Schule der Rezensenten -11-

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Wenn der Krimikritiker plötzlich zum Literaturkritiker wird … der er ja eigentlich auch ist, oder? Ja, ja, aber nur „auch“. Denn der Krimikritiker muss zudem das in Worte fassen, was seinem mit dem Schwerliterarischen beschäftigten Kollegen eher schnurz ist: Spannung!

Spannung gehört zu einem Krimi. Was aber ist ein Krimi wert, dem die Spannung verloren geht oder bei dessen Lektüre mir die Spannung plötzlich gleichgültig wird? Beides geschieht des öfteren, erst neulich wieder, und wo, warum, das kann man hier in ein paar Tagen lesen. Ein Krimi ohne Spannung ist kein Krimi: hübsches Verdikt. Und stimmt ja auch meistens; aber nicht immer.

Im Gegensatz zu den beiden anderen großen S der Rezensionsmaschine – Sprache und Story – ist Spannung ein naturgemäß kaum in Worte zu fassendes Merkmal von Krimis. Sprache und Story kann ich beschreiben, kann die Kriterien, die ich zugrunde lege, benennen. Aber Spannung? Es soll ja Leser geben, die Autoverfolgungsjagden spannend finden. Tut mir leid; find ich öde.

Allgemein kann man Spannung als das definieren, was beim Zusammentreffen von Story und Sprache an emotionaler Energie beim Leser freigesetzt wird. Boah, gehts vielleicht auch weniger theoretisch? Jo: Wenn ich mich drauf freue, endlich ans Ende eines Textes zu gelangen, finde ich es spannend – oder langweilig und froh darüber, es irgendwann zur Seite legen zu können.

So betrachtet, ist natürlich jede Literatur spannend oder nicht spannend und diese Qualität durchaus beschreibbar. Bei Krimis jedoch scheint mir diese Spannung intensiver zu sein, auch offener, vielleicht grobschlächtiger, gewaltiger, existentieller. Nicht umsonst verwendet man den Ausdruck „page turner“ selten für moderne Lyrik, häufiger für einen Krimi. Und zwar positiv, obwohl dieses page turning, bei dem ich schnöde die Lesegeschwindigkeit erhöhe, quer- oder überlese, bloß um zu erfahren, „wer’s denn nun war“, obwohl also dieses Leserverhalten recht eigentlich etwas Negatives, weil gegenüber Buch und Autor nicht Nettes ist.

Spannung ist jenes Element, das mich bei einem Krimi in die Geschichte verstrickt. Ich nehme die Stelle des Protagonisten ein, indem ich wie er aus dem Bekannten auf das noch Unbekannte zu schließen versuche, ja, ich werde gar zum Autor dadurch, denn ich vollziehe in Gedanken dessen Absichten und Endzwecke nach.

Und jetzt geht mir das verloren. Irgendwo, mitten im Buch vielleicht, sage ich mir: Wurscht, wer’s war. Wurscht, wie’s war. Aus dem Krimikritiker wird so ein Nur-Literaturkritiker, der Sprache und Story in einer Weise zusammenbringt, die eine andere Spannung ergibt, ein anderes Deutungssystem etabliert.

In die Bredouille kommt nun der Kritiker, wenn er seine Leseeindrücke als KRIMI-Kritiker auf einer KRIMI-Seite im Internet zu publizieren hat. Gut; er hat ein Buch gelesen, das unzweifelhafte Affinitäten zu den Geboten des sogenannten Genres aufzuweisen hatte. Es wurde gemordet, es wurde ermittelt, es wurde geleugnet und gestanden, vertuscht und entdeckt. Aber irgendwann war es ihm schnurz, dem Kritiker, er hat das Buch nicht ins Eck gepfeffert (dann wäre das Urteil ja einfach), sondern weitergelesen und sich in eine andere Geschichte verstrickt, die ohne das Kriminale undenkbar zu Stände hätte kommen können, sich aber nach und nach emanzipiert hat zu einer eigenen Ebene innerhalb der Geschichte, einer Ebene mit eigenen Gesetzen, eigener Spannung.

Kein Problem; dann schreib ich das doch. In ein paar Tagen, wie schon erwähnt. Aber der Leser. Der eine Krimi-Seite im Internet aufgerufen hat, keine allgemeine Literaturseite. Der einen Ratschlag haben möchte, der kaum auf seine Krimispannung verzichten will. Soll ich ihm sagen: Lies das mal, aber rechne damit, dass dein Urteil, das Kriminelle betreffend, ein negatives sein wird? Soll ich ihm weiter sagen: Aber rechne auch damit, dass du vielleicht trotz allem einen guten Roman liest? Soll ich ihm das sagen?

