Mit ihren Kriminalromanen um die Privatermittlerin Tess Monaghan zählt die Amerikanerin Laura Lippman nun schon seit geraumer Zeit zu den Lieferantinnen solider Spannungsware. Perfekte, globaltaugliche Mischungen aus privaten Irrungen und kriminellen Wirrungen, im überschaubaren Milieu Baltimores lokalisiert, einer Stadt, die sich selbst „Charm City“ nennt, aber natürlich en détail so charmant nicht ist.
Eine amerikanische Mittelstadt, sportliche Provinz. Da trifft es sich gut, dass der reiche Geschäftsmann Gerard „Wink“ Wynkowski eine komplette Basketballmannschaft kaufen und für Baltimore in die Profiliga schicken will. Großes Tamtam, doch, wir ahnen es schon, so schnörkellos geht die Sache nicht über die Bühne.
Denn „Wink“ hat eine kriminelle Vergangenheit. Jugendlicher Leichtsinn, sagt er. Körperverletzung mit Todesfolge – sagen die investigativen Journalisten der (fiktiven) Tageszeitung „Leuchtturm“. Als herauskommt, dass „Wink“ in seiner ersten Ehe auch noch zur schweren Körperverletzung neigte, ist die Skandalstory perfekt. Aber soll man sie auch veröffentlichen? Die Chefredaktion zögert, hält die Geschichte zurück – und dann findet sie sich schließlich auf mysteriöse Weise doch im Blatt. Wer ist dafür verantwortlich? Man engagiert Tess, um das herauszufinden. Während sie sich noch durch die verzwickten Hierarchien der Zeitung manövriert, begeht „Wink“ Selbstmord.
Und dazu die privaten Irrungen. Tess’ Onkel wird zusammengeschlagen, liegt im Koma, ein Windhund, merkwürdigerweise in des Onkels Besitz geraten, beschäftigt Tess, die langsam unsauberen und ziemlich schmutzigen Wettgeschäften auf die Schliche kommt. Leichte amouröse Turbulenzen dürfen nicht fehlen.
Aber ganz klar: Im Zentrum von „Charm City“ steht der „Leuchtturm“ mit seinen Intrigen und Karrierestrategien, seiner journalistischen Ethik und all den Tricks, mit denen man Moral auf Geschichten schreibt, in denen keine Moral zu finden ist. Die Beschreibung dieser Medienwelt mit ihrem Personal geht Lippman leicht von der Hand. Alles mag überspitzt sein, findet sich als Blaupause aber durchaus im Alltag wieder.
Schön erzählt, das alles. Manchmal witzig, immer mit lakonischer Distanz, auch im Moment privaten Ungemachs nicht larmoyant. Dass „Winks“ Selbstmord letzlich Mord war und der Übeltäter im kurzen Showdown überraschend aus der Reihe der respektablen Figuren tritt, gehört zu Lippmans bewährten dramaturgischen Kniffen.
Ein lesenswerter Krimi, „intelligente Unterhaltung“ nennt man das, ein Fach, in dem sich jenseits des Atlantik erstaunlich viele SchreiberInnen tummeln, deren Ehrgeiz nicht so weit reicht, uns die Welt zu zeigen, aber auch nicht so klein ist, uns lediglich mit der ewigen Antwort auf die Wer-wars-Frage abzuspeisen.
Laura Lippman: Charm City.
Aufbau 2006. 338 Seiten. 7,95 €
Lieber dpr,
volle Übereinstimmung (und Deine Bewertung lässt sich auf viele Bücher Lippmans übertragen).
Eigenartig nur: Wenn man die großen amerikanischen Krimipreise nimmt, ist sie nach M. Connelly die erfolgreichste Autorin der letzten 15 Jahre. Lediglich die Edgar Komitees scheinen Lippman (ähnlich wie M. Connelly) nicht so hoch einzustufen. [Ist eben auch kein Leserpreis.] Aber gerade „Charm-City“ bekam 1998 den Edgar als bestes TB.
