Fink – Fließen lassen

Country oder nicht. Nach drei CDs sind Fink zur beliebtesten deutschen Band im Hinternet-Hauptquartier aufgestiegen. Höchste Zeit also für ein Interview mit Nils Koppruch und Co. Ein Gespräch über Polkas, Eselsgebisse und Küchenkonzerte.

Hinter-Net!: Wie sehen eigentlich die Anfänge von Fink aus? Ihr habt Euch 1996 formiert. Aber woraus?

Nils: Wir waren zwei Leute, die gerade aus einer Band ausgestiegen sind und was anderes machen wollten. Ohne großen Ehrgeiz, das als richtige Band zu betreiben. Zum Rest sind wir durch superviele Zufälle gekommen. Hauke war eigentlich Gitarrist bei ´ner Band namens „Huah“. Wir hatten ihn gefragt, ob er Lust hätte, mal zu trommeln, und so ist er dazugekommen. Am Bass hatten wir verschiedene Leute, meist Freunde, haben aber schnell gemerkt: Wenn man kontinuierlich arbeiten will, ist es wichtig, dass man eine feste kreative Gruppe hat. Der musikalische Hintergrund war immer ein sehr unterschiedlicher, das ist jetzt auch noch so.

Hinter-Net!: Wie sehen die unterschiedlichen musikalischen Vorlieben der einzelnen Fink-Mitglieder aus?

Andreas: Nils ist ein großer Bob Dylan-Fan und hat sich viel mit früher amerikanischer Volksmusik beschäftigt. Ich bin eher so´n alter Experimental-Rocker. Ich mag Can gern, finde aber auch Volksmusik gut. Keine deutsche, sondern internationale. Sibirische Schamanen-Musik oder Gamelan-Orchester aus Indonesien… Dinesh hat vorher bei der Nationalgalerie gespielt, das war Rock, und Henning hat früher mal bei der Hamburger Band Concord getrommelt, die machen Experimental-Pop. Er frickelt aber auch viel zu Hause rum, mit ´nem Vierspurgerät, und schreibt so Minimal-Pop-Geschichten. Insgesamt gibt´s bei uns viele Einflüsse, nicht nur Rockmusik. Ich hab früher viel Jazz gespielt, und Henning ist auch ein guter Jazz-Trommler.

Nils: Ich hab mich eine Weile sehr mit US-amerikanischer Country-Musik befasst. Das kann man auf der ersten Platte schon sehr konkret nachhören. Mich hat aber nicht das interessiert, was man so vermeintlich kennt, sondern das, was noch früher passiert ist, in den 30-er und 40er-Jahren. Eigentlich hatte ich mit Country-Musik gar nichts zu tun und fand das auch ganz furchtbar reaktionär und weiß und doof. Drauf gekommen bin ich dann über Bands, die ich für sehr innovativ hielt, wie Giant Sand und den sogenannten Cow-Punk. Ich glaub, sowas gibt´s gar nicht mehr, Blood on the saddle zum Beispiel. Ich hab mich gefragt, wo haben die Leute das eigentlich her, und hab dann angefangen zu forschen. Vom Ergebnis war ich superfasziniert. Aber bei der zweiten Platte war das schon: Okay, wir haben jetzt das gemacht, es hat uns niemand ausgelacht dafür, jetzt wollen wir das Feld musikalisch weiter öffnen. Wir verstehen uns nicht als Genre-Musiker, sondern da der musikalische Hintergrund schon recht unterschiedlich ist und wir doch ´ne relativ demokratisch funktionierende Band sind, ist es wichtig, dass sich jeder einbringen kann. Was uns gemeinsam ist, sind eher so merkwürdigere Sachen.

Hinter-Net!: Konkret?

Nils: Ich kann das nicht richtig beschreiben, aber interessant sind zum Beispiel so archaische Sachen. Zum Beispiel: Lass uns doch mal ´ne Polka machen, und zwar so, dass wir glauben, das wär auch noch Popmusik.

Hinter-Net!: Wenn Ihr solch großen Wert darauf legt, Euch musikalisch immer weiter zu öffen, was hat man dann als Nächstes von Euch zu erwarten?

