Interview: Aeronauten

Intelligente Soulband?

Als letztlich die Aeronauten, eine erklärte Lieblingsband von Hinter-Net! und Hinternet-Radio, in unserer Hometown aufspielten und sich trotzdem kein Mitarbeiter fand, der die Band interviewen wollte, zwangsverpflichtete die Chefredaktion kurzerhand die Jungs der Vorband Clipper (eine der saarländischen Hoffnungen), das Gespräch mit den Aeronauten (hier vertreten durch Frontmann Olifr M. Guz und Bassist Hipp Mathis) zu suchen. Hier das Ergebnis:

Hinternet: Mit eurer neuen Platte „Honolulu“ seid ihr im Moment ja ziemlich stark in den Medien präsent. Habt ihr dadurch irgendwelche Veränderungen im Vergleich zu früheren Tourneen festgestellt ?

Olifr: Es kommen mehr Leute, und mehr Leute kennen die Platte schon. Das ist eigentlich erstaunlich, weil es bisher immer so war, daß die Leute nur ältere Stücke gut fanden, wenn wir eine neue Platte herausgebracht haben. Da hat man dann die neuen Lieder gespielt, und alle dachten sich, „Ach, was ist das denn jetzt? Das muß wohl von der neuen Platte sein“. Aber jetzt kommt es schon ab und zu vor, daß die Leute bei Stücken von der neuen Platte mitsingen und ähnlicher Spaß aufkommt wie bei älteren Liedern. Und das find‘ ich eigentlich ziemlich klasse. Aber bei uns geht ja nie was schnell. Also es ist so: wir machen immer Statistiken, und als wir das letzte mal gespielt haben, da kamen so ca. 140 Leute, und jetzt haben wir es auf 220 im Schnitt gebracht. Das find‘ ich doch schon ganz o.k.

Hinternet: Wenn wir gerade beim Publikum sind. Wie sieht’s denn damit in der Schweiz aus? Und wie ist das denn in der Schweiz überhaupt mit Bands und so? Gibt’s da ’ne starke Szene?

Olifr: ‚Ne Szene gibt’s schon, aber die ist nicht stark. Ich glaub‘ es läuft dort viel mehr über Radio und Fernsehen. Wenn man da drin ist, dann geigt das schon. Aber andersrum denk ich mir, daß hier in Deutschland viel mehr über Fanzines und Mundpropaganda läuft. Das fehlt eigentlich in der Schweiz. Wenn du dort in der Zeitung drin bist oder im Radio läufst, dann ist die Bude voll. Sobald das nicht mehr der Fall ist, ist nichts mehr los. Ich mein‘ es ist eigentlich schon viel los, aber ich denk‘ mir es ist vielleicht doch fast zuviel los da, so daß eine gewisse Ermüdung Livemusik gegenüber festzustellen ist. Aber das ist eigentlich auch ganz o.k., weil es ja auch eigentlich immer wieder dasselbe ist.

Hinternet: Ich kann mir vorstellen, daß es in der Schweiz leichter ist, bekannt zu werden, weil die Schweiz flächenmäßig nicht so groß ist, und weil weniger Konkurrenz da ist.

Hipp: Nein, viel schwieriger! Bis zu einem gewissen Punkt ist es zwar leichter Konzerte zu kriegen, aber es ist in der Schweiz z.B. gang und gäbe alles so ein bißchen einzumitten. Mythen werden nicht unbedingt so geschürt wie in Deutschland, d.h. die Leute finden z.B. DJ Bobo schon ganz gut, aber gleichzeitig denken sie, daß der halt auch nur ein Mensch ist, und daß das jetzt gerade Zufall war, daß der da in so ’ne Marktlücke reingepaßt hat. Da wird nicht so viel aufgepumpt, also da wird mehr auf Realismus gemacht.

Hinternet: Dieses „Startum“ gibt’s dort wohl nicht so ?

Hipp: Viel weniger. Es hat wohl auch zu wenig Leute, um das zu stützen. Rein von der Bevölkerung her sind’s halt wenig.

Olifr: Es ist wahrscheinlich auch so, daß viele Leute sich mehr nach Amerika oder dem Ausland überhaupt orientieren. Und, ja, wenn man’s da mal irgendwohin gebracht hat, eben Dj Bobo, Krokus, Yello, dann geht das auch zu Hause. Aber vorher ist immer so ein Mißtrauen da, so „na ja, die sind halt aus Burgdorf“, und die andern kommen aus Langenthal oder so, und dann denkt man sich, „na ja, das is‘ halt irgendso’n Kram“.