Beste Grüße
bernd
Vielleicht ist sie einfach nicht spektakulär genug, lieber Bernd? Ihre Beschreibung von Baltimore etwa ist gewiss nicht „knallhart realistisch“. Sie deutet vieles nur an, was mir, ehrlich gesagt, sehr sympathisch ist. Hier in Deutschland steht der große Durchbruch wohl noch aus, wenn ich mir so die Lesetipps und Diskussionen in den Foren ansehe. Von Laura Lippman hört man da wenig bis gar nichts.
bye
dpr
Lieber dpr,
der Erfolg Lippmans in den USA zeigt meiner Meinung nach, dass sie beim geneigten Publikum ankommt. Aber die gesonders kritischen Edgar Juoren eben nicht überzeugt (gilt ja im Grunde auch für M. Connelly) – vielleicht fehlt da die gewisse „Extravaganz“/ literarische Klasse. Mit „spektakulär“ hat das, glaube ich, nicht so viel zu tun. Spektakulärer als MC scheint mir auf dem Niveau kaum jemand zu sein, und sicher nicht die Edgarpreisträger der letzten Jahre.
Das was ich bisher von Lippman gelesen habe, ist für mich Hoher Standard. Gutbürgerliche Küche, das reicht vielleicht für einen Stern, wenn alles passt, mehr aber nicht. Warum sollten deutsche Leser, deren gedanklicher Schwerpunkt nicht in den USA liegt, derartiges lesen ? Den großen Erfolg in Deutschland würde ich deshalb nicht erwarten.
Beste Grüße
bernd
Hallo,
die Einschätzung von Bernd teile ich. Lippman schreibt solide Krimis, die sicher über dem Durchschnitt liegen, Spitzenklasse sind sie allerdings nicht.
Das Laura Lippman hier eher sporadisch wahrgenommen wird, mag einmal mehr an der kruden Verlagspolitik liegen. 2002 veröffentlichte Rotbuch „In einer seltsamen Stadt“ als ersten Titel in Deutsch. „In A Strange City“ – so der Originaltitel – ist aber der sechste Band in der Tess-Monaghan-Serie. Erst nach und nach lieferte Rotbuch dann die ersten drei Bände der Serie nach („Baltimore Blues“ , „Charm City“ und 2005 dann auch „Butchers Hill“). Im gleichen Jahr begann Aufbau mit der Veröffentlichung der oben erwähnten Übersetzungen als TB. Nun scheint Mrs. Lippman dort betreut zu werden, denn ihr Roman „Every Secret Thing“ (außerhalb einer Serie) erschien erst kürzlich als HC bei Rütten & Loening (der ja zur Aufbau-Gruppe gehört).
Das die Romane von Laura Lippman da eher kaum wahrgenommen werden, wundert mich bei diesem seltsamen Veröffentlichungsrhythmus nicht. Ich weiß, es gibt wichtigere Autoren, die noch sträflicher behandelt werden. Schade finde ich es trotzdem, denn so mancher us-amerikanischer C-Autor wird mit einem riesigen Popanz unters Volk gebracht. Lippman ist aber sicher eine B-Autorin und hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.
Liebe Grüße
Ludger
Die Verlagspolitik, lieber Ludger, spielt sicher eine Rolle. Ich denke schon, dass Lippman hierzulande mehr Erfolg haben könnte, Bernd, denn ihre Protagonistin ist ja durchaus auf „Identifikation“ angelegt. Sie ist recht normal, zwar keine Gerichtsmedizinerin, was hierzulande immer noch gut zu kommen scheint, aber schon das, was man „sympathisch“ nennt. Natürlich gehört sie nicht zur A-Klasse, „solide Spannungsware“, hab ich das genannt und ihr beide habt das auch bestätigt. Aber, mal ganz ehrlich, es gehört zu den Charakteristika von A-Klasse, dass es nicht sonderlich viele davon gibt. Im Gegensatz zu den perfekten Baukastenkrimis, die immer wieder als neueste Sau durchs Dorf getrieben werden, arbeitet Lippman sogar einigermaßen unkonventionell und variiert ihre Muster. Mal schaun, ob sie sich bei uns vielleicht doch noch ein bisschen besser etablieren kann.
bye
dpr