Andreas: Uns interessiert, Songs zu schreiben, ohne explizit Songs zu machen. Das heißt, dass man die Musik einfach mal fließen lässt und nicht in irgendwelchen veralteten Songstrukturen kleben bleibt, aber dass trotzdem keine Improvisationsmusik entsteht, wo ein Stück auf der CD 72 Minuten lang ist, sondern schon mit einzelnen Songs.

Nils: Aber das ist keine Latte, an der man sich abarbeitet, sondern das zeigt sich erst, wenn wir anfangen zu arbeiten. Es spricht auch nichts dagegen, einen Song mit ´ner veralteten Songstruktur zu machen. Die Aufgabe stellt sich am einzelnen Lied, oder es ist eine konzeptionelle Idee. Wir sind zum Beispiel extreme Saxophonhasser, da könnte man sich zur Aufgabe machen, mal was Vernünftiges mit einem Saxophon zu machen. Aber es gibt keinen Masterplan, der festlegt, was wir machen wollen. Außerdem ist man als Musikant und Künstler überhaupt bemüht, dass man sich nicht wiederholt.

Hinter-Net!: Mit dem Country-Etikett, das Euch oft aufgeklebt wird, habt Ihr ziemliche Probleme, oder?

Nils: Ja, weil wir uns eben nicht als Genremusiker verstehen. Leute, die jetzt als erstes die Mondscheiner-Platte hören, würden uns nicht mit Country in Verbindung bringen, wenn die nicht irgendwo gelesen hätten, dass Fink mit Country spielen. Es gibt wohl ein, zwei Titel, wo das rauszuhören ist, aber von der Mehrzahl her würde niemand drauf kommen, dass das was mit Country zu tun hat.

Hinter-Net!: Euer Album „Mondscheiner“ klingt ganz anders als der Vorgänger „Loch in der Welt“. Holprig, folkig und auch chansonesk. Manchmal scheint es, als würdet Ihr Eure Texte regelrecht inszenieren und ihnen die Musik stärker auf den Leib schneidern als früher.

Nils: Nein, das seh ich nicht so. Sie sind nur anders gemacht als auf den anderen Platten. Hier versuch ich, Charaktere darüber darzustellen, wie sie erzählen. Ich sag nicht, der-und-der tut dies-und-das, und daran kann dann irgendjemand merken, was für ein komischer Vogel das ist, sondern ich lasse den Ich-Erzähler des Stückes erzählen. Im Prinzip eine literarische Herangehensweise, die auf den andern Platten nicht so stark war. Es war eine andere Erzählweise, aber die Texte waren nie nur Beigabe.

Hinter-Net!: Musikalisch seid Ihr auf der Mondscheiner sehr vielschichtig: Rock, Country, Folk, Chanson und Blues.

Nils: Blues ist ja eigentlich auch so´n böses Wort wie Country. Und es ist sicherlich ein Wagnis, wenn man sich wie wir von Anfang an über bestimmte Sachen einfach hinwegsetzt und sagt: Lass uns was machen, was nicht dem Klischee entspricht. Das Ding muß an sich funktionieren, ohne dass das einen Namen bekommt. Und hinterher kommt jemand und sagt „Ah, das hört sich bluesig an, aber ich find´s nicht schlecht“. Ja, möglicherweise kann man sich das dann auch so anhören.

Hinter-Net!: Für Rockmusiker habt Ihr eine ziemlich ungewöhnliche Instrumentierung: Banjo, Mandoline, Lapsteel-Gitarre, Harmonika… Und was bitteschön ist ein Eselsgebiss, und was ist eine Schifferflöte?

Nils: Ein Eselsgebiss ist ein Percussion-Instrument. Angeblich war das früher aus Eseln gemacht. Das hörst Du auf „So fass ich´s an“, das ist dieses Drrrrrrrrrr. So haben die Zähne geklappert beim Esel, wenn man die gegeneinander geschlagen hat. Das mit der Schifferflöte ist eigentlich nur ein Witz. Das war eine Melodika mit einem Schlauch dran, die hat unser Tour-Musiker Martin Wenk gespielt. Und weil es sich so ähnlich anhört wie ein Akkordeon, hat irgendwer mal gesagt „Martin und seine Schifferflöte“.