Hinternet: Da fällt mir ein, daß eure neue Platte meiner Meinung nach, im positiven Sinne, professioneller und glatter produziert ist als „Jetzt Musik“, und damit auch radiokompatibler als eure bisherigen Aufnahmen ist. War das dann vielleicht eine bewußte Entscheidung so ’ne Produktion zu machen, um auch mal im Radio den Durchbruch zu schaffen?
(Kurzes erstauntes Schweigen)

Hipp: Es hat sicher damit zu tun, daß wir in Hamburg aufgenommen und auch abgemischt haben.

Hinternet: Hängt das vielleicht auch damit zusammen, daß Chris von Rautenkranz diesesmal Produzent war?

Hipp: Hmh, also der hat halt auch schon eher Sachen in diese Richtung gemacht. Aber nein, ’ne bewußte Entscheidung war das auf keinen Fall. Das hat sich einfach so ergeben.

Olifr: Das war unsere kürzeste Produktion bis jetzt. Zwei Wochen, da war das Ding drin.

Hinternet: Tja… (Gelächter)

Olifr: Aber es ist auch das erste mal gewesen, daß wir woanders aufgenommen haben als zu Hause.

Hinternet: Ihr lebt zwar in der Schweiz, aber fühlt ihr euch dennoch zur Hamburger Szene zugehörig, oder ist das für euch einfach nur ’ne Möglichkeit Platten zu veröffentlichen und ’nen größeren Bekanntheitsgrad zu erreichen?

Olifr: Nee, also ich zähl‘ mich nicht zur Hamburger Szene, obwohl das von außen natürlich so aussieht. Und ich hab‘ auch kein Problem damit. Und wir kennen uns ja auch alle da, und wir sind ja auch alle o.k. Aber da ich die Musik ja selber mach‘, brauch‘ ich mich sowieso nirgends einzuordnen. Das ist eh nicht mein Job, das muß jemand anderes machen.

Hinternet: Seht ihr euch in der Tradition von anderen Bands oder bestimmten Musikstilen in dem Sinne, daß ihr ein bestimmtes Image aufbauen wollt, oder ist für euch nur der Spaß an der Musik wichtig?

Hipp: Ich habe mir selbst nie richtig Gedanken darüber gemacht. Aber wenn ich mir das von außen so ansehe – also wir haben nicht die neuesten Instrumente, oder wir haben nicht einen ‚Nightliner‘, so ’nen riesengroßen Bus, sondern wir haben ’nen kleinen Bus…Also unsere Maxime ist eigentlich mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Ertrag einzuspielen (lacht).

Hinternet: Mich interessiert folgendes: ich hab in eurer Homepage etwas gelesen über ’ne schlechte Erfahrung bei eurer letzten Tour, wo jemand aus dem Publikum gesagt hatte, daß dieses Rock-Ding irgendwie überholt wäre. Was sagt ihr dazu und welches Verhältnis habt ihr zu Progressivität?

Hipp: Ich bin total offen. Und das öffnet sich bei uns im Moment sehr, was andere Musikstile angeht. Wenn wir in den Übungsraum gehen und einfach ’ne Stunde losspielen, dann sind da ganz viele verschiedene Stile dabei. Im Moment geht es auch Richtung meditative Sachen, also Schlagzeug/Bass-orientierte Sachen, weniger Gitarre, mehr Orgel, mehr Bläser, mehr Stimmung, mehr Musik als Text.

Hinternet: Mir fällt auch auf, daß viele verschiedene Musikstile auf euren beiden letzten Platten drauf sind, also mal Country, dann mal ruhigere Sachen, dann Rock im weitesten Sinne, oder auch mal Ska. Passiert das bewußt, mit dem Ziel sich nicht zu oft zu wiederholen und ein bißchen Abwechslung reinzubringen, oder ist das eher Zufall?

Olifr: Beides. Wir hören ja alle ganz verschiedene Musik, also jeder einzelne hört auch ganz verschiedene Musik, nicht nur jeder für sich. Und man probiert im Übungsraum aus, was geht. Ich mein‘ bunte Platten zu machen ist eigentlich schon ein Ziel. Es geht nicht darum, homogene Klötze zu produzieren.

Hinternet: Würdet ihr eure Musik als progressiv bezeichnen?

Olifr: Hmh…doch, ja (überlegt).

Hinternet: Inwiefern?

Olifr: Inwiefern kann ich dir jetzt gerade nicht sagen. Aber ich kann dir nur sagen, daß ‚Honululu‘ 1985 nicht möglich gewesen wäre.

Hinternet: Wieso?

