die Plattenfirmen hätten seit ein paar Jahren erkannt, dass Künstler aufgebaut werden müssen, dann lügt er. Zumindest sind mir kaum welche bekannt, die einen Künstler aufbauen. Sobald sich der Erfolg nicht mehr einstellt, wird eine Band fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Ist ein neuer Trend da, wird sowieso sofort nach Nachzüglern Ausschau gehalten und diese möglichst schnell auf den Markt geworfen. Die von Renner angeprangerte "Schnäppchen-Kultur" ist nicht bei den "Schulhofpiraten" an der Tagesordnung, sondern in seinem eigenen Industriezweig. Wer jahrelang nicht auf Qualität gesetzt hat, sondern auf die schnelle Markt, der braucht sich nicht zu wundern, dass der Markt am Boden ist. Die Indies sind den Majors schon lange einen großen Schritt voraus. Die verblasen ihr Geld nicht mit der hundersten Boy- oder Girl Group, mit einem Seifenopern-Jüngling, der glaubt, singen zu müssen, mit einem Münchner Mambo-Fan oder mit einer solch aufgeblasenen Veranstaltung wie der Verleihung des Comet-Preises.

Wenn die Plattenfirmen nicht bald erkennen, welche Möglichkeiten das Internet den jungen Künstlern bietet, dann werden sie sich noch wundern.

(kfb)