Hinter-Net!: Und der Rest? Sind das nur Effektinstrumente oder macht man damit automatisch ganz andere Musik?

Nils: Weder noch. Banjos sind halt ungewöhnlich, weil man damit sofort Genremusiker verbindet, Countrymusiker oder Folkspezialisten, die sich echt einer Sache verpflichten. Wir benutzen die wie ´ne Gitarre. Es geht nicht um eine Idee, die dahintersteht, sondern einfach nur um den Sound. Natürlich ist Fink keine E-Gitarren-Band, und mit akustischen Instrumenten kannst Du nunmal keine großen Feedbacks machen. Aber ich weiß nicht, ob das Einfluß darauf hat, wie die Stücke geschrieben werden. Ich schreib eh auf ´ner ganz normalen Wandergitarre.

Hinter-Net!: Früher wart Ihr dafür bekannt, überwiegend im Sitzen zu spielen. Nicht gerade die typische Rock´n´Roll-Haltung. Ist das immer noch so?

Nils: Nee, das mit dem Sitzen kommt aus der Zeit, als wir noch zu zweit oder zu dritt waren und gleich von vornherein klarstellen wollten: Heute wird nicht getanzt! Viele Leute haben uns so auch zum ersten Mal gesehen: Hä? Wieso sitzen die denn? Wer sitzt denn schon?! Diese komischen Typen sitzen da!

Hinter-Net!: Um noch einen weiteren Mythos zu hinterfragen – Spielen Bands wir Ihr vergleichsweise leise?

Nils: Nee, auch eine Westerngitarre kannst Du ziemlich laut machen, und wir spielen live auch viel mit E-Gitarre. Aber es ist ein Unterschied zu einer klassischen Rockband, die hinter sich drei Marshall-Turner hat. Und wie laut das ist, bestimmt letztendlich sowieso unser Mischer.

Hinter-Net!: Kriegt ihr mit, wer eure Musik so hört? Ist das ein besonderes Völkchen?

Nils: Ja, ich glaub schon, dass das ein besonderes Völkchen ist. Es sind Leute, die im Hintergrund so amerikanische Sachen haben. Glitterhouse haben einmal im Jahr ein Festival, da waren wir vor zwei Jahren eingeladen und wurden damit angekündigt, dass das ja wohl ein Wagnis wäre, uns vorzustellen, weil wir ja deutsch singen würden. Heute kommen viele Leute, die uns damals gesehen haben, und sagen: Was ihr gemacht habt, ist da extrem rausgefallen. Natürlich liegt´s tatsächlich auch daran, dass wir deutsch gesungen haben, wir waren halt keine Amerikaner. Es gibt schon so´n Hintergrund von Leuten, die sich auskennen mit dieser Art von Musik – die wissen, was Calexico ist, was Giant Sand ist, die amerikanischen Folk-Vögel halt.

Hinter-Net!: Im Internet kann man Euer Tourtagebuch lesen. Da steht viel Amüsantes drin, aber mit den Schlafplätzen hattet Ihr Probleme. Hat sich das gebessert?

Nils: Beim ersten Teil waren wir mit dem Wohnmobil unterwegs, da gab´s überhaupt keine Probleme, das war sehr sehr angenehm. Und auf der laufenden Tour hatten wir immer super Hotels. Vielleicht sind wir auf dem aufsteigenden Ast, wer kann das wissen? Aber in der Liga, wo wir spielen, kommt´s halt immer wieder vor, dass Du bei Veranstaltern in Privatwohnungen schläfst. Und manche, die das nicht wirklich professionell machen, können nicht wissen, dass Du das jetzt schon seit drei Wochen hast, jeden Abend, und die denken, „Oh wieso, das ist doch ganz geil, noch ´n bißchen Party zu haben abends. Und auf ´ner Luftmatraze kann man ja auch mal schlafen oder auf irgendwas.“ Nur wenn man das tatsächlich drei Wochen macht, dann steigen manchmal schon die Ansprüche an eine Decke oder an ein Bett. Und auf der Tour waren wir ja alle relativ grippig, und dann ist das halt superanstrengend.

Hinter-Net!: In Hamburg habt Ihr früher oft in Cafés gespielt. Für Rockbands eher ein ungewöhnlicher Auftrittsort.

