Singlekritiken

2002

Zur Startseite

Yeah Yeah Yeahs

Machine

(Wichita/Clearspot/EFA)

Cover Yeah Yeah Yeahs - MachineOkay, Polly Jean Harvey, die etwas hagere Sexgöttin des Indierock mit ihren großen Ich-schluck-Dich-in-einem-Stück-runter-Junge-Lippen, die mal mit Nick Cave ein wunderbares Duett eingesungen hatte, hat also Acid genommen und mit ihren Begleitmusikern, die von der Jon Spencer Blues Explosion (oder eher doch von Boss Hog?) stammen müssen, einige verrückte Songs aufgenommen.

Oh, das war gar nicht PJ Harvey? Das sind wieder die Yeah Yeah Yeahs aus New York? Und es waren nur zwei Trash-Nummern? Die dritte ist ein sympathischer, wenn auch befremdender Remix des Songs "Pin"? Ach, ist auch alles falsch gelaufen heute. Was mach' ich nur? Aber die Stimme klingt so verdammt ähnlich, da kann man sich schon mal vertun. Ach so, die Blues Explosion hat gar nicht ihre Finger im Spiel. Boss Hog ebenso wenig. Ui, ui, ui, verdammt, ist das peinlich...

(kfb)

* * *

Earthlings?

Disco Marching Kraft EP

(Crippled Dick Hot Wax)

Eine neue EP vom Kollektiv, das aus dem Kyuss-Umfeld entstand und in dem schon so ziemlich jeder mitgespielt hat, der in den Neunzigern in der Alternative-Ecke ein Instrument bedienen konnte. Nach zwei Longplayern, die durchaus auch gerne mal bis zur Schmerzgrenze "Hippie-Scheisse" sein konnten, haben Sie die Sache jetzt aber mal ordentlich in den Griff bekommen. Irgendwo zwischen Spät-Siebziger Pop und Space-Rock groovt Disco March Kraft so wohlig aus meiner Anlage, dass ich mir fast schon wünsche, Earthlings? hätten den Soundtrack zu "The Virgin Suicides" gemacht und nicht Air.

(rk)

* * *

Prefuse 73

The '92 vs '02 Collection

(Warp/Zomba)

Sie ist zu gut, um nicht besprochen zu werden, diese EP. Prefuse 73 alias Scott Herren überrascht nach seinem mehr als passablen Album "Vocal Studies And Uprock Narratives" mit vier Songs, die er in Atlanta produziert hat. Gemächlicher, nicht aber langweiliger HipHop der ausgefalleneren Art. Ruhig, besonnen, ohne die Vokal-Unterstützung Kraftwörter spuckender MCs. Herren auf gesampelte Frauenstimmen, die sich nahtlos in das idyllische und entspannende Ambiente seiner Tracks einbetten - siehe "Love You Bring". Herren ist halt ein Querulant. Im positiven Sinne. Einer, den das, was HipHop in den letzten Monaten geboten hat, langweilt und anödet. Er geht neue, vor allem aufregende Wege. Elektronische Musik ist ihm dabei eine große Hilfe. "When Irony Wears Thin" zum Beispiel klingt wie ein Las Vegas-Swing-Song par Excellenze, über den der Warp Records-Backkatalog geritten ist. Da treffen Welten aufeinander, die sich in Herrens Händen zu einer wunderschönen, neuen formieren. Spannender und wohltuender kann futuristischer Elektro-HipHop kaum noch werden.

(kfb)

* * *

O:pl Bastards

Sagittarius III

(Form & Function/Zomba)

Retro-Spaß, die nächste Runde. O:pl Bastards bitten in die Zeitmaschine, um einen Kurztrip in die weiterhin ausschlachtfähigen Achtziger zu unternehmen. Der Soundtrack zum schrillen Achtziger-Schick liefern sie gleich selbst mit. "Sagittarius III" ist letzte Auskopplung aus ihrem Debütalbum "The Job". Wenn Finnen die Sounds der Eighties (wieder)entdecken. Mein lieber Herr Gesangverein! Hätten sie mehr solcher Disco/House-Knaller auf ihr durchwachsenes Album gepackt, man würde nie mehr von Daft Punk reden, den Blick von Paris abwenden und hoffnungsvoll gen Finnland schauen. Immerhin: Die Hoffnung stirbt zuletzt, um eine der glorreichren Sportweisheiten zu zitieren. Wir hoffen demnach auf das nächste Album und versüßen uns die Zeit mit "Sagittaruis III" und den Remixen von DJ Slow (sphärisch) und Patrick Pulsinger (rockender, sexy Disco-Funk) sowie der "Funking"-Nachbearbeitung durch Detroit Grand Pubahs.

