Popkomm-Tagebuch
Klatsch und Tratsch von der Popkomm 98
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Vorwort


und Einstimmung
Alljährlich ist es das gleiche Spielchen wenn das multimediale Großereignis, die Popkomm, eine dieser mittlerweile zum Riesenevent aufgeblähten Musikmessen, zur Invasion der närrischen Rheinmetropole bläst. Dann ist die Kölner Altstadt mitsamt Umgebung nicht vom Rheinwasser sondern von Labelbossen, Promotern, Pressefritzen und anderen Akkreditierten überschwemmt.

Der Normalbürger schüttelt dann wieder den Kopf ob der gestylten, gegeelten Freaks, die da mit ihren albernen Plastikbatches durch die Stadt hetzen, um den nächsten Termin nicht zu verpassen. Schließlich gilt es, innerhalb von vier Tagen 43 Clubs mit fast 80 Konzerten und die zwei Etagen der Messehalle mit den Tausenden Ständen zu durchkämmen, warme Hände zu schütteln und den am Hungertuch nagenden Labels die letzten Reserven an warmem Bier und anderen zu kurz gekühlten Getränken abzuschwatzen, damit anstatt der qualmenden Füße wenigstens die trockenen Kehlen "Erfrischung" erfahren.

Ja, die Popkomm ist schon einzigartig. Köln ist überfüllt und nachts trifft sich der Jetset beim Mexikaner, um bei Sol, Enchiladas und anderen mexikanischen Leckereien, die den Morgen zu einem Ritt über den Lavastrom machen, den arbeitsreichen Tag hinter sich zu lassen. Was will der gelangweilte, vor sich hin schwitzende Musikjournalist bei diesen kühlen Temperaturen noch mehr? Hinter-Net! hat daher Roland Keimel und Kai Florian Becker ins lustige Treiben entsandt, um täglich heiße Berichte von vorderster Front zu erhalten. Also, wünschen wir den beiden doch viel Glück und Spaß im Akkreditierungsgewimmel...

Donnerstag 13-8-97

Nach beschaulicher Fahrt ohne nennenswerte Zwischenfälle oder Wortgefechte erreichten wir, kfb und rk, pünktlich unsere private Unterkunft. Ein chinesisches Fastfood-Mahl und einen lockeren Spaziergang durch das Kölner Villenviertel (Kalk) später, gelangten wir zum Bürgerhaus Kalk, wo eigentlich Herr Schlingensief intellektuelle Untermalung zu den hanseatisch-bavarischen Klängen von Die Antwort - Fink und Die Moulinettes - Jonas beisteuern sollte. Der Abend stand unter dem Motto "Hamburg - München 2:1 n.V.". Leider wurde Schlingensief, bekannt als gefährlicher Linksaußen, von der Aufstellung gestrichen. Es wurde auch gemunkelt, einem großen Werbegag in die Falle gegangen zu sein. "Ist es jetzt nicht billiger, jetzt wo der Schlingensief abgesagt hat?" "Das war eh nur der Werbegag!" Na dann...

Die erste Band des Abends, die man so mitbekam, waren Die Moulinettes. Entspannter Easy Listening von der Isar. Charmante Darbietung von schüchternen Mädchen, die mit dem Erfolg ihrer Darbietung wohl in der Form nicht gerechnet hatten. Nett, schön, toll!! Dann das absolute Highlight der Veranstaltung: Fink. (Watch out for "Platte des Monats"!). Die Band, die mindestens so groß wird, wie Element of Crime es gerne geworden wären. Phantastisch!! Sänger Nils Koppruch schafft es, deutsche Texte mit der unpeinlichen Beschreibung von Gefühlszuständen und Befindlichkeiten zu verbinden, ohne an Wolf Maahn zu erinnern. (Hmm?)