Nils: In Hamburg gibt es eine relativ große Musikszene und das, was da dranhängt. Da gibt´s schon ein paar Bars und Clubs, wo man durchaus mal was Spezielles machen kann, wenn man da nachfragt. Wir haben zum Beispiel auch nachmittags in einem Café gespielt, da war so´n kleiner Erker oben, da saßen wir in einem ganz kleinen Loch und haben da drin gespielt. Es hatte keinen wirklichen Konzertcharakter. Die Leute haben Kuchen gegessen, und wir haben da gesessen und Musik gemacht. Auch in ganz kleinen Bars. Ich hab sogar mal in einer Pizzeria gespielt. Das war mit einer anderen Band, wir hatten einen Offtag in Wiesbaden, wollten aber trotzdem spielen und sind halt in eine Pizzeria gelaufen und haben gefragt, ob wir da spielen können.
Und jetzt haben wir diese Küchenkonzerte, die wir verlost hatten. Das ist supernett. Wir spielen da überhaupt nicht verstärkt, mit kleinem Set, akustischer Bass, akustische Gitarren, und können so natürlich nicht alle Stücke spielen, die wir haben, das funktioniert nicht. Aber das wird immer ein ganz netter Abend.

Hinter-Net!: Wegen des guten Essens?

Nils: Nee, das kann man ja vorher nicht wissen. Das Schöne daran ist: Du triffst Leute, die nicht zu Dir kommen, zum Konzert, sondern Du gehst sozusagen zu denen, ein Hausbesuch. Das kann natürlich auch blöd sein, wenn die Leute blöd sind, das weiß man ja vorher nicht. Aber man macht Musik unter komplett anderen Bedingungen als auf der Bühne, weil du natürlich nicht so viel hörst. Du hast keine technischen Möglichkeiten, einmal hatten wir gar kein Mikro. Da kommts nicht so sehr auf die Nuancen an, sondern dass Du versuchst, mit den wenigen Mitteln, die du hast, möglichst viel Krach zu schlagen, weil es sonst der Fünfte schon nicht mehr hört.
Ich möchte das nicht jeden Tag machen, aber eigentlich ist das gut, weil man – vielleicht red ich jetzt Stuß – aber wenn man anfängt, sosehr professionell zu spielen und nicht aufpasst, ist man auch schnell abhängig von diesen Sachen: dass Du vernünftigen Monitorsound hast, dass Du richtige Mikrophone hast. Und da finde ich persönlich es gut, wenn man mal sagt, man scheißt auf den ganzen Kram und versucht es einfach mal so. Selbst wenn man nur die Hälfte hört, wie bei ´ner Hochzeit oder beim Dorffest.

Hinter-Net!: Das stell ich mir toll vor, Fink in der eigenen Küche…

Nils: Mußt Du uns eben mal einladen.

Hinter-Net!: Ihr passt leider nicht in meine Mini-Küche.

Nils: Wir spielen auch im Schlafzimmer, das Line Up ist ja nicht so groß. Oder hast Du vielleicht ein großes Badezimmer?

Hinter-Net!: Schon eher. Aber Ihr seid sicher viel zu teuer.

Nils: Kommt drauf an, was für´n kaltes Büffet Du hast.

Hinter-Net!: Wie steht ihr zu aktueller Musik? Gibt´s was, was euch nervt oder fehlt oder irgendwas, was ihr voranbringen wollt?

Nils: Du meinst, weil wir aus Hamburg kommen, ob wir so am Diskurs –

Hinter-Net!: Nein, das meine ich, weil ihr Musiker seid.

Nils: Naja, aber letztendlich macht man ja Unterhaltungsmusik, das machen alle Leute. Es gibt schlechte Unterhaltungsmusik, und es gibt Musik, die mich zum Beispiel unterhalten kann. Diese Musik unterhält leider die meisten Leute nicht. Aber wir sind hier nicht auf dem Kreuzzug, die Musik zu verbessern oder besser zu sein als andere Leute oder irgendwas voranzubringen.

Hinter-Net!: Gibt´s nichts, was Euch fehlt? Oder was Euch musikalisch zu eng ist?

