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Claes Holmström

My Generation

(Aufbau)

Soll man versuchen, auf Züge aufzuspringen, die gemächlich auf dem Weg zur Endstation sind, oder soll man nicht lieber gleich einen anderen Weg einschlagen? Philosophische Fragen, kryptischen Inhalts, die man besser nach einigen Bieren in der Kneipe klären sollte, wenn der Alkohol seine Wirkung tut und Plattitüden zu Wahrheit werden läßt. Aber nicht, wenn man ein druckfrisches Buch in Händen hält. Und doch, genau da habe ich mir diese Frage gestellt. Die Ursache allen Grübelns: Neben CLAES HOLMSTRÖM und MY GENERATION prangte auf dem Cover noch ein elliptisches Etikett mit der Information "Der Roman der europäischen Generation X". Ein Prädikat, das einen 1996 ins Grübeln kommen läßt.

Auch wenn sich SPEX, das Magazin für Überinterpretation und Schlaumeierei, mittlerweile von Douglas Couplands GENERATION X distanziert - nachdem sie jahrelang versucht haben, das Buch im spexeigenen Vertrieb strictly business unters Volk zu bringen - hat der kanadische Newcomer dennoch einen literarischen Markstein gesetzt, über den nicht nur seine Leser gestolpert sind und ihr Hoppla-Erlebnis hatten, sondern die gesamte Kulturbranche. Und nicht zuletzt auch die Industrie. Von daher erinnerte mich der besagte Aufkleber an die Trittbrettfahrerei der Marken mit den zwei oder vier Streifen auf den Turnschuhen. Das Schlimmste kam aber noch. Der Aufkleber war bei genauerem Betasten gar keiner; das Ding war aufgedruckt und ließ sich nicht einmal abpopeln. Und diesen Wunsch verspürte ich inbrünstig, nachdem ich über 400 Seiten lang am Leben der Hauptfigur Jimmi als stiller Beobachter teilgenommen hatte.

Jimmi, notorisch arbeitsscheu schleppte mich ins Sozialamt, um Stütze lockerzumachen, auf Partys, um Mädchen abzuschleppen, rumzulabern und Spaß zu haben. Ich hing mit ihm vor der ständig flimmernden Glotze rum und beobachtete ihn wie er VJ Kristiane Backer (MTV hab sie selig) anhimmelt, wie er unsägliche sozialkritische Popsongs in der Tradition von Tom Waits komponiert und sich für einen zweiten Kurt Cobain hält - Immer große Klappe nichts dahinter. Jimmi ist ein schnoddriges Unikum auf der einen Seite, auf der anderen ist er eine Chiffre für all die Typen, deren Wirklichkeitswahrnehmung nachhaltig durch MTV und Popkultur nachhaltig gelitten hat und die man im näheren Bekanntenkreis zu Hauf finden kann. HOLMSTRÖM schreibt, das nimmt man ihm auf Anhieb ab, von etwas was er kennt. Dementsprechend hat MY GENERATION ein Prädikat verdient, das Literatur selten genug in Anspruch nehmen kann: authentisch.

Diese leidige Etikettenhuberei ist wirklich der einzige dunkle (eigentlich: violette) Fleck auf diesem rasanten, irrwitzigen, verdrehten, banalen und treffsicheren Buch, das mehr Leser verdient als Rosamund Pilcher und Arno Schmitt zusammen. Wenn man schon Parallelen ziehen will, dann nicht zu Douglas Coupland und seiner GENERATION X, sondern zu den Beats, die das nervös hippelige, fatalistische Spaß-Haben-Wollen, das Jimmi verkörpert vor der Geräuschkulisse des hitzigen, peitschenden Bebop gelebt und beschrieben haben. Claes Holmströms MY GENERATION ist das zeitgemäße Update von Kerouacs ON THE ROAD, auf das wir so lange gewartet haben.

Nachtrag:

ELLE, Europas führende Fachzeitschrift für Mode und Verzweiflung, hat in der Januar-Ausgabe ein Beat-Revival für das Jahr 1996 diagnostiziert. Vielleicht hat sie recht und CLAES HOLMSTRÖM ist einer der neuen jungen Wilden? Sei's drum!

(th)

Claes Holmström
MY GENERATION
Aufbau Taschenbuch Verlag 16,90 DM
ISBN 3-7466-1140-7



Unsäglicher sozialkritischer Popsong

Ein Schwede verkleidet als Bruder Tuck
sitzt fünf Tage lang in einem Truck,
will sich Schuhe kaufen für ein paar Buck,
und als die Arbeit endlich vorbei ist,
wirft er Darts bis es halb drei ist,
und jemand fragt: "Bist du gleich der Killer?"
Und nach dem Bier sieht er sich dann
die Leute in der Kneipe an,
wirft Pfeile auf sie und stürzt hinaus,
sieht draußen ein Auto, das sieht offen aus,
er haut damit ab und ist ziemlich auf Trab,
brettert in einen Gemüseladen,
das Auto fängt Feuer, und auch er kommt zu Schaden,
seinen Truck wird er wohl nie wieder beladen.

Die Vorstadtbande sitzt bei der U-Bahn,
pöbelt alles, was hier vorbeikommt an,
dann rennen sie in den nächsten Zug,
zerschneiden die Sitze, dann haben sie genug,
Hector tanzt auf den Zehenspitzen,
hinterläßt bunte Schnörkel auf den Sitzen,
In der Innenstadt steigen sie alle aus,
jetzt wollen sie ein Leben in Saus und Braus,
und vor dem Bahnhof auf seinem Thron
sitzt der König der City, und einer namens Jon
verspricht, ihn bald vom Thron zu stürzen
und ihm die Extremitäten zu verkürzen,
und um Mitternacht greift er zu seinem Dolch,
weg mit dem König, dem alten Molch,
leider kommt gerade die Polizei
und mit dem Königsmord ist es vorbei.

Amischlitten gurken herum,
an der Ampel wartet das Publikum,
rot heißt Stehenbleiben, grün heißt los
und an der Ampel steht auch ein Matros,
er fragt eine Frau nach ihrem Namen,
und als nächstes hängt sie in seinen Armen.
Ola lungert in der Kungsgata rum,
schaut sich nervös nach allen Seiten um.
Der Sturm tobt, der Regen rauscht,
Ola blutet nach einem Schlagabtausch,
doch niemand sieht, wie sein Blut jetzt spritzt
ein Messer hat ihm den Bauch aufgeschlitzt,
er bricht zusammen und kann nur noch sagen,
bitte, holt einen Krankenwagen.

©: Claes Holmström & Aufbau Taschenbuch Verlag

COVER VON MY GENERATION