Friedrich Ani: Idylle der Hyänen. Teil zwei

[Und es geht weiter. Nach →Teil eins nun die Fortsetzung der Rezension von Friedrich Anis „Idylle der Hyänen“]

In Ordnung. Wir wiegen uns noch immer in der trügerischen Illusion, hinter alledem stünde ein souveräner Schöpfer, ein Autor=Gott gewissermaßen, der sowohl die Ansicht, Romane müssten Geschichten erzählen, negiert als auch dem Genre, das ihn über Jahre gut genährt hat, ein Armutszeugnis ausstellt.

Diese Absicht wäre nicht ohne Parallelen in der, nicht nur Krimi-, Literaturgeschichte. Wir finden sie etwa dort, wo aus „Krimi“ „Kriminalliteratur“ wird, wie →Thomas Wörtche schreibt:

Nach Hammett und Simenon driften Krimi und Kriminalliteratur zunehmend auseinander – die Verbindlichkeit der Form ist außer Kraft gesetzt, und das schafft Freiräume.

Außer Kraft gesetzt wird hier das Tradierte, aber auch die Erwartung von Kritik und Publikum. Dass unter der Decke einer Geschichte weitere Geschichten stecken (analog: unter einer Krimistory die Geschichten einer Gesellschaft, eine Gruppe von Menschen), ist nun eine alte Erkenntnis. Wir finden sie bei Laurence Sterne oder Lewis Carroll schon sehr früh, bei James Joyce schließlich in ihrer markantesten Ausprägung. Dessen „Ulysses“ ist ein oberflächlich gelesen recht unspektakuläres Werk, nach den Maximen traditioneller Romantheorie gar ein misslungenes, und nur dann mit Gewinn zu lesen, wenn man die Form „Geschichten erzählen“ erweitert, sie vielleicht gar, wie in der experimentellen Prosa eines William S. Burroughs, ganz aufgibt beziehungsweise den Zufall entscheiden lässt, in welche Richtungen die narrative Logik voranschreiten soll.

Belassen wir es bei diesen Gedankensplittern, die nur deshalb hier gezeigt seien, weil solches Erweitern oder Zerstören von Form stets zu Irritationen bei den Lesern führt, dann zumal, wenn sie sich in einem abgesteckten Genre zu bewegen glauben und auf den Autor, der sie so irritiert hat, eigentlich große Stücke halten. Will sagen: Meine Empörung über Anis Roman mag nichts weiter sein als die Empörung des düpierten Lesers, der liebgewordene Parameter in „Idylle der Hyänen“ nicht mehr wiederfindet. Hier also lohnt es sich – und ist eine Frage von Fairness – wenigstens zu versuchen, hinter all dieser lieblos in flüchtiger und teilweise erbärmlicher Prosa heruntergerissenen Polizeistory, hinter dieser exzessiven und doch wohlfeilen Seelenqual so etwas wie eine ABSICHT zu vermuten.

Werden wir also Zeugen eines erneuten Paradigmenwechsels? Beweist uns Friedrich Ani, dass selbst die KriminalLITERATUR all diese Unsäglichkeiten des Rumorens von Verlieren und Suchen formal nicht mehr zu fassen versteht, wo man doch annimmt, gerade diese Kriminalliteratur eigne sich dafür wie nichts Zweites? Ist „Idylle der Hyänen“ also der Grenzstein, an dem die Verbindlichkeit der Krimiform aufgehoben wird?

Könnte sein. Könnte, weil auch die Dokumentation eines Scheiterns den souveränen Autor verlangt. Auch wer das Erzählen aufgibt, wer sein Personal zu bloßen Abbetern von fürchterlichster Rollen- und Ideenprosa degradiert, muss dies bewusst tun, mit Bedacht, mit Können, einem Konzept, kurz: einer Idee.

Doch in „Idylle der Hyänen“ ist auch der Autor kein souveräner Autor mehr. Er sammelt dummes Denken, dumme Gefühle und dumme Sätze, er geht so in seiner Arbeit auf, dass er selbst nicht mehr auf den Gedanken kommen kann, etwas anderes zu produzieren als dummes Denken, das in dummen Gefühlen dümpelt und in dumme Sätze gewickelt werden muss. Diesen etwa:

„Sebastian Flies hatte vielleicht getötet, weil er sein Leben lang einen Mörder in sich beherbergt und, unbewußt und angstvoll, auf eine einmalige Gelegenheit zum Morden gewartet hatte.“

Man hält bei der Zurkenntnisnahme solch gestelzter und auf den schieren Flachsinn reduzierter Gemeinplätze den Atem an. Hier fügt sich der Autor Ani entweder willig in seine neue Rolle als Nichtliterat (was ich nicht glaube; so weit geht mein illusionäres Denken nun doch nicht) oder erweist sich als in die scheinbare Klarheit seiner Bilder verliebter Pfuscher. Noch ein Beispiel.

Perspektivisches Schreiben etwa, eine nicht zu unterschätzende Kunst, wird bei Ani zum rein routinemäßig inszenierten Vorzeigen der blanken Instrumente, die aber nicht zum EInsatz kommen. Wohl wechselt er die Sichtweisen, aber reden hören wir immer nur den Autor. Ob Mann A die Gedanken A herausbrüllt oder die Gedanken B des Mannes A, der seinerseits die Gedanken von Frau C in die Welt heult: Es ist eine einzige Soße, ein einziges stilistisches Ärmelaufkrempeln, um denn doch nur ungestählte Muskeln zu zeigen. Hier wird nicht, wozu perspektivisches Schreiben eigentlich dient, die Wirklichkeit durch mehrere verschiedene Augen betrachtet und damit zu WirklichkeitEN, nein, es ist bloßes Talmi, Reflex eines Literaturautomaten, der eben auch „perspektivisch schreiben“ möchte.

