Voller Stolz erinnerte sich Lamm, wie er einst, in den sechziger Jahren, Herrn Andy Warhol und Herrn Joseph Beuys angeschrieben hatte und gebeten, die bis dato gebräuchlichen Kaninchenställe auf den aktuellen Stand der modernen Kunst zu bringen. Herr Beuys hatte sogleich eine Umstellung des Materials von Holz auf Filz angeregt und Herr Warhol inspirierte dazu, die Wände der Ställe mit den verfremdeten Darstellungen bekannter Filmstars oder Getränkemarken zu verschönern. Zwar war das Projekt nicht verwirklicht worden, doch hatte die Lamm'sche Initiative für gehobene Aufmerksamkeit in der lokalen Presse gesorgt, wo man Lamm «den Michelangelo des Kaninchenstalls» titulierte, eine zwar leicht gewagte Benennung, doch fiel sie bei Lamm auf fruchtbaren Boden, weckte in ihm so etwas wie Stolz und festigte seine Beharrlichkeit.
Auch an diesem nasskalten Abend hoffte der rührige Vorsitzende auf die Anwesenheit des hiesigen Lokalredakteurs, stand doch ein – wie man in der Kaninchenzüchterbranche sagt – Spitzenevent ins Haus. Das Literarische Trio, ergo die drei Leibhaftigen der deutschen Buchkritik, hatte man für eine Veranstaltung gewinnen können, voran der alte Mutschler-Radutzky, dieser in welkes Fleisch gehauene Fluch des Herrn, gefolgt von Hartmut Mullwitz, dem Hamsterbackenträger und allmedialen Intelligenzersatz, schließlich SIE, Frau Sieglinde Zitter aus Wien, the sexiest woman of the literary trio, wie kein Geringerer als Ernest Hemingway ausgerufen hätte, wäre ihm eine gnädige Schrotladung nicht zuvorgekommen.
Mit diesem – wie man in der Kaninchenzüchterbranche sagt – Megatopevent hatte es eine besondere Bewandtnis. Höchst interessiert hatte Lamm aus diversen Pressepublikationen zur Kenntnis genommen, Kühe gäben mehr Milch, so man ihnen die Ohren mit klassischer Musik beschalle. Nun gaben Kaninchen keine Milch; jedenfalls dem Lamm nicht. Jedoch, so dachte sich der clevere Mann, dürften Kaninchen, die man mit klassischen Wörtern beschallt, ein dichteres Fell bekommen, leuchtendere Augen und, wer weiß, gar an Gewicht zulegen, auf dass sie bei den jährlichen Prämierungswettbewerben alle Konkurrenz hinter sich ließen und der Ruhm des Hamburg-Harburger Kaninchens um die Welt gehe wie ein mit Überschallgeschwindigkeit aus einem fetten Hintern entwichener Furz.
Und so standen, in Reih und Glied, die Ställe der Weißen Riesen, der Nordthüringischen Kurzhaarrammler, der Blauen Langbeinhüpfer und wie sie alle heißen, standen da und warteten auf Erscheinen und Loslegen der großen Drei.
An menschlichem Publikum waren, neben Lamm, zugegen: der Hallenwart Krause, ein halbblinder Rentner, der das Lesen der Zahlen auf Geldscheinen für Kultur hielt; das Servierfräulein Heike Fröhlich, dem der wracktale Mullwitz einen Blick zuwarf, wie noch niemals einer dem Fräulein Fröhlich einen Blick zugeworfen; der Lokalreporter Hummlig, dessen Reportagen zuverlässig mit dem Satz «Man war völlig baff!» begannen; der Quartalstrinker und das Steckenpferd der Kinderschändung reitende Robert Adam, welcher jedoch, kaum dass er seines Irrtums einsichtig geworden, die Veranstaltung verließ und den nächsten Kinderschänderstammtisch aufsuchte.