Zum Schluß Die Antwort auf alle ungestellten Fragen. Bernd Begemann gefiel sich mal wieder in der Rolle des einzig wahren Elvis-Imitators von der Waterkant. Natürlich nicht ohne wenigstens 25mal den trojanischen Krieg zu erwähnen. Aber egal. Der Mann schreibt nunmal Hits und weiß sein Publikum zu begeistern. Wem's gefällt.

 

Der Alte Wartesaal, Kölns Club mit dem feistesten Ambiente bietet mal wieder Aktualität. "Big beatfull monty" - Liveacts und in den Umbaupausen Plattendreher, die es zumindest nach längerer Eindrehphase schaffen, das Publikum zum Hüpfen zu bringen. Mit von der Partie waren die Lo-Fidelity Allstars: Funk Bass, Turntables, ein Sänger mit leider zu britischen Touch. Trotzdem gut. Kann was großes werden.

Les Rhythmes Digitales: Ein Sound, der an Plastic Bertrand in rein elektronic erinnert. Etwas störend ist der große Konservenanteil des Duos und die "Prinzen" Frisette des Sängers

Fatboy Slim: Fat ist der Sound. Mr. Party Instructur bringt den Wartesaal zum kochen. New Brighton Sound. Trip hop zum Tanzen, gemixt aus alltime classics.

Freestylers: Einer der fettesten Partysounds. Inoffizieller Nachfolger der Chemical Brothers und Propellerheads. Wahre Bigbeat bringers. Drum´n'Bass meets Ragga und Party Hiphop. Spätestens hier stellt man fest, daß Breakdance wieder voll im Trend sind. Zwei nette Jungs, von denen einer drastisch böse, der andere wie klein Ruud Gullit aussehen will in Dauerrotation auf der Bühne. Netterweise darf auch eine lokale Crew eine Einlage geben.

Freitag 13-8-97

Neuer Tag, neues Glück. "Hier raus, Hauptstraße links!" Ja, ja, ging aber nicht, da nur für Rechtsabbiegen gedacht. Die Folgen: gefährlicher U-Turn auf Gleisen und eine Spritztour auf der Kölner A3 mit dem Ergebnis am Start wieder angekommen zu sein. Stöhn! Irgendwann waren wir dann richtig und durften für den Spottpreis von acht Mark unser Gefährt in einem entlegenen Parkdeck unterstellen. Ein Irrlauf durchs Treppenhaus etcetera etcetera... Die Popkomm nervt jetzt schon, und eigentlich sind wir direkt vom Parkdeck hier ins Pressezentrum gestürzt. Was soll das noch werden?

Köln im Chaos. Popkomm, Ringfest, 750 Jahre Dom, 5000.000 Katholiken, der FC verliert, Kohl kommt, Gorbatschow kommt, Gorbatschow geht.

Tolle Gerüchte: Fettes Brot haben die neueste Folge der 3 Fragezeichen gesprochen und stellen sie im Vollplaybacktheater vor. Tatsache: Am Europastand spielen 3 peinliche Schauspieler (Justus mit drei T-Shirts unterm Hemd) eine Szene, um Leute in ihre Veranstaltung zu locken. Wohl doch eher Mittagsschlaf, oder???

Im Rahmen des Ringfestes und der 10. Popkomm sollen ca. 300 Konzerte stattfinden, Dennoch gibt es eine Musikveranstaltung, die ca. seit 18 Jahren stattfindet und 2500 Leute in den Tanzbrunnen im Rheinpark zieht. bei Linus Talent Show spielt eine äußerst schmierige Band auf, und jeder der sich berufen fühlt kann seiner Stimme freien Lauf lassen. Die Menge johlt, buht, dreht den Rücken zu, pfeift oder hält sogar nen Galgen in die Höhe. 10 mal im Jahr gibt es diese großartige Show. Positiver Nebeneffekt bei zeitgleicher Popkomm: An diesem Wochenende blickt die Musikwelt auf Köln und da man fürchtet, daß das Volk aus dem Umland (Bergheim, Erft, Neuss, Düsseldorf, Bergisches Land, Siegen) dem Image einer Weltstadt nicht sonderlich zuträgluch ist, werden sie einfach zu Linus gelockt. Da weiß jeder was abgeht und Elton John Imitatoren sind sowieso besser als der neumodische Kram. Schade nur, daß er nicht das Lied mit der Rose singt.