Natürlich. Was denn sonst.

5 Gedanken zu „Schule der Rezensenten -11-“

  1. nur eine Frage, weil ich fürchte, Sie mißverstanden zu haben, lieber dpr:

    warum sollte es der mit ‚Schwerliterarischem‘ beschäftigte Kritiker (ich bin’s nicht, drum die Furcht vor dem Mißverständnis) nicht mit Spannung (suspense) zu tun haben und die auch benennen können? Ich habe eben erst Schmidts „Steinernes Herz“ wieder gelesen: da könnte man doch die vielen kleinen und den großen Spannungsbogen recht exakt beschreiben — oder sollte ich mich darin irren, daß die Spannung, wie es wohl weiter und wie es ausgehen wird, mindestens einen Teil des Lektüreantriebs ausmacht, den dieser Romans (beim mir wenigstens) erzeugt. Die Frage ist doch nur, ob ich den Lesern meiner (fiktiven) StH-Rezension den Schluß vorenthalten müßte, so, wie es offensichtlich die Konvention der Krimi-Rezensionen verlangt.

    Spannungsliteratur, denke ich, gibt es auch außerhalb des Krimi-Genres.

    Bescheidentlich anfragend: J. L.

  2. Hallo,

    freut mich, dass Sie wieder mal das Steinerne Herz gelesen haben, ich tus von Zeit zu Zeit auch. Aber das ist natürlich eine andere Spannung als in einem Krimi. Als Krimikritiker entwickelt sich Spannung aus dem Plot.Die Dinge spitzen sich zu. Es gibt ein, zwei, drei Unbekannte in der Rechnung, ich fiebere dem Ende entgegen, stelle Hypothesen auf. Bei Schmidt tue ich das, ehrlich gesagt, in dieser Form nicht. Die Intention des Herrn Eggers ist mir klar. Er wird Staatshandbücher billig erwerben. Dass das Steinerne Herz durchaus Krimianleihen macht (Bibliothek in Ostberlin, der Schatz unter der Decke), könnte ich einem durchschnittlichen Krimileser nicht guten Gewissens als Krimi verkaufen. Natürlich ist das Buch spannend – aber Krimispannung ist was anderes; offener, irgendwie auch gröber. Meistens jedenfalls.

    bye
    dpr

  3. Entgegen landläufiger Meinung finde ich in Krimis nur selten das, was man gemeinhin als Spannung bezeichnet. Also dieses Phänomen, dass beim Lesen das Herz hörbar anfängt zu pochen, man leicht zu schwitzen anfängt, etc. Wenn es hoch kommt, erlebe ich das eine handvoll Mal in einem Jahr. Eher weniger. Wobei mir scheint, je älter ich werde, desto weniger diese Wirkung eintritt (ja,ja,…).

    Wenn man als Spannung hingegen einfach nur diesen Sogeffekt bezeichnet, unbedingt wissen zu wollen, wie es weiter geht, so erlebe ich das schon häufiger. Erst jüngst bei zwei Jack Reacher Romanen von Lee Child, die mich dazu gebracht haben, an drei Tagen mehr als 1000 Seiten wegzulesen. Aber diese Art von Spannung erzeugt bei mir häufig einen schalen Nachgeschmack nach Beendigung des Rausches, vergleichbar einem Kater.

  4. Genau, Thomas, man erwartet ja immer die Lösung, auf die man selbst nicht kommt, aber sie muss nachvollziehbar, logisch sein – und dann ist man natürlich enttäuscht, nicht selbst drauf gekommen zu sein. Bei Hills „Dorf der verschwundenen Kinder“ wusste ich ziemlich schnell, wos hingeht, war dann aber doch überrascht. Das war dann ein erträgliches Ende ohne den großen Kater.

    bye
    dpr

  5. Hallo dpr,

    Hill ist nun auch wirklich die große Ausnahme, was die sowohl überraschende als auch plausible Auflösung verwickelter Handlungsstränge angeht. Da legt er meist eine große Kunstfertigkeit an den Tag. Ich erinnere mich da an „Die rätselhaften Worte“ und besonders an „Der Schrei des Eisvogels“, in dem Hill beinahe eine Persiflage eines Krimis schreibt.

    Gruß
    thomas

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