Im Vorfeld des – wie man in Kaninchenzüchterkreisen raunt – hammergeilen Events hatten sich Lamm und die drei heiligen Kritiker auf ein Generalthema zu einigen gehabt, das dem Anlass angemessen sein sollte und kulturhaltig genug, den Lokalreporter Hummlig baff zu machen. Mutschler-Radutzky schlug «Die Rolle des Kaninchens in der deutschen Nachkriegsliteratur» vor, musste aber von Zitter dahingehend belehrt werden, außer in einer Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert sei weit und breit nicht die Rede von Kaninchen. Mullwitz hatte schließlich den rettenden Einfall, und so einigte man sich auf das Thema «Hatte Rainer Maria Rilke eine Hasenscharte und welchen Stellenwert für sein episches Werk hatte diese?»
Unter dem spärlichen Applaus von kaum zehn Händen, indes wenigstens dem erwartungsvollen Gemümmel der Stücker zweihundert anwesenden Kaninchen, betraten die drei die Bühne, setzten sich auf ihre Stühle und räusperten sich bezwecks Gedankensammlung. Mullwitz schaute nervös auf seine Armbanduhr und hoffte, diese – wie man in Mullwitzkreisen sagte – saublöde Dorfmucke dauere nicht allzu lange. Er musste gleich weiter nach Lübeck zur Wahl der «Miss Tom Mann» (die Siegerin erhielt eine Einladung zur Wahl der «Miss World Literature») und, morgen in aller Frühe, nach Köln zur Aufzeichnung des neuen RTL-Highlights «Deutsches Dummbeutel-Duell«.
Wie immer setzte Mutschler-Radutzky mit einer furiosen Provokation das Gespräch in Gang. «Ist es nicht seltsam, dass bei Rilke sich das Wort Speckschwarte nicht auf Hasenscharte reimt, sondern auf Sternwarte? So wie in dem berühmten frühen Gedicht ‚Ode an die Ringelblume', wo es heißt: ‚Auf der blonden Ackerkrume / steht die stolze Ringelblume. / Zuzzelt an des Speckes Schwarte / Draußen vor der Sternenwarte.' Ich frage Sie: Ist das nicht skandalös?»
Auftritt Zitter, die pikiert ihre Brille putzt: «Das ist wieder einmal typisch, Herr Mutschler-Radutzky! Sie können noch nicht einmal richtig zitieren! Es heißt korrekt: ‚Draußen auf der Ackerkrume / blüht die alte Ringelblume. / Blank wie 'ne Speckschwarte / Ich hab 'ne Hasenscharte.' Das ist doch der Beweis!»
Das daraufhin von Mullwitz kräftig und rein dialektisch in die Runde geworfene «Scheiße!» vermochte die Augendeckel der Zuhörer nur für den Bruchteil einer Sekunde zu heben. Die Kaninchen hatten sich in die hintersten Ecken ihrer Ställe verkrochen und träumten von einer Karriere als Hasenpfeffer. Die menschlichen Gäste wälzten sich mehr oder weniger schnarchend in heißen Träumen von Stränden, Frauen und Flaschenbier. Nur das Fräulein Fröhlich hielt ein wachsames Auge auf die Gläser der Diskutanten, denn Lamm hatte ihr eingeschärft, niemals ein Glas länger als fünf Sekunden leer zu lassen.
Fräulein Fröhlich füllte also die Gläser, und sie tat dies mit besonderer Freude. Hatte ihr doch dieser nette Weinvertreter heute Morgen einen ganz besonderen Tropfen empfohlen und auch gleich etliche Dutzend Flaschen des göttlichen Gesöffs zum Freundschaftspreis dagelassen. «Das ist ein Superwein, Madame! Genau passend für dieses, wie wir in der Rebenbranche sagen, prickelnde Event!» Und tatsächlich schien er den Stargästen zu munden, während sich die Zuhörer in den seltenen Momenten ihrer Schlaflosigkeit an heimischen Bieren labten.
