Interview: Laika

Erneuerer der abendländischen Popkultur

„Silver Apples On The Moon“ – so hieß eine der eigenständigsten Platten die im Jahre 1994 auf dem Musikmarkt erschienen sind, und trotzdem waren die Reaktionen seitens der Medien bescheiden. ‚Too Pure‘, eine Art englisches Avantgarde-Label, auf dem zwar schon viele kleine Meisterwerke veröffentlicht wurden, das aber im Allgemeinen als eine Art Insider-Nische für spinnerte Künstler betrachtet wird, saß mit Laikas Erstlingswerk mal wieder zwischen allen Stühlen. Lediglich PJ Harvey, die ihr Debut bei selbiger Plattenfirma veröffentlichte, schaffte den Sprung zum Major-Act. Andere hervorragende Bands, wie Stereolab, Mouse On Mars oder auch Moonshake bleiben den Insidern vorbehalten.

Was Laika mit allen anderen ‚Too Pure‘-Bands gemein hat, ist die Eigenständigkeit ihres Sounds. Noch nie fiel es mir so schwer, Vergleiche heranzuziehen, die Laika nur im Entferntesten gerecht werden. Ihre neue CD ‚Sounds Of The Satellites‘ ist zwar homogener und gefälliger, was die Rhythmen und die Samples angeht, doch noch immer muß der Hörer auf Überraschungen gefaßt sein. Laika besteht aus Guy Fixsen und Margaret Fiedler, die für sämtliche Geräusche verantwortlich zeichnen, was soviel heißen soll, daß sie bis auf die Mithilfe weniger Gastmusiker, ihre Musik selbst aufnehmen und produzieren. Wie die Aufnahmen zu „Sounds Of The Satellites“ zustande kamen, das wollte ich von Guy, der auf Promo-Tour war, erfahren.

Die Soundtüftler

LaikaLaika nahmen „Silver Apples On The Moon“ in einer etwas ungewöhnlichen Reihenfolge auf. Zuerst begann man mit den Drum-Loops und den Bässen (Laika benutzen selten einen bestimmten Bass-Sound); erst später suchte man die Sound-Samples, die die Melodien der einzelnen Stücke ausmachen und schrieb dann die passenden Vocal-Parts dazu. Die Aufnahmen waren sehr experimentell und glichen einer Jamsession von abgespaceten Soundtüftlern. Bei „Sound Of The Satellites“ war das Prozedere etwas anders ausgefallen:

„Diesmal schrieben wir die Lyrics früher, da wir bei unserer ersten Platte den Eindruck bekamen, daß die Stimme nicht genügend Platz hat, wenn sie sozusagen nur das Beiwerk abgibt. Diesmal klingt der Gesang wesentlich stärker und steht darüber hinaus auf einer zumindest gleichberechtigten Ebene mit den Instrumenten. Es wird ab einem bestimmten Zeitpunkt wirklich schwierig für die Stimme, sich durchzusetzen, da jedes Sample eine eigene Tonqualität besitzt, und wenn das Stück zu vielschichtig wird, geht dies auf Kosten der Vocals.“

Da die Stimme wie ein Korsett die Songs und die gesamte Platte zusammenhält, hört sich „Sounds Of The Satellites“ fließender, weniger hektisch und homogener als das Frühwerk an.

„Da stimme ich zu. Komischerweise sind Sounds eine sehr persönliche Angelegenheit, wohingegen Stimmen und Melodie universeller sind, d.h. es kann sich eine Gruppe eher auf die Stimme einer Sängerin einigen als auf Geräusche, die individuell stärker empfunden werden. „

Schaut man auf das manigfaltige Angebot der Techno-Szene, kann man in diesem Punkt nur zustimmen. Die Rolle der Stimme ist bei Laika definitiv der Atmosphäre der einzelnen Stücke angepaßt und steht weniger im Vordergrund des Geschehens als es bei anderen Bands der Fall ist. Somit wird eine Personifizierung der Musik unmöglich und wahrscheinlich ist der Faktor des Eingebettetseins von Margarets Gesang hauptverantwortlich dafür, daß Laika nicht die Beachtung finden wie zum Beispiel Portishead.

