Das Ergänzen logischer Reihen gehört zu den beliebtesten Aufgaben bei „Intelligenztests“, doch wie diese im Allgemeinen sind solche Übungen im Besonderen dubios und wenig aussagekräftig.
Nehmen wir nur eines der leichtesten Beispiele: 2 – 4 – 8 – wie lautet die vierte Zahl? Natürlich 16, denn wir haben die Regel – Zweierpotenzen – erkannt. Aber könnte es nicht genauso gut 10 sein? Die zweite Zahl ist die erste plus 2, also ist die vierte die dritte plus 2. Auch eine Regel. Und selbst die intendierte Antwort 16 besagt nicht, welche Regel ihr zu Grunde liegt. Möglich wäre auch folgender Gedankengang: Die zweite Zahl 4 ist das Doppelte der ersten Zahl, die dritte das Produkt der beiden ersten Zahlen. Also könnte die vierte Zahl das Doppelte der dritten sein – 16. Die Regel selbst würde zwar erst mit der fünften Zahl deutlich, die 128 statt 32 lauten würde, aber so weit kommt es bei diesem Test ja erst gar nicht.
Regeln und ihre allmähliche Verifizierung / Falsifizierung gehören zur Grundausrüstung zünftiger Kriminalromane. Ein Killer ermordet zunächst den Besitzer einer Katze, dann den eines Hundes, schließlich den eines Hahns – welches Tier besitzt das vierte Opfer? Einen Esel, rät der Märchenkenner.
Der Argentinier Guillermo Martinez hat nun mit seinem Roman „Die Pythagoras-Morde“ die Regel zurück zu ihren Wurzeln, der Mathematik, geführt. Im altehrwürdigen Oxford wütet ein Serienmörder. Seine Opfer sind Menschen, die man längst aufgegeben hat, ihnen gewährt der Killer einen „gnädigen Tod“. Jede Tat wird angekündigt und von einem Symbol begleitet: einem Kreis, einem stilisierten Fisch, einer Triangel. Adressat dieser Nachrichten ist Professor Arthur Seldom, geschätzter Mathematiker und Autor eines Buches, in dem es auch um Serienmörder geht, denen Seldom eine eher rudimentäre Logik unterstellt. Es scheint, als wolle der Killer von Oxford nun das Gegenteil beweisen und Seldom persönlich herausfordern. Wird es ihm und seinem Helfer, einem argentinischen Studenten, der zugleich Ich-Erzähler der Handlung ist, gelingen, die logische Reihe zu ergänzen?
Natürlich gelingt es ihnen. Aber während der Lektüre dieses mit allerhand kleinen Nebenstories und Episoden der Mathematikgeschichte angereicherten Buches wächst das Unbehagen des Lesers. Alles geht seinen logischen Gang. Doch ist das Logische auch das Wirkliche? Seldom selbst nährt unsere Zweifel, denn er misstraut den sogenannten „perfekten Systemen“ und offensichtlichen Regeln. Am Ende kommt es so wie vermutet: Alles ist anders, banaler vielleicht, aber doch komplexer als das Naheliegende.
Die „Pythagoras-Morde“ erfinden das Genre nicht neu. Aber sie spielen mit der scheinbar so unbestechlichen Logik und bringen damit unsere heile Welt ins Wanken, in der alles, was geschieht, System haben muss und es immer jemanden gibt, der dieses System erkennt.
Schön; die Auflösung selbst lebt ein wenig zu sehr von Zufällen. Spannend und anregend un damit lesenswert ist das Buch allemal.
Guillermo Martinez: Die Pythagoras-Morde. Roman. Eichborn Berlin 2005, 205 S., 17,90 €