Die auf diese dramatischen Ereignisse folgenden Tage veränderten Kommissar Krawuttkes Leben komplett - jedenfalls für ein paar Stunden. Mehrere Organe der öffentlichen Meinung titulierten ihn «den Luderretter», andere warfen ihm vor, allzu leichtfertig das Leben der vier schönsten Frauen des Landes aufs Spiel gesetzt zu haben. Was aber alle auf der Krawuttke'schen Habenseite verbuchten, war das rasche Auffinden des LUDERMOBILS, nachdem die Begleitfahrzeuge außer Gefecht gesetzt worden waren. «Eine Meisterleistung vorausschauenden Krisenmanagements» sei das gewesen, «hier haben Polizei und Technik, Bevölkerung und Zufall vorbildlich zusammengearbeitet».
Und in Wirklichkeit? Nichts von alledem. Einem schlichten Streifenpolizisten namens Horst Ratjen war es zu danken, dass man die Spur des LUDERMOBILS so schnell hatte finden und seine InsassInnen aus höchster Kältenot befreien können. Dieser Ratjen, der sich selbst als «hard boiled cop» bezeichnet hätte, stand neben Krawuttke, als der, in einem Peterwagen sitzend, mit seinen SoKo-Mitarbeitern telefonierte, sie noch einmal zur Sau machte und ansonsten nicht wusste, was zu tun sei.
Den Ratjen beeindruckte die Nachricht von der Lebensgefahr für die Luder sichtlich; er kratzte sich am Kopf, schnitt mit seinen dünnen Lippen ein ebensolches Grinsen auf seine Visage und murmelte: «Da werden diese fetten Hennen wohl bald geschlachtet werden.»
Krawuttke horchte auf. Das musste es sein! Der Promikiller wollte die Luder massakrieren! Und welcher Ort eignet sich am besten für solche Tätigkeiten? Ein Schlachthof! Der Rest war Routine.
Die Luder waren mit leichten Erfrierungen und Eierstockentzündungen zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht worden, verließen dieses jedoch binnen weniger Stunden halbwegs wiederhergestellt und voller guter Vorsätze. Niemals mehr würden sie auf Parties herumhängen und ihre Gesichter in die Spaßfalten der puren Dummheit legen. No more fun anymore, wie es Ariadne Faden, die Fremdsprachen konnte, im Namen ihrer Kolleginnen prägnant formulierte. Sie selbst, die Faden, bewarb sich auch kurz darauf als Nachfolgerin für Mutter Theresa in Indien, wurde aber nicht genommen (Britney Spears bekam den Job. Beziehungen...). Venetia Klavinsky wechselte in die Spinatbranche, Knubbel ging in sich und begann ein Studium der vergleichenden Luderforschung, Jeannie Butsch ließ sich ein Kind machen und legte eine dreijährige Babypause ein, in der sie ihren Mutterspeck abtrainierte und gleich darauf an die Produktion eines weiteren Kindes ging.
Westwall schließlich, der ebenfalls leicht gefroren dem Inferno entkommen war, arbeitete weiter an seiner Karriere als Extremgurkenfischer und stand der SoKo nach wie vor zur Verfügung.
Und Krawuttke? Der zu einem gewissen Ruhm gelangte Commissario, der sich gelegentlich dabei ertappte, auszurechnen, was das Drucken von Autogrammkarten wohl kosten würde? Nun, Krawuttke befand sich in einem inneren Zwiespalt. In ihm kämpften die Gefühle. Einerseits verabscheute er den Promimörder, andererseits wuchs seine Bewunderung für die Genialität des Killers. Was für ein Allrounder! Er hantierte virtuos mit Giften, manipulierte Fahrzeuge auf eine Art, die jeden Kfz-Mechaniker alt aussehen ließ - und, davon war Krawuttke überzeugt, er würde sich auch für die Zukunft noch einiges einfallen lassen. Ein Genie, keine Frage. Aber was trieb ihn an?
Krawuttke dachte nach. Er grübelte und sinnierte. Was hätte dieser Mensch leisten können an guten und rechten Dingen zum Wohle der Gesellschaft! Was aber tat er? Er murkste Artgenossen ab, er verschleuderte sein Genie. Das war nur zu vergleichen mit einem genialen, überlebensgroßen Dichter, der seine Einzigartigkeit daran abarbeitet, einen Krimi über einen Promimörder zu schreiben und in einem dubiosen, heruntergewirtschafteten Internetmagazin zu veröffentlichen, zum Wohle eines diabolischen, bis ins Mark geldgeilen Chefredakteurs, dessen einzige kulturelle Beschäftigung im Ersinnen immer fieserer Methoden besteht, Praktikantinnen «einzuarbeiten». Unvorstellbar! Wer tat so etwas?