Andreas: Das wäre ein extrem hoher Anspruch. Heutzutage gibt es unheimlich viel Musik, da ist es unnötig, den Anspruch zu haben, etwas zu finden, was es noch gar nicht gibt, das dann noch zu etablieren und praktisch wie Helmut Kohl in die Geschichte einzugehen, weil man irgendwas zufällig, zur richtigen Zeit an einem Ort oder so – das find ich Quatsch.

Nils: Aber das, was wir jetzt mit Fink machen, repräsentiert sicherlich schon ´was. Es gibt nichts Vergleichbares, jedenfalls ist mir das nicht bekannt. Es spielt immer die Vorstellung mit, dass uns das, was wir machen, im besten Falle auch noch selbst unterhalten kann, und dann scheint es vorher ja ein Defizit gegeben zu haben.

Dinesh: Ein großes Defizit ist, dass die Plattenindustrie kein breiteres Spektrum fördert. Deswegen gibt es so viele Bands, die Sachen versuchen, aber gar nicht erst auf die Idee kommen, das mit einem professionellen Anspruch zu tun beziehungsweise davon zu leben. Deswegen hört man leider oft nichts von diesen Bands, denn die bringen ihre Platten dann halt selber raus. Das ist ein großer Mangel.

Andreas: So war das ja bei uns auch, im Prinzip.

Dinesh: Sicher war das so bei uns auch, insofern tragen wir auch dazu bei, das nicht zu revolutionieren. Oder zumindest voranzutreiben, dass da eine Artenvielfalt nicht total ausstirbt und dass alles so eng bleibt.

Hinter-Net!: Bis auf den Ruhrpottler Henning kommt ihr alle aus Hamburg. Aus welchem Teil genau?

Nils: Unser Zuhause ist relativ begrenzt: St. Pauli, Altona und die Randgebiete drum rum.

Hinter-Net!: Wie stark seid ihr von der Stadt und der dortigen Musikszene geprägt?

Nils: Naja, es ist die Stadt, in der man lebt und in der man einkaufen geht. In Hamburg gibts eine ziemlich große Musikszene. Das begünstigt natürlich das Musikmachen an sich, weil man nicht ein totaler Freak ist, wenn man Musik machen will. Das ist so schon schwer genug. Wenn Du jemandem erzählst, Du bist Musiker, dann fragt der meistens: „Machst Du auch noch ´was Vernünftiges?“ Das ist in einer Stadt mit vielen Musikern sicher einfacher. Außerdem gibt es eine Infrastruktur: Plattenlabels, Übungsräume… Und egal, welche Musik Du in Hamburg machst, Du wirst dort immer wahrgenommen als Jemand: „Da muß ja irgendwas sein, weil, die kommen aus Hamburg.“ Egal, was für´n Scheiß Du machst.

Andreas: Gleichzeitig find ich das aber auch schwer in Hamburg, weil es einfach unübersichtlich ist. Ich hab in verschiedenen Bands gespielt, und wenn man jemanden gesucht hat, war es immer schwierig, einen passenden Part zu finden. Wenn, ist es immer zufällig passiert, ohne dass ich gesucht habe. In dem Moment, wo ich gesucht hab, hab ich nie jemanden gefunden. Der Zufall spielt eine total große Rolle. Und es gibt in Hamburg tausend Musiker, die ich überhaupt nicht kenne. Es gibt halt auch verschiedene Szenen, die keine Berührungspunkte haben. Und das wiederum kann ich mir in einer kleineren Stadt leichter vorstellen, dass man da eine gewisse Familie aufbaut oder dass der Zusammenhalt da leichter herzustellen ist.

Nils: Und es ist so, daß Du in der Szene, von der wir jetzt reden, auch relativ mißtrauisch begutachtet wirst. Es gibt da schon, wie wahrscheinlich überall, eine Art „Musikerpolizei“. In Hamburg ist das jetzt nicht mehr so schlimm. Aber vor vor sieben, acht Jahren war es auch eine Frage von Ideologie, Musik in einer bestimmten Szene zu machen. Was darf ich machen, und was darf ich nicht machen? Darf ich über Liebe singen, darf ich über das-und-das singen? Diese Szene hatte einen sehr hohen Anspruch, war aber eigentlich viel zu unfrei. Und sobald Du da wahrgenommen wirst von einer Öffentlichkeit, gibt’s schon Leute, die sich das auch sehr mißtrauisch angucken.

