Krimischach

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(Auf dem Denkstapel landet alles Unausgegorene, Angedachte, Zurechtgedachte oder für zukünftige Arbeiten Zurechtzudenkende. Der Leser darf mitdenken, vorausdenken, querdenken, tieferdenken, Hauptsache: denken.)

„Der Kriminalroman als Schachspiel“? Man kann das so wie Moez Lahmédi in der → neuesten Ausgabe von Europolar sehen. Aber Bilder und Metaphern haben in der Regel ihre Tücken.

Die erste: Laut Lahmèdi erklärt der Bezug der Kriminalliteratur auf das Schachspiel „die Reduktion, die die Kriminalliteratur im 19. Jahrhundert erlitten hat.“ Das ist zwar auf einer einfachen Erklärungsebene richtig, aber doch sehr unscharf. Was war Kriminalliteratur, bevor sie „Schachspiel“ wurde? Wann genau wurde sie es? Mit Edgar Poe oder doch erst im Prozess ihrer Trivialisierung durch Garboriau und Conan Doyle? Und wie lange ist sie reines Schachspiel geblieben? Es ist ja nicht zu leugnen, dass das Lesen von Kriminalromanen immer auch ein Spiel ist, aber ausgerechnet Schach?

Wenn ich mich als Nichtschachspieler nicht täusche, ist es das Ziel dieses Spiels, einen Gegner zu besiegen. Also: Wer sitzt sich da am imaginären Spielbrett gegenüber? Autor und Leser? Text und Leser? Und wer verliert wodurch?

Ich gebe aber zu: Die Vorstellung eines Kampfes zwischen Autor / Text und Leser hat etwas für sich. Sie ist aber nicht sehr populär. Populär ist der Doppelsieg, den der Leser von nicht nur Kriminalromanen nach der Lektüre verkündet: Tolles Buch / fähiger Autor – zufriedener, gut unterhaltener Leser. Äußerst unpopulär hingegen ist das Ergebnis eines düpierten Lesers, dessen Erwartungen sich nicht erfüllt haben. Dann gibt es keinen Sieger, denn der Leser, obwohl er natürlich verloren hat (Langeweile!), erkennt ja in der Regel den „Sieg“ des Autors / Textes nicht an, schon deshalb nicht, weil er nicht zugeben mag, es sei die Strategie des Autors gewesen, ihn, den Leser, zu besiegen.

Aber genau darum geht es bei Literatur. Wenn ich lese, dann sollte der Text größer sein als ich. Ich reagiere auf die Züge des Autors nicht um zu gewinnen, sondern um das Spiel Literatur zu verstehen. Verstehe ich es zur Gänze, habe ich verloren. Verstehe ich es besser als ich es ohne die Lektüre dieses Buches getan hätte, habe ich zwar, was dieses Buch anbetrifft, auch verloren, aber insgesamt gewonnen.

Das müsste man jetzt ausarbeiten. Und käme dann gleich wieder ins 19. Jahrhundert zurück, zu Poe etwa, der ja Krimischach erfunden haben soll – aber eigentlich etwas ganz anderes, das Schach verkehrtrum.

Mal notieren.

dpr

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