Und da, überkam es Krawuttke, musste der Schlüssel zum Verständnis der Motivlage des Täters liegen. Er konnte sein Genie nicht ausleben! Er war gefangen in niederen Arbeiten, wurde getriezt von unfähigen und sadistischen Vorgesetzten, und in ihm stauten sich Wut und Aggression, bis sie sich schließlich Bahn brachen. Das Ergebnis, welches aus der Seele des so geschundenen Genies eruptierte, war HASS. Hass auf alle, die ihr Genie besser zu nutzen wussten. Dietmar Dielen. Hansjürgen Rousseau. Michaela. Markus Mutschler-Radutzky. Sieglinde Zitter. Hartmut Mullwitz. Die Luder. Und die nächsten standen schon auf des bösen Killers Liste und warteten darauf, durchgestrichen zu werden.
Knapp zwei Wochen nach diesen Geschehnissen erschien auf der Titelseite der TEXT-Zeitung ein ebenso bemerkenswerter wie reißerischer Bericht. Über ihm prangte in allergrößten Buchstaben: «TEXT-Reporter als Universalgenie gefeiert! Kaum fassbares Talent!»
Der Artikel selbst war vom Chef persönlich geschrieben worden und gilt bis heute als ein Meisterwerk der Kolportage. Mit Genehmigung der TEXT-Zeitung drucken wir ihn im Folgenden ungekürzt ab:
«Detlef Peter Rühhoff, der bekannte Reporter der TEXT Hamburg, wird von immer weiteren Fachkreisen als das kommende Universalgenie des 3. Jahrtausends christlicher Zeitrechnung angesehen. Der sympathische Rühhoff (ca. 35) konnte erste Meriten als Multimedia-Entwickler ernten. Im Rahmen eines Bundesmodellprojektes schuf er meisterliche Software und scheffelte genug Geld, um sich seinen alten Kindertraum erfüllen zu können: Reporter bei TEXT Hamburg werden. Dort verblüffte er Kollegen und Leserschaft mit Reportagen, die ihm den Ruf einbrachten, ‚der Shakespeare der Käseblätter' (Bill Clinton) zu sein. Tatsächlich reicht Rühhoffs literarisches Talent über alle bisher bekannten Grenzen hinaus. Experten trauen ihm zu, binnen weniger Wochen den berühmten Literaturnobelpreis gewinnen zu können: ‚Der macht das!' (Günter Grass, Literaturnobelpreisträger). (Anmerkung der Redaktion: Beim Literaturnobelpreis handelt es sich ungefähr um die Champions League der Dichter. Der geschmackvolle Wanderpokal wird jedes Jahr vom schwedischen König in Privataudienz verliehen. Wer ihn dreimal hintereinander gewinnt, darf ihn behalten (den Wanderpokal). Das ist bisher noch keinem gelungen! Rühhoff werden jedoch gute Chancen eingeräumt, dieses Kunststück zu vollbringen!)
Damit aber nicht genug. Auch musikalisch befindet sich Detlef Peter Rühhoff auf dem richtigen Weg zum Welterfolg. Noch unter der Leitung des verstorbenen Topproduzenten Dietmar Dielen nahm Rühhoff eine CD mit dem Titel ‚Love me baby' auf, eine geniale Mischung aus Rap, House, Heavy und flotten volkstümlichen Rhythmen. Die isländische Künstlerin Björk urteilt: ‚Spitze! Sowas gabs noch nie! Ich bin hin und weg!'. Brancheninsider rechnen damit, dass diese CD, deren Veröffentlichung bevorsteht, sämtliche Verkaufsrekorde weltweit brechen wird. Eine zweite CD mit dem Titel ‚The Return of Superman' ist bereits in trockenen Tüchern. Sie bietet eine geniale Mischung aus Rap, House, Heavy und deutschem Schlager der fünfziger Jahre.