Dinesh: Die Hamburger Schule war im Endeffekt eine neue Art von Spießertum, das die Leute brauchten. Jedenfalls streckenweise.

Hinter-Net!: Gutes Stichwort. Zur Hamburger Schule steht Ihr nämlich in einem sehr interessanten Bezug. Ihr seid mittlerweile bei L´age d´or unter Vertrag, ´dem´ Hamburger Schule-Label. Ihr habt auf Eurem zweiten Album auch einen Song von Tocotronik gecovert, macht aber selbst keine ´typische´ Hamburger Schule-Musik. Wie steht Ihr zu dem Thema ´Hamburger Schule´?

Dinesh: Ich hatte damit gar nicht soviel Berührung. Zwar haben wir schon Kontakt zu Leuten (und auch mit manchen mal Abende gemacht), die im weitesten Sinne dazugerechnet werden. Aber wer das genau dazurechnet, weiß keiner. Es gibt einen, der sagt „Ich hab die Hamburger Schule miterfunden.“ Das ist Bernd Begemann, den find ich sympathisch. Und dann gibt’s viele andere, auch viele Splittergruppen von Bands, die sich tatsächlich regelmäßig getroffen und debattiert haben, was denn zu tun sei und was nicht. Aber ich glaub, das hat mit uns gar nicht so viel zu tun.

Nils: Es gibt da schon Berührungspunkte. Aber das hat sich letztendlich auch wieder aufgelöst, diese Debattierclubs, soweit ich das beobachten kann.

Dinesh: Es wird schon freundlicher. Und viele, die damals gesagt haben, wir werden niemals bei der Industrie unterschreiben, haben mittlerweile bei der Industrie unterschrieben. Diese Spießigkeit hat sich in Wohlgefallen aufgelöst, weil die auch gesehen haben, es ist nicht schlecht, von Musik zu leben. Nicht, weil man damit Geld verdient, sondern weil man dann einfach diese Musik machen kann und nicht nach fünf Jahren aufhören muß, weil das nicht mehr tragbar ist oder weil man sich nicht mehr drum kümmern kann.

Andreas: Im Grunde spiegelt sich da die gesellschaftliche Entwicklung wieder. Die Globalisierung. Oder die Raumfahrt. Wir starten alle von der gleichen Bodenstation, dann werden wir als Satelliten ausgesetzt in die Umlaufbahn, und da laufen mittlerweile Satelliten von überall. Die MIR war nachher auch ein internationales Projekt, es ist irgendwie alles scheißegal. Dieser musikalische Separatismus, dass die Hamburger Schule eine gewisse Ideologie gefahren hat, das ist einfach überholt. So überholt wie der Kalte Krieg. Die Leute sind jetzt schon offener oder verschwinden auch von der Bildfläche ins Private.

Dinesh: Aber prinzipiell muß man sagen, dass der Begriff „Hamburger Schule“ von Journalisten geprägt ist und nicht von Musikern!

Hinter-Net!: Natürlich, wir brauchen sowas. Aber hat die sogenannte „Hamburger Schule“ nicht auch eine neue Qualität in die Musik und vor allem in die Texte gebracht? Hat sie nicht doch etwas auf den Weg gebracht und bewegt?

Nils: Ja, unbenommen. Die haben Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre nach einem Weg gesucht, in ihrer eigenen Sprache wieder was machen zu können, was auch Leute anspricht, also im weitesten Sinne populär sein kann. Die Neue Deutsche Welle hatte sich erledigt, und andere Bands haben halt englisch gesungen. Dagegen haben diese Bands einen Weg gesucht, die eigene Sprache zu benutzen, ohne sich nur in Klischees aufzuhalten, wie es der Schlager tut. Das muß man ihnen hoch anrechnen.