„Die Lyrics sind weder sehr direkt noch transportieren sie eine Message; wir wollen nicht in die Rolle einer predigenden Band verfallen. Die ausgesuchten Wörter müssen klanglich passen. Das Ergebnis muß einen Sinn ergeben und deshalb betrachte ich den Gesang als ein emotionales Bindeglied zur übrigen Musik.“

Die Wohngemeinschaft im Studio

Laika ist eine im Studio lebende Wohngemeinschaft. Ihr Studio befindet sich in ihrem Appartment in Hackney (East London) und somit braucht man keine Rücksicht auf Studiokosten oder Produzenten zu nehmen. Guy zu den Vorteilen ihres ‚Homerecordings‘:

„Neben meiner Tätigkeit als Musiker bin ich auch noch als Produzent tätig (Guy hatte mit Gruppen wie den Breeders, My Bloody Valentine, Throwing Muses und The House Of Love zusammengearbeitet). Dabei erlebe ich natürlich, wie umständlich der normale Prozeß des Plattenaufnehmens ist. Es ist ein teilweise kreativitätshemmender Vorgang: Erst nimmt eine Band ein rauhes Demo auf und dann mietet sie ein Studio um die gleichen Stücke noch einmal zu produzieren, nur in einer besseren, glatteren Version. Dabei geht der ursprüngliche Spirit der Songs verloren und darüber hinaus läuft die Gelduhr ab und so kann sich eine Band mit geringem Budget nur auf das kleinstmögliche Übel beschränken. Wir können jede Idee sofort in einer angemessenen Qualität aufs Band bringen, da das nötige Equipment bei uns zu Hause rumsteht, und damit die beste Version eines Songs festhalten. Da wir gleichzeitig aufnehmen und komponieren, findet sich oft ein Sound, der ein ganzes Stück ausmacht und dieser ist bei der Fertigstellung immer noch vorhanden. Außerdem haben wir die Möglichkeit, während der Aufnahme die Musik über unsere normale Hifi-Anlage abzuhören, was uns dem Sound, wie ihn der Hörer daheim erlebt, näher bringt.“

Damit erreicht Laika ihre Einzigartigkeit: Ihre Musik klingt sehr ausgetüftelt und überlegt arrangiert und doch sehr warm und selbstverständlich. Daß die Musik der Zukunft warm klingen muß, ist für Guy selbstverständlich:

„Hör Dir nur mal die ganzen Achtziger Jahre-Bands an: Diese grausamen kalten Sounds! Ich bevorzuge warme, organische Musik, die sehr viel Raum besitzt, nicht diese zu Tode komprimierten, kalten Klangteppiche.“

Auf der Suche nach Geräuschen

Wo bekommen Laika eigentlich ihr Feedback her, wenn sie als eingeschworene Gemeinschaft alles alleine machen? Schließlich ist man bei einer solchen Arbeitsweise schnell dem Urteil der Eigenbrötlerei und Selbstherrlichkeit ausgesetzt? Guy lenkt ein:

„Natürlich machen wir nicht alles alleine! Margaret und ich besorgen das nackte Songgerüst, das heißt die Samples, das Engineering und die Produktion. Die Hälfte der Platte ist allerdings mit Live-Drums eingespielt und dann haben wir noch einen Bassisten, eine Flötistin und einen Percussionisten, der auch Vibraphon spielt. Sie besorgen die Interpretationen unserer Ideen, vor allem was die Percussions und die Flöte angeht. Louise, unsere Flötistin zum Beispiel saß im Aufnahmeraum und spielte einfach das, was ihr in den Sinn kam. Danach haben wir die geeignetsten Stücke rausgesampelt und zu Loops verarbeitet. Wir nehmen uns dafür ziemlich viel Zeit in Anspruch und manchmal vergeht eine Woche bis wir in die einzelnen Tracks noch einmal reinhören. Das würde kein Produzent mitmachen und finanziell wäre die Idee, eine dritte Instanz als Beratung einzusetzen völlig unrentabel. Außerdem mögen wir es, uns selbst immer wieder zu verbessern und selbst herauszufordern; dabei würde ein Produzent nur stören.“