Szenenwechsel. 800m Luftlinie Gebäude 9. Ehemalige Deutz Hallen. Punk und Künstlerkolonie. Nebeneinander blaubeleuchtete, um 24.00Uhr leere ambientdurchflutete große Räume. und ein enger, verrauchter, verschwitzer Schlauch in dem wilde Menschen abgehen.

Larry and the Lefthanded: Finnen. Sagt eigentlich alles. 60er. Laut. Vocoder. Wild. Roh. Laut. Abgedreht. Finnisch eben.

Goldene Zitronen: Nicht viel neues. Gleicher Sound. Gleiche Stücke, Gleiche Hosen. Wie letztes Jahr. Warum hier? Anscheinend mögen sie die Popkomm und das Publikum mag sie und kommt.

Szenenwechsel. Gloria. Wiedermal unangenehme Türsteher, rigide Türpolitik. Schade bei dem ansonsten sympathischen Laden. Ab 2.30 Uhr kommt man doch wieder rein. Sushi 4004 und Le Hammond Inferno. Styling Jim Avignon. Ähnlich wie 1996. Damals ein wesentlich netterer Club. Nicht so rechteckig. Heute ist der Unterschied zwischen europäischen und japanischen Plattenauflegern nicht mehr so groß. Weniger Kindersynthietöne und daher nicht mehr so leicht als asiatisch zu erkennen.

Auch Le Hammond Inferno (Berlin) haben sich vom easier listining in Richtung gute Party Plattendreher entwickelt. Auch Freestyler dabei. Insgesamt sehr gut tanzbar das alles, aber leider nicht sonderlich exotisch

Samstag 14-8-97

Meine Füsse!!!!! Letzte Woche gab es bei ALDI Fußkühlgel. Fand es albern. Heute ist albern finden albern.

Samstag Abend auf den Ringen. Sabrina S. etc. Alles unglaublich voll hier. UInd nicht sonderlich spannend. Flucht ins Stollwerck.

Warten auf Schneider TM. Freund Schneider (Dirk Dresselhaus) wird heute unterstüzt durch zwei weitere Kumpanen an den diversen Reglern. Elektronische Musik von Rockern für Freunde der Alternativen. Kennt man die Scheibe wundert Herrn Schneiders Aufforderung zum tanzen. Dazu kann sich doch wohl nur der stoische Ackerkrumen-starrende Ostwestfale gemächlich mitwippen. Aber welch Wunder. Im Zuge der Homogenisierung der Geschmäcker scheinen sich die aus den europäischen Regionen in Köln Zusammengeströmmten einig zu sein: Sxchneider TM ist groovy und tanzbar.

Anschließend The Notwist. Gewohnt gut und unterstützt durch Kollegen an den Tasten. Entwicklung, Steigerung, Wandel haben sich über Jahre im Konzept von Notwist gehalten. In Linie gehalten durch diesen wunderbar einmaligen Gesang.

Szenenwechsel: Mal wieder Gloria, mal wieder Sch... Türsteher. Für die letzten drei Songs von Gus Gus reicht es noch. Sehr dunkel. Gut für Videoinstallation. Nimmt die gesamte Rückseite der Bühne ein. Skandinavische Wurzeln sind schwerlich zu übersehen. Vieviele Musiker heute? Ich schätze ca. 8. Zu viel Stagehands. Sehr viele Kameras. Wer jemals an den Qualitäten und der Klasse von Gus Gus gezweifelt hat, wird eines besseren belehrt. Nach den Freestylers mein (Carstens) bestes Konzert auf dieser Popkomm.