(kfb)

* * *

Sparta

Austere

(Dreamworks/Motor/Universal)

Jetzt es geht es los, die musikalische Post-At The Drive-In-Ära. Mars Volta haben just eine EP auf den Markt gebracht, da wollen die anderen Ex-Mitglieder der aufgelösten Emo-Heroen nicht lange auf sich warten lassen. Sparta sind Tony Hajjar (Schlagzeug), Paul Hinojos (Gitarre), Matt Miller (Bass) und Jim Ward (Gesang, Gitarre, Keyboards). Miller spielte vor Sparta bei Belknap, der Rest in eben jener sagenumwobenen Band, die von El Paso aus Rock revolutionierte und alles auf den Kopf stellte. Noch heute hält die Wirkung ihrer Wahnsinnsplatte "Relationship Of Command" nach. Ein Meisterwerk. Unerreicht. Unantastbar. So wie "The Shape Of Punk To Come" von Refused oder "Source Tags & Codes" beziehungsweise "Madonna" von ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Diese Alben haben viele fruchtbare Samen gesät, deren Gewächse es noch in Jahren zu ernten geben wird.

Sparta haben sich nicht allzu sehr vom musikalischen Konzept der Vorgänger ATD-I entfernt. Sie rocken, kommen gleich auf den Punkt und bündeln ungeheure Mengen Energie in ihren Songs, die von Aggressionseruptionen durchzogen sind. Im Nu ist man drin und findet sich zurecht. Und man kommt erst wieder raus, wenn sie sich elektronisch darbieten und ein seltsames, schwer zu durchschauendes "Echodyne Harmonic" abliefern. Das Experimentieren ist so eine Sache bei Sparta. Dafür rocken sie aber gewohnt präzise und brutal. Vielleicht mehr davon auf ihrem für Juli angekündigten Debüt.

(kfb)

* * *

Múm

Green Grass Of Tunnel

(Fat Cat/Hausmusik)

Eine engelsgleiche Stimme, die zu wohlüberlegter Elektronik (sanfte Beats, flächige Keyboards und Samples), gemischt mit Indie-Instrumentarien (Glockenspiel, Akkordeon Bass, Cello), den Hörer mit der magischen kraft einer Fee wach küsst. Sie können sagen, was sie wollen, seitdem Sigur Rós sich in die Herzen Avantgardebegeisterter gespielt haben und isländischen Pop zurück auf die Landkarte des Pop gebracht haben, ist nichts Zauberhafteres von jener entlegenen Insel gekommen. Múm, um bei Sigur Rós zu bleiben, lassen kleinere Parallelen in ihren Melodien erkennen. Beider Musik klingt himmlischer, nicht irdischer Natur. Sie ist unbeschwert, warmherzig und zuckersüß. Wir dürfen uns auf das Album "Finally We Are No One" freuen. Das kommt Ende Mai.

Ach ja, wer es noch nicht wusste: Die Zwillingsschwestern Kristín Anna und Gyða Valtýsdóttir, neben Gunnar Örn Tynes und Örvar Þóreyjarson Smárason (sorry, das musste mal sein!) die MusikerInnen hinter Múm, kennt man bereits vom Cover des Belle & Sebastian-Albums "Fold Your Hands Child, You Walk Like A Peasant".

(kfb)

* * *

Sunstorm

The Comeongohigher EP

(Rough Trade/Sanctuary/Zomba)

Sie versprühen den Geist des zeitgenössischen Rock'n'Roll à la Oasis. Sie kokettieren mit Post-Space Rock, wie er von Lupine Howl und deren Ex-Band Spiritualized zelebriert wird. Sie spielen mit den unnachahmlichen Sounds einer Hammond-Orgel. Verdammt britisch für eine Band aus Los Angeles. Das trifft alles auf den ersten Song "High Resolution" zu. "Mojave's Town" indes erinnert in den ersten paar Takten an Radiohead und Sigur Ros, ehe die Stimme von Jerold Balcolm ertönt und - in Verbindung mit der verträumten Inszenierung - leichte Parallelen zu Chris Issak offenbart. Es könnten auch Coldplay Pate gestanden haben.