Schon heute ist Detlef Peter Rühhoff auf allen Parties gern gesehener Gast. Sein Äußeres wird von Materiekennerinnen (Jeannie Butsch) als ‚überirdisch und traumhaft' gepriesen, seine sexuelle Potenz wurde kürzlich an der Universität Rostock mit ‚4 Jimi Hendrix' gemessen (Anmerkung der Redaktion: ‚Jimi Hendrix' ist die gültige Maßeinheit für sexuelle Potenz. ‚1 Jimi Hendrix' bedeutet, dass man in einer Nacht siebzehn Frauen vollauf zufrieden stellen kann, resp. 12 Männer). Von seiner Schönheit und Kraft macht Rühhoff, der bevorzugt Leder trägt, üppigen Gebrauch. Zur Zeit verfügt er über ein Arsenal von 34 ständigen Begleiterinnen zwischen 14 und 67 Jahren und einem Monatseinkommen von 120 Euro (Taschengeld) bis 70.398.600 schwedischen Kronen (Apanage).
Zuletzt wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass Detlef Peter Rühhoff auf dringendes Bitten des Hamburger Binnensenators Riesch mit der Suche nach dem so genannten ‚Promikiller' beauftragt wurde. Diese unmenschliche Aufgabe nimmt Detlef Peter Rühhoff mit unfassbarer Gelassenheit: ‚Ich werde dieses blöde Arschloch, diesen unglaublichen Stümper und impotenten Heini innerhalb weniger Tage seiner gerechten Strafe zuführen. Jeder Eierdieb ist schwerer zu fangen!'
Wir werden unsere Leser über den weiteren Werdegang unseres geschätzten Mitarbeiters auf dem Laufenden halten. Schon jetzt ist abzusehen, dass am Ende dieses Jahrtausends Detlef Peter Rühhoff zu den ‚10 wichtigsten Persönlichkeiten' gerechnet werden wird, wenn nicht gar zu den ‚1 wichtigsten Persönlichkeiten'».
Krawuttke kochte. Was bildete sich dieser Amateur ein? Ihm hatte es überhaupt nicht gefallen, als von «ganz oben» die dienstliche Anweisung gekommen war, Rühhoffs detektivischen Dilettantenpfusch wohlwollend zu registrieren und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.
Auch Westwall kochte, wenn auch aus anderem Grund. Hatte doch die «TEXT-Zeitung» in einer ihrer letzten Ausgaben berichtet, der geniale Detlef Peter Rühhoff habe, so ganz en passant, einen neuen Weltrekord im Extremgurkenfischen aufgestellt, gleich 17 Stück des länglich-krummen Gemüses seien an seinem Gurkenfischmesser hängen geblieben. Manche erreichten eben alles, was sie wollten; andere, Westwall besonders, zogen die Arschkarte auch dann, wenn ihnen überhaupt nicht zum Kartenspielen zumute war.
Beim allmorgendlichen Brainstorming der SoKo sinnierte Stock-Holm: «Da stellt sich einer in die Schusslinie!», was überraschend scharfsinnig und hellsichtig war, sodass Krawuttke aufschaute und Stock-Holm fixierte.
«Ja. Und wer muss wieder mal die Kastanien aus dem Feuer holen? ICH!»
Kastanien war das Stichwort für die Brandström'sche. Sie liebte Kastanienkaffee.
«Ich geh Kaffee kochen!», versprach sie und verschwand eilends.
Wanninger sah ihr nach. «Wahrscheinlich kocht dieser Rühhoff auch den besten Kaffee der Welt.»
Popp nickte düster. «Und wenn er Fußball spielen würde, wäre er wahrscheinlich der erste, dem zwanzig Treffer in einem Spiel gelängen.»
Krawuttke kochte noch fürchterlicher. Eine schwangere Vögelin, welcher im Fluge ein Ei aus dem Bauch fiele, und die mitansehen müsste, wie dieses Ei auf Krawuttkes Glatze landete, hätte zu registrieren, dass dieses Ei binnen weniger Sekunden verbrutzelte. Leider kreiste gerade keine schwangere Vögelin über Krawuttkes Glatze.
Doch etwas anderes kreiste. Eine böse Vorahnung. Das konnte nicht gut enden - und das würde nicht gut enden.
Zitat des Tages
«Man kann von Messerwerfern natürlich keine Nachsicht erwarten, das Messerwerfen ist ihr Geschäft»
(Raymond Chandler)
This day in crime history:
Song des Tages
Reinhard Mey: Kaspar
»Wir suchten, und wir fanden ihn auf dem Pfad bei dem Feld,
Der Neuschnee wehte über ihn, sein Gesicht war entstellt.
Die Augen angstvoll aufgerissen,
Sein Hemd war blutig und zerrissen.
Erstochen hatten sie ihn, dort am Üttinger Feld!«