Fazit

Feuchte Hände, verspannter Rücken, Lähmungserscheinungen und ein leichtes Drücken unter der Schädeldecke. Was war geschehen? Autounfall, falsche Aufwärmübung, im Bett verrenkt? Nein, Tag drei der Popkomm.98 liegt hinter uns. Ihr wißt ja, dieses tolle Ereignis wo sich die Industrie selbst feiert - obwohl dazu nun wirklich überhaupt gar keinen Grund hat. "allaboutparty" heißt eines der vielen, künstlich geschaffenen Mottos, das keineswegs das widerspiegelt, was sich hier zwischen dem 13. und 16. August abspielt.

Unsere Mottovorschläge sind dahingehegen "Allaboutmass", "Allaboutwhat" und "Allaboutsleeping", die genau das ist stellvertretend für die Irrfahrten all der vielen Plattenfirmen da unten in den Messehallen. Smalltalk ohne Ende, der sowieso nach der Nacht beim Mexikaner im Nu im Land des Lächelns verloren geht ("Ach, wer warst Du nochmal? Ach so, aha!").

Und warum der Stand von Universal ständig so überlaufen ist wissen wir nunmehr auch. Die haben gleich mal locker 38 Leute akkreditiert. Die auf einen Platz von 30qm gesteckt, erweckt schon einen emsigen Eindruck beim unwissenden Beobachter. Das alles ist nichts gegen die heimspielenden EMI Groupler, die mit zwei Auswechselteams aufliefen und somit eine stattliche Zahl von 85 Damen und Herren ins Spiel schickten. Und nie war einer von denen greifbar, um via Smalltalk wichtige News auszutauschen und Kärtchen zu verteilen. Zu dumm!

Wie war das nochmal mit dem Kontakt zur Basis? Wie soll der entstehen, wenn sich die Plattenfirma in zwei immerhin gut klimatisierten Hallen vor ihren Kunden abschirmt, mit teuren Drinks rumsaut (da en masse kostenlos unters Volk verteilt!) und das Geld mit Gelassenheit zum Fenster rauswirft? Irgendwie macht diese Messe von Mal zu Mal weniger Sinn. Was bitte schön haben eine Firma wie die "British Airways Group" oder irgendwelche Dolmetschergruppen auf einer Musikmesse zu suchen? Mir entgeht da der tiefere Sinn...

Krise, Krise, Krise. Wie der Kollege Becker schon so schön gesagt hat, scheint mir das hier der falsche Weg aus der Krise zu sein. Kommerzialität und Kreativität haben sich ja schon immer irgendwie ausgeschlossen. Im Moment befindet sich der Markt wohl in der gleichen Stimmung wie Mitte der 70er kurz vor der Entstehung von Punkrock. Ich hoffe, es wird bald irgend etwas an die Oberfläche treten, daß die ganze Scheiße hier mal ordentlich erschüttert und ich kann euch jetzt schon sagen, daß diese Sache nicht von Herrn Gorny und Konsorten entdeckt werden wird. Denn mit Selbstzufriedenheit und gegenseitigem Eierschaukeln werden wir auch diesmal nicht weiterkommen.

Es ist ja ganz schön, wenn Herr Gorny jetzt schon 2 Flügel der Drehtür zum Durchkommen braucht (auch ohne Assistentin), aber das zeigt eigentlich nur den momentanen Sättigungsgrad der Industrie im Backlash der vergangenen fetten Jahre. Auf einem Markt, der sich im Moment nicht noch mehr aufgesplittert darstellen kann, kann es nicht der Stein der Weisen sein, immer mehr Nana und Music Instructor-Quatsch auf den Markt zu werfen. Man sollte wenigstens versuchen Acts auf die lange Sicht aufzubauen. Ansonsten sehe ich eher SCHWARZ...

(rk, der Rebell der Liebe).