Laika suchen nach Geräuschen, über die sie schmunzeln können, wie zum Beispiel das Quietschen, das entsteht, wenn jemand in der Badewanne sitzt und dabei hin- und herrutscht. (Dieser Effekt findet sich auf „Silver Apples On The Moon“ in dem Song „Coming Down Glass“.) Auf „Sounds Of The Satellites“ sind die Effekte etwas subtiler und so geschickt in das Songgerüst eingebettet, daß man schon genau hinhören muß, will man alle Details mitbekommen.

„Diesmal hatten wir mehr Erfolg damit, die verschiedenen Schattierungen unserer Samples einander anzupassen und es steht nicht so sehr ein bestimmter Gimmik im Vordergrund. Ein Sound mit dem wir auf der neuen Platte glücklich sind, ist zum Beispiel diese kleine Holztrommel in „Starry Night“, die wir in San Francisco auf einer Tour gekauft haben.“

Die Missionare einer idealistischen Musikphilosophie

Es überrascht herzlich wenig, daß bei einer derart perfektionistischen Einstellung gegenüber der eigenen Musik, Laika schnell gelangweilt sind, wenn das Gespräch auf die momentane Szene gelenkt wird.

„Die Musik, die uns am meisten langweilt ist ROCK! Es gibt nichts reaktionäreres als die momentane Entwicklung in der Rock-Musik. Zum Beispiel produzierte ich in letzter Zeit eine Gitarren-Band und der Trommler spielte diesen Klischee-Funk-Beat; etwas Öderes kann ich mir kaum vorstellen. Auf unserer neuen Platte befinden sich mehr Gitarren als auf der davor, nicht weil wir darauf abgezielt hätten, es hat sich einfach so ergeben. Wir sind wohl das Gegenteil einer Konzept-Band. Wir arbeiten unter dem Motto: Alles kann gut sein, und somit haben wir Zugang zu einer unglaublichen Vielfalt. Wir samplen alles, was uns über den Weg läuft.“

Obwohl Laika sehr groovy sind und man sie im weitesten Sinne als ein Dance-Act bezeichnen könnte, kann kein Vergleich mit anderen Tanzmusikern aufkommen. Auch diese Klischees werden bewußt vermieden, wie zum Beispiel Drum’n’Bass, der momentan wohl abgenutzteste Stil.

„Als wir „Silver Apples On The Moon“ aufnahmen waren wir noch von Jungle beeinflußt. Diese Bewegung war damals unverbrauchter und auch der Trip Hop-Boom war ebenfalls noch nicht so ausgelutscht wie es heute der Fall ist. Unglaublich, aber unter den langweiligsten Reklamespots wird irgendein Jungle-Rhythmus druntergelegt, und schon hat man aus etwas Stinknormalem ein Novum gemacht. Außerdem ist diese Masche ein beliebtes Mittel, auf dem Abschiebegleis ruhende Musiker zu revitalisieren. Alles was man benötigt ist ein Jungle-Remix eines alten Hits und schon sind solche Leute wieder im Gespräch.“

Bei einem so großen Bedürfnis, jegliche Stereotypen zu vermeiden ist es für Laika gerade in ihrem Heimatland ziemlich schwer, Fuß zu fassen. Guy ist hörbar erregt, als wir auf die englische Musikszene zu sprechen kommen:

„Engländer sind was ihre Hörgewohnheiten angeht ziemlich engstirnig. Es scheint als würde diese Retro-Welle kein Ende nehmen. Aus einem mir unerklärlichen Grund behaupten die meisten Leute, daß es gut ist, unoriginell zu sein, dabei geht es in der Musik doch um Kommunikation und sich gegenseitig auszutauschen, und was bringt es, sich mit den Mitteln alter Helden auszudrücken oder diese miteinander zu teilen? Für mich geht der eigentliche Sinn des Musikmachens verloren. Was bringt schon die 100. Ausgabe der Beatles? Als deren Musik entstand war das Selbstverständnis von Lennon, McCartney, Harrison und Starkey kongenial zu unserer Einstellung heutzutage. Sie produzierten in einer ähnlich experimentellen Art und Weise unter der Prämisse, daß alles Neue, was dabei entsteht, nur gut sein kann. Wenn heutzutage eine Band X die Beatles kopiert, dann haben wir nur noch Stillstand in der zeitgenössischen Musik. Es wäre angebracht die Einstellung der Beatles zu kopieren, dann hätte wir ein interessanteres Spektrum an Bands.“

Argumente, die nicht so leicht von der Hand zu weisen sind.

Crossover? – Nur bedingt!

Wenn in der Presse über Laika berichtet wird, dann fällt zumindest ein Vergleich immer wieder, und zwar der mit Bristol Bands, wie Portishead, Tricky, Massive Attack. Dies scheint Guy nichts auszumachen, da Trip-Hop seinem Geschmack entspricht:

„Wenn irgendein Vergleich herhalten muß, dann kann ich den mit diesen Bands am ehesten akzeptieren. Wir wurden schon inspiriert von diesem Sound. Inspiration ist ja auch eine gute Sache, solange man nicht zum Klauen übergeht. Mit Tricky zum Beispiel ist es so, daß er aus einem Dance-Background kommt und wir eher aus der Rock- Richtung. Wir treffen uns wohl irgendwo in der Mitte. Es ist der Mix von verschiedenen Stilen, der mich interessiert und man darf nicht außer acht lassen, daß man sich selbst als Faktor mit einbringt und so der Musik einen eigenen Stempel aufdrückt. Es gibt natürlich auch Stile, die man notwendigerweise nicht mixen darf, und wenn dies geschieht kommt schlechte Musik dabei heraus.“

Daß Guy, als ein Freund aller neuen Entwicklungen im musikalischen Bereich, neuen Medien wie dem Internet nicht abgeneigt ist, überrascht nicht weiter:

„Tatsächlich benutzen wir diese Quelle sehr oft und haben unsere eigene Homepage. Manche Leute werden, was Computer angeht, oftmals zu besessen und vergessen, daß es noch andere Dinge im Leben gibt, aber prinzipiell sind die Möglichkeiten, die sich uns durch diese Technologie eröffnen, großartig. Wir haben schon viele Interviews übers Internet gegeben und Margaret, deren Eltern in den Staaten leben, kann auf eine kostengünstige Art jeden Tag nach Hause Verbindung aufnehmen. Unser neues Covermotiv haben wir auch nur durch das Internet realisieren können. Diese Briefbeschwerer in Form von Schneekugeln findet man normalerweise in Deutschland als Souvenirs. Eines nachts hatte ich jemand über Internet an der Hand, der versprach daß er die Hersteller in Hongkong beauftragen würde diese Schneekugeln für uns anzufertigen. Das ist das Großartige am Internet: Du hast Zugang zu Dingen, die normalerweise durch das Problem der Entfernung nicht so einfach zu bekommen sind. Trotzdem schätze ich es sehr Briefe zu erhalten.“

Es ist immer wieder beruhigend, mit Musikern zu sprechen, die so dezidiert wissen, über was sie reden, deren Einstellung zur eigenen Musik so kritisch ist, daß die gesetzten Standards nie hoch genug sein können. Am Ende des Interviews mußte ich mir die Frage stellen, ob Rock’n’Roll nicht doch tot ist, denn in einem Punkt mußte ich Guy rechtgeben: Im Moment gibt es wohl nichts Langweiligeres als zeitgenössische Rock-Musik. Dieses Thema wird in meiner Kolumne Fred Konkret noch näher beleuchtet. Bis dahin empfehle ich den Kauf aller Laika-Produkte mit weniger Gitarren, dafür 25% mehr Groove.

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