Der Hit folgt in Form des letzten Songs: "Simone Say Radio". New Yorker Punkrockvergangenheit der Warhol-Ära wird aufgearbeitet. Flott, groovend und beschwingt rockt sich die Band in einen Ohrwurm hinein. Lässig und sexy. Spätestens jetzt ist der Autor dieser Zeilen von der Gewissheit ergriffen, diese Band nicht so schnell aus den Augen zu verlieren.

(kfb)

* * *

James Yorkston And The Athletes

The Lang Toun

(Domino/Zomba)

James Yorkston ist Singer/Songwriter, stammt aus dem malerischen Edinburgh und hat mit seiner Band The Athletes einen Deal beim großartigen Indie Domino landen können. Seiner Single nach zu urteilen, muss man eingestehen, dass die Welt doch gerecht ist. Weg sind die Zeiten, in denen man von Zweifeln zerfressen wurde. Dass Yorkston hier und heute bei uns Erwähnung findet, ist ein Segen.

Der Titelsong der Single ist ein romantisches Lied, das mit mehr als Akustikgitarre, leisem Schlagzeug und einer nölenden Stimme umgesetzt wurde. Da ist zum Beispiel noch der gute alte Dudelsack, der im Hintergrund leise tönt. Das geht so zehn Minuten lang und es langweilt zu keiner Zeit. Die Melodie nimmt den Hörer mit und lässt ihn in sanfte Melancholie gehüllt dahin schweben.

Groove umschreibt hingegen das, was Labelkollege Kieran Hebden, hier als Four Tet, ansonsten bei Fridge tätig, aus dem Song gemacht hat. Die Kehrseite der limitierten 10-Inch-Version beziehungsweise der zweite Track der Single-CD beginnt mit Menschen, die lachen und pfeifen und hörbar gute Laune haben, verwandelt sich aber dank des treibenden und lauter als beim Original gespielten Schlagzeugrhythmus in ein fast tanzbares Stück. Wäre da nicht die rückwärts abgespielte Stimme von Yorkston und die schrägen "The Lang Toun"-Versatzstücke, die zum Teil komplett zerhackstückt und zu noisigen Passagen umgewandelt wurden. Herrlich.

(kfb)

* * *

Yeah Yeah Yeahs

Yeah Yeah Yeahs

(Wichita/Clearspot/EFA)

Greil Marcus, der bekannte Rockkritiker, hält ganz große Stücke von dem New Yorker Newcomer Yeah Yeah Yeahs. Er sagt, der Name sei schlecht. Kann man beipflichten. Oder? Vielleicht drückt er genau das aus, wofür die Band steht: Exzess, Jubel, Trubel, Action. The Action is go - das sagten mal Fu Manchu. Das Trio um Sängerin Karen O fügt sich nur zu gut als Glied in eine Kette ein, deren vorderen Elemente von The Moldy Peaches, The White Stripes und The Strokes besetzt sind. Rotzfrech rock'n'rollen sie mit.

Einer der fünf Songs der Debüt-EP fällt völlig aus dem Rahmen: "Art Song". Melodisches, an Kinderlieder Erinnerndes wechselt sich mit Grindcore- und Schreiattacken ab. Wilde Sache, das. Ein Kollege sagte nach dem Genuss der Band im Vorprogramm von Jon Spencer, die Frontfrau habe Charisma und aus der könne mal was werden. Das glaube ich auch. Sie sieht auf den Fotos unglaublich unschuldig aus. Auf Platte wird sie zum wild um sich beißenden Werwolf. Im letzten Stück singt sie denn auch mal und gibt somit mit ihrer Band das geschlechtlich gemischte Pendant zu den Beats Of Bourbon ab. Ach ja: "Our Time" erinnert phasenweise sogar an "Crimson & Glover" (Joan Jett & The Blackhearts). Meint ihr nicht auch?

(kfb)

* * * * *

Singles zum Jahresende 2001


Datenschutz
Zum Hinternet-Weblog Zum Kalender Impressum