Olifr: Weil man merkt, daß das, was gespielt wird zwar im weitesten Sinne traditionell ist, aber ich glaub‘ auch wenn ich jetzt nichts damit zu tun hätte, würde ich merken, daß da irgendein größerer Hintergrund dahinter steht, als das, was jetzt gerade gespielt wird.

Hinternet: Musik mit doppeltem Boden, oder wie?

Olifr: Mit doppeltem Boden?…Also nicht in dem Sinn, daß man unsicher ist, sondern in dem Sinn, daß man einfach mehr weiß und sich nicht vor Ecken scheut, also vor Bezeichnungen oder irgendso einem Scheiß. In den achtziger Jahren war es ja so: man hat irgendwie Punk gespielt, und dann war es super verboten Folk oder Jazz oder irgendso etwas noch überhaupt von weitem im Auto zu hören. Es ist schön, daß diese Zeiten vorbei sind.

Hinternet: Wie groß ist die Toleranz anderen Musikrichtungen gegenüber?

Olifr: Solang es einem gefällt. Musik geht ja irgendwo immer ins Herz. Und solang das passiert,…

Hipp: …kann gar nichts schiefgehen. Wenn einen das berührt, dann ist es o.k. Ob Easy Listening oder Hardcore, das ist mir inzwischen wirklich einfach egal. Das ist einfach nicht mehr wichtig. Es muß einen ansprechen.

Hinternet: Also mehr Musik aus dem Bauch ‚raus. Bei uns ist es z.B. oft so, daß wir mehr Musik aus dem Kopf machen, und das mit dem Bauch kommt immer erst später dazu.

Hipp: Genau, bei euch z.B. passt die Musik oft sehr gut auf den Text. Und das ist es ja eben auch, daß man Kopf und Bauch, oder wie man denn sagen will, zusammenspielen läßt. Der Bauch unterstützt den Kopf, oder der Kopf unterstützt den Bauch.

Hinternet: So ist es bei uns auch: das Lied entsteht im Kopf, und dann kommt irgendwann der Moment, in dem es rockt und dann tierisch viel Spaß macht. Und dann ist das Lied für uns perfekt.

Hipp: Ja, ich find‘ das genau richtig. Also wenn man nur aus dem Bauch spielt, dann kann das gerne in so ein Gesülze abdriften, und wenn es nur vom Kopf kommt, dann ist es vielleicht zu intellektuell. Ich find‘ beides sehr wichtig, und bei unseren Konzerten ist es eben auch meistens so, daß es Party ist, aber ohne das Hirn abzustellen.

Olifr: Ja, ich hab‘ schon oft das Gefühl, daß wenn ich uns sehen würde, würde ich mir denken, daß ist ’ne intelligente Soul-Band im weitesten Sinne.

Hinternet: Eine Frage zu euren Texten: Ist zuerst der Text da oder die Musik? Und haben die Texte immer einen realen Anlaß oder soll es manchmal einfach nur gut klingen? Ich denke z.B. an einen Text wie ‚Früh/Spät‘.

Olifr: Klingt das so, als müßte es einfach nur gut klingen?

Hinternet: Ich finde, daß das manchmal verdammt cool klingt, im positiven Sinne (verlegenes Lachen).

Olifr: Nee, also der Text hat schon realen Anlaß, aber ist natürlich übersetzt, also es ist nicht genauso wie das dann gesungen ist. Aber der kommt aus „Echt“-Leben.

Hinternet: Und sind die Texte zuerst da oder die Musik?

Olifr: Es sind schon oft auch die Texte zuerst da, aber die Musik, die ich mir mal ursprünglich so ausgedacht hatte, wird dann meistens in den Mülleimer geschmissen.

Hinternet: Abschlußfrage: Deutschsprachiger Rap ist ja massenkompatibel geworden. Glaubt ihr, daß die deutschsprachige Rockmusik jenseits von Grönemeyer und Konsorten einen ähnlichen Durchbruch schaffen kann, oder hat sie ihren Zenith mit dem vorübergehenden Aufkommen der Hamburger Schule überschritten?

Olifr: Ich denk‘ mir, es geht darum, daß immer mehr Leute sich daran gewöhnen, daß man deutsch singen kann, oder in der Sprache singen kann, in der man auch denkt. Vor 15 Jahren war das etwas total Abartiges, etwas Merkwürdiges und so, weil die Leute damals mit Rolling Stones, mit Beatles, oder irgendsolchen Sachen aufgewachsen sind. Und je mehr Leute mit Sterne, Tocotronic, mit weiß ich auch nicht was, was eben deutsch singt aufwachsen oder sich damit sozialisieren, desto normaler wird das werden. Und gute Musik bleibt immer gute Musik, und schlechte Musik bleibt auch immer schlechte Musik.

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