Diesen seltenen Momenten ist es zu danken, dass die folgenden, sehr dramatischen Ereignisse der Nachwelt übermittelt werden konnten. Lamm, aus sanftem Schlummer erwacht, dachte, es sei Zeit, sich von der Wirkung des Dauergespräches auf die aufmerksam lauschenden Langohren zu überzeugen. Vorsichtig inspizierte er die Käfige und, siehe, das Fell der Tiere schien dichter, ihre Ohren spitzer, ihre Augen wacher und ihr Gewicht beträchtlich über dem vor einer Stunde. Dankbar blickte Lamm zum Podium, und wir sind Lamm für diesen Blick dankbar. Doch hören wir selbst, was er bei seiner späteren Zeugenaussage zu berichten hatte:
«Also, Herr Inspektor, es war so: Ich warf einen dankbaren Blick zum Podium, wo gerade, glaube ich, der Herr Mullwitz den Herrn Mutschler-Radutzky am Revers packt und durchschüttelt, weil der Herr Mutschler-Radutzky einen Herrn Rilke – er kann auch Muxenschrader heißen, ich kenne den Herrn nicht – 'großes Hasenschartengesicht' genannt hat. Tja, und da sinkt plötzlich der Herr Mullwitz auf seinen Stuhl zurück, und auch die Frau Zitter und Mutschler-Radutzky sitzen so komisch auf ihren Stühlen, und wie auf Kommando öffnen sie jetzt alle drei ihre Münder, und, ich schwör's, es ist keine Einbildung, in allen drei Mündern, hinten, wo es zum Rachen runter geht, da kommen auf einmal Stichflammen, nur ganz kurz, aber man kann sie nicht übersehen, ja, und als man die Flammen nicht mehr sieht, da kommt jeweils ein kleines Rauchwölkchen aus den Mündern, die halt noch immer offen sind. Aber die Haare erst, mein Lieber! Beim Mutschler-Radutzky hat man ja nicht so viel gesehen, und dem Herrn Mullwitz ist sofort das Toupet weggeflogen. Aber bei der Zitter! Alle ihre Haare richteten sich plötzlich kerzengerade auf, wie... Na, Sie wissen schon. Und die Gesichter werden ganz dunkel, wie angesengt, und die Backen – mei, was hatten doch alle drei prächtige Backen, so voll und gesund! – diese Backen fallen in sich zusammen. Hm. Ich bin kein Experte für so etwas, Herr Inspektor, aber mir ist vor Jahren mal ein Fernseher implodiert, und wenn ich sagen sollte, an was mich die Geschichte erinnert, dann würde ich sagen: an drei implodierende Fernseher, wo die Bildröhren verrecken.»
Das aufgelöste Fräulein Fröhlich, welches die ganze Zeit mit einer paraten Flasche Wein hinter den Dreien gestanden hatte, konnte diese Aussage Lamms weder bestätigen noch dementieren. Es habe nur plötzlich prekär gerochen, wie wenn Speck in der Pfanne anbrenne, und dann seien die Köpfe der berühmten Redner nach vorne auf die Tischplatte gefallen, es hätte einen furchtbaren Bums gegeben, alle Zuhörer seien aufgewacht, und die Kaninchen hätten sehr nervös gemümmelt.
So endete die Karriere des literarischen Trios, eines Stücks peinlichster Fernsehgeschichte, mit jenem nach innen gerichteten, man möchte sagen introspektiven Knall der Köpfe.
Zitat des Tages
»Ein Star zu sein ermöglichte es mir, an Orten beleidigt zu werden, wo der durchschnittliche Neger niemals hoffen konnte, beleidigt zu werden.«
(Sammy Davis jr.)
This day in crime history:
1989 starb der französische Regisseur Bernard Blier ("Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh").
Song des Tages
Boomtown Rats: I don't like Mondays
»Tell me why.
I Dont't like Mondays.
I want to shoot.
The whole day down.«