(Unser Rezensenten-Auszubildender Jochen König steckt noch voller Enthusiasmus. Er bevorzugt das kritische method acting, das Sich-Hineinversetzen in einen Text, bis er ihn vollständig durchdrungen und verinnerlicht hat. Beispiel: Sebastian Fitzeks Psychothriller „Die Therapie“. Wir konnten den jungen wilden König nicht davon abbringen, sich bezwecks Milieustudie für zwei Wochen in eine psychiatrische Klinik zu begeben. Heute, drei Monate später, ist er immer noch drin, es könne noch etwas dauern, schreibt er uns und schickt seine Rezension, die wir an dieser Stelle abdrucken. Wir hoffen, Herrn König zur Weihnachtsfeier 2007 wieder wohlauf in unserer Mitte begrüßen zu können.)
„Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält“, spottete Karl Kraus schon 1913. „Die Therapie“ liest sich wie ein Beleg dieses Zitates.
Die imaginäre Insel Parkum während eines Sturms, ein pausierender Psychiater mit posttraumatischern Stresssymptomen, eine Patientin mit schizophrenen Wahnvorstellungen, zwischen beiden die 12jährige Tochter des Psychologen, vier Jahre zuvor verschwunden unter mysteriösen Umständen.
Das birgt Spannung, Dramatik, Konflikte. Und tatsächlich: spannend ist es durchaus. Sonntagabend, eine Couch, Knabberzeug raus, das Getränk der Wahl anbei und Seite für Seite den fiebrigen Erlebnissen des Dr. Viktor Larenz gefolgt. Da macht es gar nichts, den Directors Cut von „The Sixth Sense“ dem DVD-Player vorenthalten und den sonntäglichen Tatort verpasst zu haben. Momente aus beidem finden sich in Fitzeks Buch wieder. Provinzielle Ermittlungsarbeit und laues Hantieren mit Zwischenwelten. Dabei sind die Schilderungen vom geistigen und körperlichen Zerfall der Protagonisten auf dieser sturmumtosten Insel gelungen, Momente der Unsicherheit zu inszenieren gelingt Fitzek wesentlich besser, als eine düstere Geschichte konsequent durch die wogende See nach Hause zu schaukeln. Zwar bietet er einen Schluss, der die Erwartungshaltung des Lesers befriedigen kann (immerhin hat der so was schon lange vorher gewusst oder zumindest geahnt), torpediert das Ganze aber mit einer gegenläufigen Pointe, die ebenso schal wie unglaubwürdig ist. So entpuppt sich „Die Therapie“ am Ende als bloßes Konstrukt, das Richtung Kinoleinwand schielt, aber realiter nur für’s kleine Fernsehspiel ausreicht.
Was außerdem nervt: obwohl er weitgehend effektiv schreibt, kann Fitzek nicht umhin, ab und an Ankündigungen für kommende Großereignisse zu machen (die dann so groß natürlich nicht sind, oder gar nicht eintreffen). „Es sollte noch gut vier Tage dauern, bis er die Antwort erfuhr. Leider zu einem Zeitpunkt, als für ihn bereits alles zu spät war.“ Das taugt allenfalls für die Kirmes, sorgt aber selbst dort für Ernüchterung, wenn sich die angepriesene furchterregende Geisterbahn als missratener Sprössling der Augsburger Puppenkiste herausstellt.
Jochen König, eine Neurose ist eine Neurose ist eine Neurose, Mitte Oktober 2006
Sebastian Fitzek: Die Therapie.
Knaur 2006. 335 Seiten. 7,95 €