Woran erinnert uns das? Ich gebe zu, dass ich während der Lektüre gelegentlich an Herbert Reinecker denken musste, den Schöpfer solch legendärer TV-Ereignisse wie „Der Kommissar“ und besonders „Derrick“, Fernsehkrimis also, in denen sich Bedeutung tonnenschwer auf die Häupter der Ermittler legte, wo ein Mord nicht einfach nur ein Mord sein durfte, sondern gleich Einstieg in philosophische Diskurse und Ausschnitte aus einer Wirklichkeit, die einen eher zum Lachen denn zum „Nachdenken“ bringen konnten. Aber nein; Reinecker versuchte tatsächlich, „anspruchsvolle Krimiunterhaltung“ zu schaffen, seine kruden Grübeleien, seine so leichtgewichtige Gedankenschwere immerhin in das Korsett biederer Whodunits zu packen. Es war zwar letztlich egal, wer nun eigentlich warum, aber es war zugleich eine zuverlässig erfüllte Pflicht gegenüber den Konsumenten folgenloser Freitagabendunterhaltung. Anis Personal ist nun Derrick on dope. Hol schon mal den Koks, Harry.

dpr

(abschließender Teil folgt)

7 Gedanken zu „Friedrich Ani: Idylle der Hyänen. Teil zwei“

  1. Das ist sehr interessant, lieber dpr, wenn man diesen Teil der Ani-Rezension plus deine Leseprobe „Die Zeichen der Vier“ liest. Fakt ist, Ani und Paprotta gehören zu den großen *Schreibern* unter den Krimi-Autoren, also keine Plapperer. Jetzt meine ich herauszulesen: der eine ist ein Behaupter (wenigstens in diesem Buch), die andere eine Darstellerin. Wenn das so ist: Welche Auswirkungen hat eine bestimmte Erzählweise auf die erzählte *Geschichte*? Anders gesagt, verändert sich die Geschichte, wenn der Autor zu viel redet oder wird sie eine andere, wenn die Autorin kalt, lakonisch darstellt?
    Oder hat das alles nur Auswirkungen auf unsere Gefühle beim Lesen?

  2. Hallo Ralf,

    die Erzählweise konstituiert die Geschichte und damit auch das, was sie dem Leser vermittelt. Astrid Paprotta (die übrigens weder kalt noch lakonisch schreibt; diese Attribute treffen eher auf die „Behaupter“ zu) erzählt uns Geschichten, Ani benutzt „Geschichten“, uns seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Der Leser wird also entsprechend eine fiktive Welt mit all ihren Wirklichkeiten kennenlernen oder eben die Ansichten eines Autors zu bestimmten Themen zur Kenntnis nehmen.
    Was nun keineswegs bedeutet, „Behaupter“ könnten per se nicht auch erzählen oder „Beschreiber“ hätten keine Absichten… Was mich an den „Behauptern“ kolossal stört, ist ihre Geringschätzung des kommunikativen Aktes, der Lesen ja immer ist. Es ist eine merkwürdige Variante von Kommunikation, wenn ich als Leser gezwungen werden soll, explizit geäußerte, in Fiktion verpackte Ansichten einfach nur NACHzudenken. Da kommuniziere ich lieber mit der Fiktion direkt und schaue, was sie mir zu erzählen hat, wenn sie mir was zu erzählen hat.

    bye
    dpr

  3. Kleines praktisches Beispiel als Nachtrag:

    „Sebastian Flies hatte vielleicht getötet, weil er sein Leben lang einen Mörder in sich beherbergt und, unbewußt und angstvoll, auf eine einmalige Gelegenheit zum Morden gewartet hatte.“

    Ein solcher Satz wäre bei Astrid Paprotta schlichtweg undenkbar. Er fasst uns – in grauenhafter Diktion – zusammen, wie wir bitteschön das Handeln des Herrn Flies bewerten sollen. Logischer Quark ist der Satz zudem: Wenn Herr F. einen Mörder „beherbergt“ hat, dann wartet DER und nicht Herr F. auf die Gelegenheit zum Morden.

    bye
    dpr

  4. „logischer Quark“: sicher (und aus justizpsychologischer Perspektive eh), aber mit einer ellenlangen literarhistorischen Tradition (in auktoria- wie personaler Perspektive). Und was ich mir gestern noch verkniffen habe: woerterbuch.info wirft für „Cliffhanger“ (zusammen!) „Superthriller“ aus. Wenn man jetzt schon als Rezensionenleser 3 Tage auf den Abgrund (bzw. den Zutritt zu selbigem) warten muß … Beste Grüße!

  5. Na, das is wie mit die Weißwürscht: Man kann sie gleich ganz auszuzzeln oder auf drei Tage verteilen. Das macht zwei Cliffhanger (zusammen!) automatisch und gratis. Wie zuzzelts sich morgen weiter? – Ist eigentlich der Papst noch bei Ihnen? Wenn Sie ein schönes Abschiedsgeschenk für ihn wollen: „Idylle der Hyänen“ eignet sich bestens!

    bye
    dpr

  6. eben wollt‘ ich sie noch in der ehrwürdigsten aller akademischen Verbindungen willkommen heißen — da sie mir aber benediktisch kommen, wendet sich mein Haupt mit Grausen.

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