Hinter-Net!: Standet Ihr auch vor der Frage „Deutsch oder Englisch?“

Nils: Nee, die hauptsächliche Überlegung war eine ganz einfache. Da ich die Texte mache, ist Deutsch die Sprache, mit der ich am besten umgehen kann. Ich hab früher auch englisch getextet, hatte aber das Gefühl, als Einbeiniger beim Wettrennen mitzumachen, und das geht halt nicht. Dann mach ich lieber mit beiden Beinen mit, und wenn mich einer auslacht, weil ich Letzter werde, dann weiß ich zumindest: Ich bin ausgelacht worden, weil ich Letzter geworden bin und nicht, weil ich auf einem Bein versucht hab, beim Wettrennen mitzumachen. Das ist ganz simpel, aber möglicherweise hat es damit zu tun, dass viele Hamburger Bands angefangen haben, deutsch zu singen. Und dass man gesehen hat, aha, da funktioniert irgendwas auf eine Art, und das ist nicht peinlich, nicht klischeebeladen. Deren Problem, das seh ich als Musikhörer und Fan, ist ja gewesen, dass sie – gerade, um nicht Gefahr zu laufen, kitschig zu sein -, extreme Kunsttexte gemacht haben. Kristof Schreuf zum Beispiel (Kolossale Jugend), der ja wirklich nur nach dieser Technik gearbeitet hat, sich Wörter rauszusuchen und die dann unzusammenhängend, nur nach Sprech-Rhythmus, zusammenzusetzen. Hat Burroughs auch gemacht. Das ist dann sehr artifizell und nicht verständlich für jemanden, der´s hört, sondern das mußte als Kunst rezipiert werden. Das war eine Möglichkeit, was zu machen. Aber für Fink ist es eher die, zu sagen, ich muß mich doch gar nicht in einer Geheimsprache ausdrücken, sondern kann doch versuchen, mich in einer Sprache auszudrücken, wie ich sie auch spreche. Und wenn das am Ende peinlich ist, dann sind wir möglicherweise peinliche Typen, aber dann kann man nichts dagegen machen. Und es muß doch gute Texte geben im Deutschen, es gibt ja auch gute Bücher von deutschen Autoren. Oder es gibt auch gute Gedichte.

Hinter-Net!: Eure Texte sind sehr eigen, sehr Fink-spezifisch. Welcher Background fließt da ein? Was lest Ihr zum Beispiel, und vor allem natürlich Nils, der nunmal fast alle Texte schreibt?

Nils: Ich lese gerade „Todeskult“ und beschäftige mich mit Serienkillern, zum Beispiel mit Jeffrey Dahmer. Es interessiert mich halt, wie Serienkiller psychisch drauf sind. Grundsätzlich interessiert mich Literatur, mich interessiert auch Lyrik, aber es gibt wenig Lyrik, die ich wirklich gut finde.

Hinter-Net!: Eure Texte sind sehr alltagsbezogen, ganz unspektakulär. Da findet sich jeder drin wieder. Kann es das sein?

Nils: Naja, was mich am Alltag interessiert, sind Sachen, die nicht sehr offensichtlich sind. Ich weiß nicht, ob es das ist, was die Leute meinen, wenn sie unsere Texte als Alltagslyrik bezeichnen. Aber es ist so, dass zum Beispiel auch die Sachen, die man hier auf dem Tisch sieht, alle ihre eigene kleine Geschichte haben. Da guckt man normalerweise nicht drauf, aber man kann Perspektiven verschieben, und dann können Sachen sehr interessant werden.

Hinter-Net!: Wieso gerade dieser Perspektiven-Rutsch?

Nils: Das war eine künstlerische Idee. Auch als Texter versuche ich natürlich, bestimmte Sachen nicht einfach zu wiederholen oder zu sagen „Ich weiß jetzt, das-und-das kann ich so machen“, sondern es geht auch darum „Was kann ich komplett anders machen?“ Ich hab vielleicht eine Geschichte aus dieser Perspektive erzählt – gelingt es mir auch, eine Geschichte aus einer neuen Perspektive zu erzählen? Das ist dann sozusagen mein Auftrag, den ich mir stelle. Da guck ich dann, ob ich das kann oder ob ich das versuchen will. Das ist wie Spazierengehen: einen Fuß hast Du vorgesetzt, dann stehst Du an der nächsten Stelle und nimmst den nächsten Fuß.

