Bei Krimis legt man nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Sie sind handlungsorientiert und verbauen einen Gutteil ihrer Energien in Spannungsbogen. Die Sprache bleibt sekundär. Sie sollte uns nicht quälen; nicht gekünstelt sein aus „Literaturgründen“, nicht hingerotzt aus „Authentizitätsgründen“.
Aber es ist kein Naturgesetz, dass sich Sprache stets mit dem Transport von Inhalten begnügen muss, auch nicht in Krimis. Chandlers Sprache etwa war eins mit dem Inhalt. Ja, und weil dem so war, wurde sie selbst Inhalt. Das kann so weit gehen, dass, wie etwa bei Wolf Haas, die Sprache den Inhalt dominiert. Zu dieser Gruppe kann man auch Gunnar Steinbach mit seinem Romandebüt „Prälat Abels letzte Fahrt“ rechnen.
Steinbachs Roman knapp nacherzählt: Der greise Prälat Abel verschwindet aus dem Pflegeheim und wird kurze Zeit später tot in einem Steinbruch aufgefunden. Ein gescheiterter Fußballtrainer erhängt sich. Kommissar Kugelmeyer hat einen Auffahrunfall und findet das Benehmen des anderen beteiligten Fahrers merkwürdig. Zudem plagen ihn Eheprobleme. Schnell laufen alle Fäden in jenem Seniorenstift zusammen, aus dem Abel verschwand. Deren Leiter, Thanat, und seine Oberschwester sind nicht sauber, folgerichtig werden sie vom Koch erpresst, der wiederum den Fußballtrainer gut gekannt hat. Kugelmeyers Ehe scheitert derweil in einem fremden Bett, sein Vorgesetzter, ein Freund Thanats, setzt ihm zu. Großer Showdown in einer Gaststätte.
Kein Zweifel: Aus solchem Stoff werden Krimis gemacht. Präzise herunter erzählt, Sprache und Handlungsdetails zwischen Alltag und Kunst. Aber Steinbach verfährt anders. Die Elemente, aus denen er seine Handlung Stück für Stück zusammensetzt, sind skurril. Da wird ein Mädchen zur Nonne, weil es sich fahrlässigerweise auf seine Hamster geworfen hat. Ein frustrierter Polizist schießt ein Loch in ein Kitschgemälde, Erbstück der Schwiegereltern. Ein Heimleiter, ebenso gefrustet, bombardiert eine Fensterscheibe mit Kiwis. Auch die Klärung, wie und warum der Prälat in den Kofferraum eines PKW und dort zu Tode gekommen ist, hat etwas leicht Seltsames. Und alles ist ergötzlich zu lesen.
Was an der Sprache liegt. Sie ist einerseits knapp und lakonisch, andererseits ausladend und abschweifend, vor allem dann, wenn wir an den Gedankenscharmützeln des Heimleiters Thanat teilnehmen. Die Sprache macht ihre Personen zu Karikaturen. Karikaturen leben davon, dass sie die Wirklichkeit zuspitzen und auf ihre wesentlichen Merkmale reduzieren. Genau das versucht Steinbach, aber es ist ein schmaler Grat, auf dem er da wandelt. Er stürzt bisweilen ab, ganz gewiss, besonders beim Heimleiter Thanat übertreibt er es. Dann wird der Sprachfluss dominierend und zerfasert die Handlung über Gebühr. Spannungsbogen, die bei einer solch sprachverliebten Technik stets Gefahr laufen, labil zu sein (was auch bei Haas oder Steinfest zu beobachten ist), schwanken dann bedrohlich und brechen gar in sich zusammen.
Natürlich wird die eigentliche Krimigeschichte irgendwann zur Nebensache bei all diesen skurrilen Details. Ist das ein Nachteil? Theoretisch schon. Praktisch aber ist Steinbach ein kurzweiliges Stück Prosa gelungen, für ein Debüt erstaunlich und vielversprechend. Ich mag Leute, die etwas riskieren, und ich mag Leute, die ein Stück weit zeigen, was Krimi auch sein könnte. Wenn es Steinbach nun noch etwas besser gelingt, Sprache und Handlung zu synchronisieren, dann ist für die Zukunft eine Menge von ihm zu erwarten.
Gunnar Steinbach: Prälat Abels letzte Fahrt. btb 2005, 285 Seiten, 9 €