Andreas: Das ist auch einfach eine Verhaltensfrage, die man vielleicht sogar trainieren kann, wie eben Spazierengehen. Wenn ich mit meinen Eltern früher spazierengegangen bin, dann ist mein Vater vorn weggegangen und hat darauf gehofft, dass der Spaziergang schnell zu Ende ist. Meine Mutter hat sich die Blumen angeguckt, und ich hab irgenwie im Dreck rumgesuhlt. Das waren drei Perspektiven von ein und derselben Handlung. Ich denke, dass Nils sich das bewußt macht und im Geiste in verschiedene Rollen schlüpft. Dann erscheinen die Dinge entweder in einem anderen Licht, oder es entstehen überhaupt erst ganz neue Dinge. Neue Geschichten, die man drum herum spinnen kann. Es geht eben nicht darum, dass Nils aus seinem realen Leben berichtet, ein Tagebuch verklausuliert oder sich einfach nur darauf beschränkt, davon zu singen, wie gern er eine bestimmte Person mag. Das macht er auch, aber da hört es nicht auf.

Hinter-Net!: Gibt es eine Frage, die Ihr immer mal gern beantworten würdet, die Musikjournalisten aber nie stellen?

Nils: Wir sind stark an der Frage interessiert „Kann ich Euch Geld schenken?“ Und an Fragen, auf die man mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann.

Dinesh: Uns beschäftigt täglich, wie das so ist, auf Tour zu sein. Die ganzen Umstände wechseln ständig, aber wenn ich mir dann eine Zeitung durchles, was die anderen Musiker darüber reden, dann denk ich: Ach Du Elend! Was soll man da machen, das ist ja immer das gleiche?!

Nils: Unser Ex-Gitarrist Thorsten hat irgendwann das Wort „Rock-und-Rumsitzen“ geprägt. Du sitzt den ganzen Tag rum und wartest, dass irgendwas geht. Du gehst mehr oder weniger schlaff rum und siehst am Abend noch zwei Stunden gut aus. Man muß sich ziemlich zusammenreißen. Wir gucken uns manchmal noch ´ne Burg an, machen einen kleinen Spaziergang, gehen schwimmen oder sowas. Es gibt so einen Automatismus, der ist sehr angenehm. Man gibt die Verantwortung für´s wirkliche Leben für ´ne Weile auf. Alles dreht sich um zwei, drei oder auch nur eine Stunde auf der Bühne, den ganzen Tag lang. Ich find das eigentlich ganz angehnem.

Hinter-Net!: Wie sieht Euer Leben außerhalb der Tour aus? Könnt Ihr vom Musikmachen leben?

Andreas: Das ist extrem schwer. Wir leben auch nicht allein von Fink, sondern jeder macht noch nebenbei was anderes.

Nils: Ich bin Taschendieb!

Andreas: Das geht allen Musikern so, die in unserer Liga spielen. Das heißt nicht unbedingt, dass die noch in die Bank gehen oder auf dem Bau arbeiten. Aber dass die vielleicht noch in anderen musikalischen Projekten mitspielen. Wir haben so´n paar Projekte am Laufen, Theatermusik oder Filmmusik, einen Titel für eine Dokumentation über ein jüdisches Künstlerduo um die Jahrhundertwende… Man kann nicht einfach in einer Band spielen wie Fink und dann glauben, da kann man jetzt die dicke Marie machen. Erstens geht es nicht darum, und zweitens funktioniert das nicht, sondern das funktioniert dann erst

Nils: Nächstes Jahr! Bei uns funktioniert das immer erst nächstes Jahr. Seit fünf Jahren denkt man, nächstes Jahr funktionierts.

Andreas: Aber was man nicht machen kann, ist tatsächlich einen ganz normalen Job irgendwo zu haben.

Hinter-Net!: Habt Ihr denn nur „kreative“ Nebenjobs oder gibt´s da auch noch sogenannte „Brotberufe“?

Andreas: Ich hab noch halbwegs einen Brotberuf. Ich arbeite in einer Fernseh-Zeitschrift-Redaktion, bei „TV Hören und Sehen“. Dinesh macht noch Studiotechnik, lötet Verstärker zusammen und macht Filmmusik. Nils malt Bilder, die er verkauft. Was Henning macht, wissen wir nicht. Henning hält sich da bedeckt, unergründliche Geldquellen…

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